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stehen mithin in die ersten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts anzuseßen sein dürfte.

Razinger macht für die ersten Jahre des 13. Jahrhunderts auf die Beziehungen der Passauer Kirche zu der von Aquileja aufmerksam, wodurch auch eine Uebernahme des reichen Legendenschazes der lezteren Kirche durch die erstere erfolgt sei.1) Die Wirkungen dieses Verkehres zeigen sich in Passau in zweifacher Hinsicht: erstens bemüht man sich, nachdem die Wirren, welche die Passauer Kirche um die Mitte des 13. Jahrhunderts durchgemacht hatte, vorüber waren, sich ebenfalls in den Besiz ausführlicher Legenden zu sehen, und zweitens werden einzelne Züge aus den Legenden der Patriarchalkirche in die der Passauer Kirche übernommen. Die in Passau zwischen 1265 und 1291 abgefaßte vita Maximiliani, des Patrones dieser Kirche, zeigt beide Einflüsse vereinigt: die Erzählung wird möglichst ausgedehnt durch Einschaltung verschiedener, kaum in irgend einem Zusammenhang mit dem Heiligen und seiner Verehrung stehenden Nachrichten, zu deren Kenntnis man durch anderweitige Studien gelangt war: „Durch viele Jahre war in zahlreichen Geschichtsbüchern und unzählbaren Privilegien der Kirche geforscht worden“ (Kap. 23); andererseits beruft sich der Verfasser der Vita geradezu auf die Legende des hl. Hermagoras (Kap. 1 u. 21), der in Aquileja eine große Verchrung genoß.2) Uns interessiert hier die Angabe, daß fleißige Studien

1) Katholik, 1872, S. 599. 1896, S. 360.

2) Die Vita ist abgedruckt in Pez, SS. r. A. I, 22-34. Die Abfassungszeit dürfte kurz vor der feierlichen Uebertragung der Reliquien dieses Heiligen i. J. 1291 i. Hansiz, Germ. sacra 1, 35) anzuseßen sein, da dieses Ereignis und die zahlreichen darauffolgenden Wunder, von denen der Zeitgenosse Sigmar von Kremsmünster berichtet Loserth, Geschichtsqu. von Kremsm., S. 34 und Note 7) nicht erwähnt werden, obwohl der Verfasser der Vita ausdrücklich betont (c. 15), daß er die Wunder mitteile nicht wegen der Zeitgenossen, die ja alles selbst gesehen hätten, sondern damit die Nachwelt aus ihnen Vertrauen zur Fürbitte der Heiligen schöpfe. Das Jahr 1265 muß aber doch schon geraume Zeit vorübergegangen sein, da nach der Erzählung eines Ereignisses aus diesem Jahre (c. 16) ein anderes mit den Worten: moderno quoque tempore eingeleitet wird (c. 17). Auf den historischen Wert dieser Vita kann hier nicht näher eingegangen werden, da sie zu den geschichtl. Werken Passaus in unserem Sinne doch nicht gerechnet wird. Bekanntlich glaubte Dümmler (Pilgrim von Passau, S. 187, Anm. 10) den Beweis erbracht zu haben, daß dem Verf. der Bita keine schriftliche Aufzeichnung über das Leben des Heiligen vorlag, die Erzählung jei vielmehr eine trügerische Uebertragung der vita S. Pelagii auf den Namen Marimilian" (Dümmler, P. v. P. S. 79, Rettberg, Kirchengesch. Deutschlands II, 561, W. Glück, die Bistümer Norikums, Sißungsbericht d. k. k. Akad. d. Biss. zu Wien XVII. Sißg. v. 20. Juni 1856, Wattenbach, Geschqu. I1o, 490). Aber eine Aehnlichkeit zwischen diesen beiden Legenden besteht nur in einigen Angaben

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der Abfaffung dieser Vita vorangegangen waren. Diese Thatsache ist uns für Passau auch anderweitig bestätigt.

