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dem Beginn seines eigentlichen Apostolates. Daß er schon damals als einer der berühmtesten Redner in Spanien galt, ergeben eine Reihe von einander unabhängiger Thatsachen. Damals schrieb er in dem oben genannten Briefe an den Infant Martin del fet dels meus sermons... Jatsia que jamés per ninguna persona nols haja volgut comunicar e tinchino, Senyor, à gran honor, que vos siau lo primer e que la obra sia endereçada à la vostra Senyoria per letra, que posada al començament del libre en loch de prolech o prohemi. Diese Handschrift ist verschwunden. Die uns erhaltenen Sammlungen entstammen der Zeit seines zwanzigjährigen Apostolats. Als besonders wertvoll gelten Fages zwei Codices in Valencia und Perugia. Ersteren möchte er mit seinen Vorgängern als eine Originalhandschrift des Heiligen bezeichnen und er hat zwischen S. I und III der Einleitung zum ersten Bande eine photographische Nachbildung einer halben Seite gegeben. Der Charakter der Schrift entspricht unzweifelhaft der Zeit des ausgehenden 14. und beginnenden 15. Jahrhunderts. Die Ausfüllung der Alineas ähnelt gauz der Art und Weise, wie der gleichzeitig lebende Dominikaner Jakob von Socst jeden leeren Fleck Pergament benußte. Auch die wenigen Korrekturen würden gegen die Originalität nicht sprechen. Der mittelalterliche Gelehrte hat auch beim ersten Entwurf meist Reinschrift geliefert. Andererseits sind die Gründe für die Authentizität doch nicht genügend Einer im 16. Jahrhundert, also mehr als hundert Jahre nach dem Hinscheiden des Heiligen, auftauchenden Tradition zufolge hat Vincenz 1414 das Manuskript in Marella gelassen, von wo es dann später in die Hände des Erzbischofs zu Valencia Juan de Ribera kam. Man schließt nun aus Säßen wie: Socius meus frater Moya oder Et hic fui infirmus ab hac die . . w., daß der Heilige das Buch selbst geschrieben habe. Warum aber dann nicht ebenso gut diftiert? Und fann nicht selbst dieses Diktat schon wieder von einem Kopisten abgeschrieben sein? Ein gewissenhafter Kopist wird doch derartige Stellen nicht ändern. Aus ihnen folgt nur, daß das Original, welches aber nicht das berührte Manuskript zu sein braucht, entweder vom Heiligen selbst geschrieben oder diftiert ist. Gegen die Originalität spricht direkt, daß in der Handschrift Reden zweier anderer Prediger von derselben Hand cingetragen sind.1)

1) Fages, II, XC führt die Daten an und überläßt die Entscheidung dem Lejer. Ist das Manuskript thatsächlich in der Zeit vom 15. Februar 1411 bis zum Juli 1412 geschrieben (daselbst 379), so rührt es wahrscheinlich von einem Gehilfen des Heiligen her.

Viel umfangreicher ist der Coder von Perugia: Er enthält 477 Predigten oder Entwürfe und dürfte viel eher Anspruch auf Originalität machen, wenn die von einer gleichzeitigen Hand erfolgte Eintragung: Sermonarium scriptum per manus s. Vincentii ordinis Praedicatorum, quem (!) dedit conventui rus Magister Leonardus de Mansuetis de Perusio auf Wahrheit beruht. Außerdem existieren in Spanien, aber auch auswärts, eine große Anzahl von Predigthandschriften des. Hl. Vincenz.1)

Die Buchdruckerkunst hat sich der Predigten alsbald bemächtigt. Seit dem Jahre 1475 erscheinen sie, einzeln und gesammelt, in zahlreichen Auflagen bis ins vorige Jahrhundert,2) und einzelne Exemplare der sermones de tempore (oder auch sermones hiemales s. aestivales) und de sanctis finden sich wohl in den meisten Bibliotheken. Von den besondern Bearbeitungen sind die distinctiones b. Vincentii die befanntesten. Leider ist das Wenige, was Fages zur Charakterisierung des Unterschiedes von Handschriften und Drucken bietet, außerordentlich dürftig. Er, der die Handschriften selbst eingesehen hat, war allein dazu im stande, eine solche Arbeit zu liefern. Wahrscheinlich beschränken sich im allgemeinen die Abweichungen auf Veränderung der Disposition, daß Predigten an einer anderen Stelle untergebracht und einzelne Stücke auseinandergerissen werden. Innerhalb des Textes möchte ich keine wesentlichen Abänderungen vermuten.3)

