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der durch eine Reihe von gelehrten Arbeiten gezeigt, daß er im ftande ist, in die Fußtapfen des Lehrers einzutreten und ihn zu erseßen. Mit gleicher Arbeitslust und Arbeitskraft, die unermüdlich in den Quellen forscht, verbindet er dieselbe Gestaltungsgabe, welche die gewonnenen Resultate funstvoll zu gruppieren weiß. Im unermüdlichen Sammeln auch ungedruckten Materials dürfte sogar der Meister überflügelt sein.

Janssen selbst hat seinen Lieblingsschüler mit der Fortseßung seiner Lebensarbeit beauftragt, demselben im mündlichen Verkehr die notwendigen Winke und Anweisungen gegeben, das ganze von ihm angesammelte Material hinterlassen. Wir staunen, wenn wir erfahren, daß nicht nur für die nun vorliegenden zwei neuen Bände die Vorarbeiten fast vollendet und die meisten Partien schon ausgearbeitet waren, sondern, daß in Janssens literarischem Nachlaß für die Fortschung des Werkes bis zum Untergang des alten Reiches im Jahre 1806 so zahlreiche Aufzeichnungen sich fanden, daß die Vollendung der Geschichte des deutschen Volkes" als gesichert betrachtet werden darf, wenn Gott dem Fortseßer Leben und Gesundheit schenkt. Auf Janssens Vedeutung fällt durch diese Nachrichten neues überraschendes Licht.

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Mit dem 6. Band ist Janssen zur Kulturgeschichte zurückgekehrt, welcher der erste Band gewidmet war. Drei volle Bände sind der Aufgabe gewidmet, uns die Kulturzustände der Reformationszeit zu schildern. Der Rezensent des 6. Bandes in dieser Zeitschrift (Bd. 10 [1889] S. 395 f.) kommt zu dem Resultat, Janssens Grundgedanke, daß seit dem ausgehenden Mittelalter eine immer mehr anwachsende Verschlimmerung eingetreten sei, erhalte eine fortschreitende Vestätigung. Der allgemeine Niedergang komme mehr auf Rechnung der Protestanten, auf die katholische Seite falle mehr Licht als in den „herkömmlichen" Darstellungen.

1. Dieses Urteil wird durch den 7. und 8. Band bestätigt. Der 7. Band ist den wissenschaftlichen Bestrebungen des Jahrhunderts gewidmet und behandelt sie in zwei Teilen: 1. Schulen und Universitäten, 2. Bildung und Wissenschaft, Bücherzenfur und Buchhandel. Auf einem Gebiet, nämlich dem der Mathematik und der Naturwissenschaften begegnet uns da entschiedener Fortschritt. Nikolaus von Cusa, Peurbach und Regiomontan hatten hier vorgearbeitet. Im 16. Jahrhundert erscheint neben anderen gefeierten Namen das Dreigestirn Kopernikus, Kepler und Clavius, leßterer als Mitarbeiter und Verteidiger der Gregorianischen Kalenderreform. ! Mineralogie und Botanik stehen in hoher Blüte. In Anlegung botanischer Gärten herrscht edler Wetteifer. Auch in der Erdkunde und besonders in der Kartographie zeichnen sich deutsche Gelehrte aus.

Sonst tritt uns in diesem Band überwiegend Niedergang und Verfall entgegen. Die Religionsneuerer strebten zwar und hofften, gerade durch die Schule die alte Kirche zu bekämpfen und zu vernichten, und wünschten deshalb die eingezogenen Kirchengüter für die Zwecke des Unterrichts zu verwenden. Aber die Fürsten zogen vor, sie für sich zu verschwenden. Neuen Schulstiftungen wurde die Luelle durch die reformatorische Leugnung