Nach dem Ableben des Herzogs Friedrich II von Oesterreich (1246) war wohl die Notwendigkeit öfters an die Passauer Bischöfe herangetreten, ihr Besizrecht in jener unruhigen Zeit zu verteidigen. Als in Passau selbst wieder Ordnung eingekehrt war, machten sich denn auch die Bischöfe sofort daran, Urkunden zu sammeln, zu kopieren, um die Einkünfte und Dienstbarkeiten, die sie für ihre Kirche zu beanspruchen hatten, nachzuweisen. Ein solches Verzeichnis entstand unter Bischof Berthold (1251--54) für das Spital zum hl. Aegidius und für die Erhaltung der Passauer Brücke.') Sein Nachfolger Otto von Lonsdorf legte schließlich eine umfangreiche Sammlung von Urkundenfopien an,

über das Leben des hl. Maximilian. Dessen ausführliche Passio könnte man eher mit der des hl. Quirin, des Bischofs von Siscia, vergleichen. Eine kritische Zerlegung dieser Legende in die einzelnen Teile, welche etwa aus anderen Legenden genommen wurden, ist meineswissens noch nicht veröffentlicht. Gut bemerk übrigens Razinger, daß diese Lebensbeschreibung des Heiligen nie liturgisch gebraucht wurde (Katholik, 1896, E. 360, 364). Die der abträglichen Charakteristik dieser Legende zugrunde liegende Behauptung Dümmlers, der Verfasser selbst gestehe, keine schrift liche Vorlage für die Lebensbeschreibung gehabt zu haben, ist aber ein Frrtum, dem Dümmler nur dadurch verfiel, daß er die betreffende Angabe (ea) zu merita, nicht aber zu innumerabilia miraculorum insignia, welche die Nachlässigkeit der Vorfahren nicht aufgezeichnet habe (c. 21), bezog. Diese Beziehung Dümmlers ist aber bei genauer Prüfung des Textes ausgeschlossen. Die Erzählungen der Wunderthaten des Heiligen sind auch durchgehends nur solche, wozu der Verfasser keine schriftlichen Aufzeichnungen benötigte; es werden nur Ereignisse der jüngsten Vergangenheit berichtet: moderno tempore (c. 17), novimus nomen et personam (c. 18), vidimus eum (c. 20), vidimus (c. 21); den Beginn bildet sogar eine bestimmte Zeitangabe: 1265 IV Cal. Nov. (c. 16). Chne Zweifel dürfen wir auch die Erzählung des c. 19, verissime testabatur, auf jene Jahre beziehen. Unbegreiflich sind die Schwierigkeiten, die D. in der Bezeichnung des hl. Maximilian als confessor findet, die erst im 13. Jahrh in martyr umgewandelt worden sei. Ein Blick in Du Cange (Neue Ausg. II, 496) hätte ihn aus zahlreichen Belegstellen überzeugen müssen, daß die ursprüngliche und häufigste Bedeutung des Wortes confessor die eines Bekenners durch Tod oder Leiden ist, die erst allmählich auf das Bekenntnis des Glaubens durch ein frommes Leben und einen seligen Tod eingeschränkt wurde. Uebrigens zieht D. nur die Kalendarien des 11. u. 12. Jahrh. zurate, während gerade in einem Freisinger Kalender aus dem 10. Jahrh. Maximilian als martyr aufgeführt wird (A. Lechner, mittel alterliche Kirchenfeste und Kalendarien, 1891, 10; Weßer u. Welte, Kirchenlexikon, 2. Aufl., VIII, 1090). Vgl. noch die durch zahlreiche Literaturangaben schäßenswerte Behandlung dieses Themas in A. Hubers Gesch. der Einführung des Christentums in Südostdeutschland 1, 77–132; über das Vorkommen des Namens Maximilian auf Römersteinen des 4. Jahrh. ebendort S. 98.

1) Monum. Boica, c. 29, 381–403.