Was sind nun diese handschriftlich oder gedruckt vorliegenden sermones? Schon der Umstand, daß sie fast alle lateinisch vorliegen, bringt uns schnell auf die Fährte: Es sind nicht Aufzeichnungen gehaltener, sondern die Entwürfe der noch zu haltenden Predigten Vincenz predigte höchst wahrscheinlich, abgesehen von einem besonderen Publikum, immer

1) Die Möglichkeit einer Feststellung läge vor, wenn die Marginalnoten zur Summa des hl. Thomas (vgl. Il, XLIV) zur Vergleichung herangezogen würden. Eder sind sie nicht mehr vorhanden? Bei Fages läßt sich selten feststellen, was denn noch thatsächlich handschriftlich erhalten ist.

die Liste nicht vollständig Auch in neuerer Zeit sind

2) Fages II, 425 zählt eine Anzahl auf, doch ist Die aus dem 15. Jahrh. s. bei Hain von Nr. 6998 an. noch einzelne ungedruckte erschienen, so 1872 f. in der Zeitschrift La Cruz.

*) Wenn Fages II, 427 jagt: Le sermon du recueil de Morella, tout en catalan, pour la fête de saint Pierre et saint Paul est en latin dans l'édition de Damien Diaz, so kann Diaz doch ganz gut aus einer anderen HS., die den lateinischen Text enthielt, geschöpft haben.

in seiner Landessprache,1) hat aber, wie z. B. unsere deutschen Prediger im 15. Jahrhundert seine Entwürfe erst lateinisch niedergeschrieben oder schreiben lassen. Einen entwurfartigen Charakter zeigen besonders die Stellen, auf die ich in den gedruckten Predigten oft gestoßen bin: exponatur, wenn die Zeit da ist oder es passend erscheint, u. s. w.2)

Natürlich bieten uns diese Entwürfe nur einen schwachen Abklatsch der von Vincenz thatsächlich gehaltenen Predigten, die tausende und abertausende so entflammten, daß sie alles, Haus und Verwandte, verließen, um ihm zu folgen. Vincenz war der geborne Volksredner,3) der größte unter den großen des 15. Jahrhunderts.4) Seinem Zauber unterlag alles selbst widerwillig 5) Könige, Kirchenfürsten, Geistliche und der gewöhnliche Mann. Auch aus den Entwürfen leuchtet allerorten das Volkstümliche heraus,") freilich geht es zuweilen, dem Geschmacke

1) Man vgl. nur folgende Zeugenaussagen: Et licet idem magister Vincentius praedicando loqueretur in suo vulgari idiomate Cataloniae seu Valentino, tamen omnes tam Tolosani quam Baschones et Gallici ... dicebant . . . intellexisse. Ferner: Et illi, qui erant Theutonici et Francigenae et aliarum linguarum audiebant et intelligebant ipsum loquentem lingua Catalana. Die Zeugen stammen aus ganz verschiedenen Gegenden. Wenn es heißt bei einem Zeugen aus der Bretagne: Britones britonizantes licet non intelligerent Gallicum, intelligebant tamen praedicationes, so liegt darin doch wohl nicht, daß Vincenz französisch gesprochen hat. Die Stellen bei Fages I, XXXVIII. Aus einer Stelle in einem Briefe des Nikolaus de Clemanges sollte man annehmen, daß er italienisch verstand.

Interessant ist das Latein der Predigten. Wo dem Heiligen der klassische Ausdruck mangelte, latinisierte er ein spanisches Wort oder seßte es wohl in der landesüblichen Form in den lateinischen Text.

*) Einmal sollte er vor dem aragonesischen Könige sprechen. Er bereitete sich jorgfältiger vor als gewöhnlich. Die Rede gefiel nicht: Era mas el ruido (Lärm) que la nuezez (Nüsse), sagte der König. Am andern Tage sprach er in seiner ge= wöhnlichen Manier und er entzückte alle.