der Verdienstlichkeit der guten Werke abgegraben. Im 1. Bande hatte Janssen nachgewiesen, daß sich auch das Volksschulwesen beim Ausgange des Mittelalters in den meisten Gebieten des Reiches in erfreulichem Aufschwung befunden hatte. In den kirchlichen Lehrschriften wurde der Volksunterricht eifrig empfohlen; die Zahl der Schulen auch in kleineren Städten und Dörfern wuchs mit jedem Jahrzehnt; über unzureichende Besoldung liegen von seiten der Lehrer keine Klagen vor; aus der Zeit von 1400 bis 1521 lassen sich nahezu 100 Schulordnungen und Schulverträge in deutscher und niederländischer Sprache nachweisen." Durchs ganze 16. Jahrhundert vom Bauernaufstand bis zum dreißigjährigen Kriege begegnen uns aus allen Ständen der Gesellschaft, aus allen Kreisen Deutschlands Klagen über allgemeine Vernachlässigung und den Verfall des Schulwesens. Die Lehrer sind färglich bezahlt. Selbst in großen Städten muß man sich_infolge der dürftigen Besoldung und beim Mangel an Anstalten zur Heranbildung tüchtiger Lehrer mit Handwerkern in den Volksschulen begnügen. Die Jugend ist verwildert! Grausam ist die Härte der Schulstrafen; Luther selbst und seine Freunde stellen die kärgliche Existenz der Schulen dem blühenden Zustand in den katholischen Zeiten entgegen. Vergeblich sind Luthers energische Aufrufe in den Jahren 1524, 1529, 1530, welche freilich in den evangelischen Schulordnungen wiederklingen und viel dazu beigetragen haben mögen, ihm auch den Ruhm des Begründers deutschen Volksschulwesens durch lange Zeit zu verschaffen. Der Verfall zeigt sich auch darin als Folge der Neuerung, daß zahlreiche Prädikanten allen wissenschaftlichen Bestrebungen den Krieg erklären und daß nach Zeugnissen der Zeit fast niemand mehr die Kinder in die Schulen schicken und studieren lassen will, weil die Leute aus Luthers Schriften vernommen, daß „die Pfaffen und Gelehrten das Volk so jämmerlich verführt hätten." Manche Ergänzungen bietet bezüglich dieses Abschnitts die neuestens erschienene Geschichte des Volksschulwesens in Württemberg“ von Kayser (Stuttgart, Roth, 1895). K. stellt seine Resultate in den beiden Leitsäßen zusammen: 1. „Die religiösen Wirren und leidenschaftlich geführten theologischen Streitigkeiten waren keineswegs geeignet, Erziehung und Unterricht zu fördern, vielmehr sind sie ein schwerer Hemmschuh für Schulen aller Art geworden, ja übten einen zerstörenden Einfluß auf den Entwicklungsgang der Wissenschaften aus und führten eine förmliche Abneigung gegen das Studium herbei. 2. Die von den Glaubensneuerern angestrebten Schulen waren in erster Linic Latein- und keine deutschen Volksschulen.“ Die Lateinschule sollte ja der Heranbildung von Predigern und Beamten dienen. Auf dem Lande konnte man sich mit Katechismusschulen begnügen und bei diesen stellten die Rufer im Streite möglichst geringe Anforderungen. (Vgl. auch den trefflichen Artikel: Wie alt ist die Schule" in Nr. 48 ff. der Katholischen Schuljeitung", Donauwörth, Auer 1895.)

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Aber auch an den Lateinschulen herrschen unerquickliche Zustände. Das Lateinsprechen ist unter Strafe vorgeschrieben, die Muttersprache viet

fach verpönt, die Methode also verkehrt. Die obscönen Schriftsteller des Altertums werden ohne Austand gelesen, selbst auf die Schulbühne gebracht. Die Lehrbücher selbst, so z. B. die vielbenüßten Colloquien des Erasmus enthalten gar manches Anstößige. In neueren Schuldramen wird die protestantische Jugend gegen das Popsttum aufgeheßt, religiöse Streitigkeiten sind das Krebsübel des protestantischen Schulwesens. Land für Land, Gymnasium für Gymnasium geht Janssen durch. Ueberall dieselben Mißstände. Die katholischen Gebiete machen keine Ausnahme. In den ersten Jahrzehnten nach dem Auftreten Luthers war auf seiten der neugläubigen Stimmführer unverkennbar mehr Eifer für Errichtung neuer Schulen, als auf seiten der Katholiken für die Wiederherstellung und Verbesserung ihrer Anstalten. Es nahm den Anschein, als sollte das protestantische höhere Schulwesen das katholische bei weitem überflügeln, wie denn in dieser Zeit auch die Zahl hervorragender Schulmänner bei den Protestanten ungleich größer ist als bei den Katholiken. Einen großen Umschwung aber bringt hier die Ausbreitung und das Aufblühen der Jesuitenschulen. Der letteren pädagogische Grundsäße erzielen herrliche Erfolge in Unterricht und Erziehung. Selbst Andersgläubige strömen ihren Anstalten zu. Auch die Jesuiten bedienten sich als Erziehungsmittels der dramatischen Aufführungen. Aber ihre Dramen entbehren jedes polemischen Charakters und sind durchaus sittlich rein. Ihr bedeutendster Dramendichter, Jakob Bidermann aus Ehingen, findet eingehende Würdigung.