die unter dem Namen des Londsdorfschen Codex1) bekannt ist (j. oben). Wir wissen, daß Otto von allen Seiten her die nötigen Abschriften sammelte und für deren Vollständigkeit besorgt war,2) daß sich ferner diese Thätigkeit auf alle kirchlichen Genossenschaften seiner ausgedehnten Diözese erstreckte und dadurch manche wertvolle Urkunde im Original oder in Abschrift vor der gänzlichen Zerstörung rettete.3) Zum Verständnisse der Urkunden und deren Ordnung war nun eine sichere Chronologie der einzelnen Bischöfe und der gleichzeitigen Ereignisse unbedingt notwendig. Diesem Bedürfnisse entsprach wohl die Abschrift der Salzburger Annalen, die wir, mit den bis dahin bekannt gewordenen Bischofsnamen und den Regierungszahlen vermehrt, als jene annales Patavienses gekennzeichnet haben, welche bis zum Jahre 1255, bis zum ersten Jahre des Bischofs Otto reichten und von Hundt benußt wurden (5. oben). Eine Erweiterung des Bischofskataloges aus der Masse von Urkunden war damit ermöglicht worden, die in den nächsten Jahrzehnten auch thatsächlich durchgeführt wurde. Als Abt Hermann von Altaich zur Feder griff, waren noch die oben charakterisierten Bischofskataloge in voller Geltung; 4) aber der Verfasser der vita Maximiliani fennt schon einen sehr erweiterten Katalog, der erst nach vielen Studien und endlosen Forschungen aus Geschichtsdarstellungen und Privilegien zustande gekommen sei (s. oben); er nennt ihn Catalogus Archiepiscoporum Laureacensium (Kap. 22). Eutherius, Quirinus und Maximilianus, die in Hundts annales Patavienses noch nicht genannt werden, kennt er schon als Erzbischöfe, aber die spätere Zeit wies noch große Lücken auf. Diese erklärt der Verfasser durch die Bedrängnisse, in denen die Lorcher Kirche Jahrhunderte lang sich befunden habe: durch die Auswanderung der Römer aus diesen Gegenden, die vielen Christenverfolgungen, Zerstörung vieler Kirchen und Städte durch die Angriffe der Barbaren, der Gothen, Gepiden, Hunnen und Alanen, der Vandalen und Heruler, der Markomannen, Quaden, Sarmaten, Avaren, Rugier, Winuler und schließlich der schrecklichsten von allen, der Ungarn, die sein Vaterland, ja ganz Europa kläglich zerstampft hätten (Kap. 23). Das sei die Ursache, warum so wenig Namen der Erzbischöfe von Lorch und ihrer Suffragane

1) Teilweise abgedruckt in Mon. Boica, c. 28, 193 ff. und in anderen Bänden zerstreut. Ueber das Inhaltsverzeichnis s. v.

*) Hermann von Altaichs Schreiben an Otto: Mon. Boica, c. 29, 5 und Mon. Germ. SS. XXII, 352.

3) Mon Boica, c. 29, 5 und Note.

*) Der in Mon. Germ. SS. XIII, 361, II a angeführte Katalog stammt aus den Schriften Hermanns.

crhalten seien. Wie man sieht, machte die Vorstellung von der Ausdehnung der alten Lorcher Metropolitankirche schon einen bedeutenden Schritt nach vorwärts. Zweiundzwanzig Städte werden aufgezählt (Kap. 24) als Erbe der Lorcher Kirche von den ersten christlichen Kaisern Philippus sen. und jun.,1) das Gebiet erstreckte sich vom Lech bis zur Theiß, von der Eger und Oder bis Liburnia (Tiburnia) an der Drau und zum Mittelmeere, also über ganz Pannonia und Moesia.

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Wie aus Kap. 22 hervorgeht, hatte der Verfasser der Vita auch schon einen Katalog der bayerischen Herzöge oder Könige" vor sich, dessen Unvollständigkeit durch die lange Abwesenheit der „Noriker und Baiern“ von den ihnen von altersher gehörigen Landschaften erklärt wird, die sie erst unter Theodo durch den Sieg bei Detting über die Römer wiedergewonnen hätten 508.) Eine Herzogsliste war ja wie ein Bischofskatalog in Passau notwendig geworden. Außer diesen Katalogen sind in die vita Maximiliani noch einige andere Schriftstücke verarbeitet, die sich durch die lose Art, in der sie mit den übrigen Teilen der Legende zusammenhängen, leicht herausschälen lassen. Die Partikel, welche sie einleiten, sind geradezu sinnlos aus der Vorlage herübergenommen worden, so z. B.: Igitur cum Eutherius etc. (Kap. 6) und Tunc igitur sancta Laureacensis Ecclesia etc. (Rap. 21, 2. Hälfte u. ff.). Den Inhalt kann man ungefähr als Urgeschichte der Lorch-Passauer Kirche bezeichnen. Die nähere Schilderung dieser Abschnitte können wir uns ersparen, sie sind, wie wir gleich sehen werden, samt den Katalogen von Passau nach Kremsmünster durch Sigmar gebracht worden und in dessen Schriften heute noch erhalten.

Eine ähnliche Arbeit wie Bischof Otto von Lonsdorf in Passau führte der verdienstvolle Abt Friedrich von Aich wenige Jahrzehnte nachher in Kremsmünster durch. Auch hier galt es zunächst, die Wirtschaftsverhältnisse zu regeln, durch Sammlung der Urkunden und Privilegien den Rechtsverhältnissen eine feste Grundlage zu geben und im Archiv Ordnung zu schaffen. Die uralten, innigen, wenn auch nicht immer freundlichsten Beziehungen dieser Agilolfingerstiftung zu den

1) Ueber die Legende, die sich an diesen Kaiser († 249) knüpft, vgl. Maßmann, Kaiserchronik, 376, in der Bibl. der ges. deutschen Nationalliteratur, 4. Bd., 3. Abt., S. 764-66; teilweise auch Riezler, Aventins Werke, II, 237, Note. Vgl. Razinger: Katholik, 1896, S. 360.

2) So steht es im Formbacher Codey. Andere Hss. haben 500, 608. Vgl. über diese Jahreszahlen Loserth, die Herrschaft der Longobarden usw. Mitteilg. d. Instit. f. österr. Geschichtsf. II, 3.

Bischöfen von Passau wiesen besonders auf diesen Ort hin, wenn man den eigenen Urkundenschatz ergänzen wollte. Die Ausführung dieser Arbeiten ließ der Abt durch den Großfellermeister Sigmar vollbringen, der denn auch um die Wende des Jahrhunderts (1290 und 1308) von seiten der Passauer Archivverwaltung die freundlichste Unterstüßung erfuhr.) Die Früchte seines Fleißes hat Sigmar in seinen Schriften hinterlassen, von denen für uns zwei von besonderem Interesse sind, nämlich der codex Vindobonensis 619 und der codex Cremifanensis 401.2)

Die Wiener Handschrift enthält einen catalogus Archiepiscoporum et Episcoporum Laureacensium et Pataviensium mit Jahren nach Christi Geburt und den Regierungsjahren, fortgesezt bis auf die Zeit des Schreibers: ferner einen Katalog der bairischen Landesfürsten von 508 bis 1231, jene Stücke der vita S. Maximiliani, die wir oben als Urgeschichte der Passauer Kirche bezeichnet haben (Kap. 21, 2. Hälfte, Kap. 22, 23, 24) und endlich eine kurze Bischofsreihe von Urolph bis Altmann ohne Zahlen aber mit charakterisierenden Zusäßen. Der Rand dieser Handschrift ist angefüllt von Notizen in kleinerer und fleinster Schrift, die sämtlich ebenfalls von Sigmar stammen.

Der Bischofskatalog beginnt schon mit den Namen, die, durch die Spekulation des 13. Jahrhunderts aus alten Schriften als Lorcher Erzbischöfe erkannt, auch in der vita S. Max. als solche genannt werden: Eutherius, Maximilian. Constantius wird übergangen.3) Von Erchenfridus an zählt der Katalog schon alle Namen, die auch in den Bischofsgeschichten des 15. und 16. Jahrhunderts vorkommen. Theodor, den Magnus von Reichersberg in die Geschichte eingeführt hatte, fungiert noch als einziger dieses Namens unmittelbar vor Vivilo. Eutherius hatte man in den Akten des Konzils von Sardika entdeckt, in denen

1) Loserth, Geschqu. von Kremsmünster, XV, XVI, 26, Note d, 102, 103. 2) Der erstere ist gedruckt in Lojerth, Geschqu. v. Nr., (I-IV) 1—17 und Mon. Germ. SS. XXV, 617–28; leßterer: Lojerth a a. D. 32–82 (83–109) und Mon. Germ SS. XXV, 651--78 (635–51). Ueber die Absassung beider durch Sigmar (nicht durch Vernhardus Noricus) s. Loserth, Sigmar und Bernard von Kremsmünster, Archiv f. österr. Gesch. LXXX1. Bd., 2. Hälfte, S. 348 ff. Hier ist auch die gesamte einschlägige Literatur bemerkt.

3) Dies ist auffallend; enthält doch ein Heiligenkreuzer Katalog, dem Eutherius und Maximilian noch unbekannt sind, schon diesen Namen unter den Lorch Passaner Bischöfen (j. o. S. 306). Quirinus fehlt auch; Dümmler ergänzt aus e. Hs. d. 15. Jahrh. : Gerhardus sedisse creditur. Wenn etwas zu ergänzen ist, so dürfte damals wohl Quirinus und nicht die spätere Ueberjeßung Gerardus zu ergänzen sein. In der vita Max. wird Quirinus bekanntlich schon als Erzbischof vorausgejezt.

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