Auch von Universität zu Universität führt uns J. Er zeigt, wie diese Anstalten in völlige Abhängigkeit von den Landesobrigkeiten gebracht wurden, wie die Professoren kläglich bezahlt sind und deshalb nach anderen Erwerbsquellen sich umsehen müssen, teilweise „Bier- und Weinschenken“ halten. Charakteristisch sind namentlich dieser Zeit eine Anzahl von Professoren, welche das abenteuerlichste Leben führen, von Land zu Land ziehen, die Konfession wechseln, je nachdem es ihnen Vorteil bringt, und auch als Vertreter verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen auftreten, dabei aber der Trunksucht und Unsittlichkeit fröhnen. Selbst hochverdiente Lehrer geben schweres Aergernis. Eobanus Hessus trank sich mit vollem Bewußtsein langsam zu Tode. Auch auf dem Ratheder wollte er des Trunkes nicht entbehren. Er nahm den Humpen mit und, wenn eine ihm besonders behagliche Stelle kam, pflegte er den Dichter zum Ergößen seiner Zuhörer hochleben zu lassen. Petrus Pontanus schlug öfters am schwarzen Brett die Initiale P in neunmaliger Wiederholung an und erklärte sie seinen Zuhörern Petrus Pontanus, Poeseos Professor Publ. Propter Pocula Prohibetur Praelegere. Grenzenlos ist der Bachusdienst, die Sittenlosigkeit und Roheit der akademischen Jugend. Selbst ihre Tracht wird unsittlich. Von besonderer Roheit ist namentlich die sogenannte Deposition der Füchse" begleitet. Nicht selten sind Mord und Todschlag. Um ein Beispiel herauszugreifen, auf der von Nürnberg gegründeten Universität Altdorf ragt seit dem Herbst 1599 für einige Zeit Freiherr Albrecht von Waldstein hervor,

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welcher später als kaiserlicher Generalissimus über die Geschicke Deutschlands verfügt. Er läßt sich „allerlei Schweres" zu Schulden kommen, hat die Wachen geschmäht, einen Studenten in den Fuß gestochen, seinen Diener „so unmenschlich gezeichnet“, daß dieser nach Nürnberg in ärztliche Pflege geschickt werden mußte; beim Mord eines Bürgersohnes durch einen Studenten ist er mit im Spiele. Auch wird Klage geführt über seine und seiner Spießgesellen unerhörte Gottlosigkeit“. Natürlich interessiert uns da in erster Linie die Universität, an welcher Luther wirkte. Wittenberg war zwar von fast allen Nationen Europas ganz überfüllt. In der ersten Hälfte des Jahrhunderts zählt die Universität zuweilen 3000 Studenten; um das Jahr 1598 wird die Zahl auf über 2000 angegeben. Diese große Frequenz bietet aber für die Aufrechterhaltung von Zucht und Ordnung die größten Schwierigkeiten. Und so ziehen sich durchs ganze Jahrhundert bittere Klagen über Zucht und Sittenlosigkeit, von Melanchthon und Luther angefangen. Wilde Trinkgelage und Schlägereien kommen fast täglich vor und man kann kaum eine Wohnung finden, welche davor Sicherheit bietet. Die erste Klage Melanchthons, welche J. anführt, stammt aus dem Jahre 1537. Jeßt kommt ein viel früheres Zeugnis aus der wieder neu aufgelegten Chronik Oldecops, Stiftsdechants von Hildesheim (14951574) hinzu. (190. Publikation des literarischen Vereins in Stutt gart). Dieselbe enthält zahlreiche kulturhistorische Notizen, welche für diesen Band nicht mehr verwertet werden konnten, für den 8. Band aber benüßt sind. Oldecop wurde von seinem Vater von Wittenberg abberufen, weil ein Student erwürgt, zwei andere erstochen worden waren und er deshalb in Schrecken geriet“. Er führt das rohe, wilde, aufrührerische Benehmen auf die „lutherische Freiheit“ zurück, die viel Unglück gebracht habe.') Anders lautet ein Urteil Albert Burers, welcher mehrere Jahre der Famulus des Beatus Rhenanus gewesen und von ihm unterrichtet worden war. Er besuchte die Universität Wittenberg im Jahre 1521 und berichtet on seinen früheren Herrn am 30. Juni: Sunt hic studentes supra sesquimille; quos videas propemodum omnes biblia secum circumquaque gestare. Inermes omnes incedunt, inter omnes convenit. Nulla hic dissidia, quod tamen mirari quis possit inter tot tamque varias variarum nationum

1) Schon i. J. 1508 schrieb Jakob Wimpheling an den Kurfürsten Friedrich) von Sachsen, er möge sich der Studierenden an der neu begründeten Wittenberger Hochschule fürsorgend annehmen, ne teneri adolescentes et dociles scolastici, qui ad tuam achademiam convolabunt et patrimonium suum illic effundent, a laycis, ab emulis cleri, a satellitibus tuis contra omne ius inhumaniter invadantur, saucientur, transfodantur, ne pii parentes (cum ipsa substantia) charos filios non absque lachrymis et gemitu perdant, quos baculum senectutis sue, lumen oculorum suorum et residue vite ultimum solatium sibi sperabant affuturos. So in Lupoldus de Bebenburg, de iuribus et translatione imperii, Straßburg 1508 Fol. 11.

D. R.

gentes. Sunt hic Saxones, Prussi, Poloni, Bohoemi, Suevi, Elvetii, Franci orientales, Duringi, Missi et e multis aliis regionibus homines: attamen (ut dixi) belle inter omnes convenit. Luther weilte damals auf der Wartburg, Burer konnte seinen Aufenthalt nicht erfahren. Wie bald hörten die friedlichen Zustände auf, als unter Karlstadts Führung jene Bewegung losbrach, welche einen völligen Umsturz herbeizuführen drohte und Luther zum Einschreiten veranlaßte! Burer berichtet auch hierüber, sowie über Luthers Erscheinung und Auftreten. Die betreffenden Briefe dürften noch wenig berücksichtigt sein; daher glaubte Ref. auf dieselben hinweisen zu sollen (vgl. Briefwechsel des Beatus Rhenanus, herausg. von Horawiß und Hartfelder, S. 280, 293, 303. Derselbe enthält auch soust manigfachen kulturhistorischen Stoff). Auch die katholischen Universitäten werden mit in den Verfall hineingezogen, auch an ihnen herrschen ähnliche traurige Zustände. J. verschweigt das nicht, sondern berichtet auch hier über die einzelnen Universitäten. Aber wie im Mittelschulwesen, so haben auch für die Universitäten in den katholischen Gebieten die Jesuiten einer Umschwung herbeigeführt und unsterbliche Verdienste sich erworben, nament lich wo sie, wie in Graz und Dillingen, nicht mit der Eifersüchtelei der Professoren zu kämpfen hatten, sondern eine völlig freie Stellung einnahmen. Freilich war ihre Anzahl nicht so bedeutend, um überall, wo sie begehrt wurden, tüchtige Lehrkräfte stellen zu können. Nicht nur unterrichtete, sondern mit den lautersten Sitten ausgestattete Männer gingen aus ihren Anstalten hervor. Vielleicht hätte in erziehlicher Beziehung der Einfluß der gegen das Ende des Jahrhunderts von den Jesuiten ins Leben gerufenen Marianischen Kongregationen noch besondere Hervorhebung verdient (vgl. Niederegger, der Studentenbund der Marianischen Sodalitäten, sein Wesen und Wirken an der Schule, Regensburg 1884).

Im zweiten Teil verbreitet sich dann J. über die einzelnen Wissenschaften. Die hervorragendsten Leistungen auf den einzelnen Gebieten werden hier beigezogen und mit Unparteilichkeit gewürdigt, mögen sie von Katholiken oder Protestanten ausgegangen sein. Charakteristisch für die humanistischen Studien ist das Verschwinden der eigentlichen Humanisten. An ihre Stelle treten die Philologen. Die lateinische Dichtung leidet unter dem Dedikationswesen und unter der „Seuche" der Dichterfrönungen. Das Rechtsstudium, obwohl bevorzugt, weil einträglich, hat nur einige hervorragende Vertreter. Verkehrt ist die Methode des Kommentierens, eine Pest für das Recht die populäre juristische Literatur. Die Verdrängung der Volksrechte und des kanonischen Rechts durch das römische führt eine immer im Steigen begriffene Abneigung des Volkes gegen die Juristen herbei. Auch auf die geschichtlichen Studien übt die religiöse Umwälzung einen hemmenden und schädlichen Einfluß aus. Selbst protestantische Forscher geben zu, daß sie „die Veranlassung zu einer auf Parteileidenschaft und Tendenziösität beruhenden Geschichtsdarstellung“ wurde und daß sie auch in der Folge „durch den von ihr herbeigeführten und gestüßten Absolutismus der Fürsten ...

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