*) Ich habe prächtige Reden gehört, ich kenne zahlreiche bedeutende Redner. Aber seines gleichen habe ich nicht gefunden und ich trage keine Bedenken es zu sagen, seines gleichen wird es nicht mehr geben. Die großen Redner in Rom halten keinen Bergleich mit ihm aus. So deponiert der Jurist Pierre Gautier. Fages II, 371.

5) Ein Beamter erzählt, daß er und andere sich vorgenommen hatten, ihm durch Fragen eine Falle zu stellen; aber keiner von ihnen hätte die Ausführung ge= wagt; als er am folgenden Tage gesprochen, habe, sei es gewesen, als ob er in ihre Seelen geschaut habe. Denn gerade ihre Punkte habe er besprochen.

Fages hat II, 381 ff. einiges interessante Material geboten. Ich fand eine Stelle in den sermones, wo er darauf hinweist, was ein Geistlicher in der Beichte thun solle, wenn ihm jemand erkläre, er habe seine Sünden vergessen: er solle ihn nur sofort nach den Schlechtigkeiten seines Nachbars oder seiner Nachbarin fragen, dann würde man sehen, wie viel er zu erzählen wisse.

jener Zeit entsprechend, über die Grenze deffen hinaus, das wir als volkstümlich bezeichnen würden. Das hat schon Cesare Cantu betont, und wenn Fages dagegen polemisiert, so mag er insofern recht haben, daß Cantu es zu scharf hervorgehoben hat und von einer Verweltlichung der Predigt gesprochen hat; aber manches ist doch außergewöhnlich, wenn es auch immer nur einzelne Stellen sind.')

Soviel kulturhistorisch und für die Charakteristik der Persönlichkeit aus den Reden zu schöpfen ist, für die Vita liefern sie doch nur ganz vereinzeltes Material.2) Es würde überhaupt um sie schlecht bestellt sein, wenn wir aus den Werken des Heiligen allein sein Bild zeichnen müßten. Da treten ein:

2. Die zeitgenössischen Quellen. a) Briefe an Vincenz sind wenigstens in größerer Anzahl erhalten als seine eigenen; vor allem vom aragonesischen Königshause und seiner Vaterstadt Valencia. Inniger ist wohl selten das Verhältnis eines Unterthans zu seinem Herrscher gewesen. Sind auch nur zwei Briefe Martins an ihn erhalten aus dem Jahre 1409, gerade aus der Zeit, wo Vincenz den durch den Tod seines Sohnes geknickten König veranlaßte, noch einmal zu heiraten, jo waren das sicherlich nicht die einzigen. König Ferdinand verdankte ihm seine Krone; sein religiöser Sinn trieb ihn wiederholt an, den Rat des Heiligen einzuholen, das seit anfang 1414 immer lebhafter bei ihm hervortretende Verlangen, die Einigung der Kirche auf jeden Fall herbeizuführen, bewirkte auch einen lebhaften Briefwechsel mit Vincenz, den er für Morella, Nizza und Perpignan zu interessieren suchte, freilich zunächst nicht mit allzu großem Erfolge. Und als vielleicht infolge eines Mißverständnisses sein ältester Sohn Alfons in den Verdacht gekommen war, daß er Vincenz in der Juden- und Maurenbefehrung entgegenarbeitete, richtete dieser schleunigst an seinen Vater ein Schreiben, worin er erflärt: Al qual dit maestre Vicent. . . voldria complaure en tot ço, que pusques honestament Später hat er dann auf alle Weije brieflich durch König Sigismund und das Konzil selbst versucht, ihn

1) Ich führe hier nur an aus einer Predigt, wo er die Beichte vergleicht mit der Rekonvalescenz, vom Syrup der Reue bis zum Huhn der geistlichen Gesundheit: Dum post ista per confessionem dat licenciam, ut possit comedere pullum, scilicet carnem delicatam, et hoc est per communionem, in qua datur quidam pullus delicatus et endrellet, scilicet Jesus Christus, natus de la lloca et gallina beata Maria. Das ist doch schwer ins Deutsche zu übertragen.

2) Leider fehlen seine wichtigsten Reden, die er bei kirchenpolitischen und poli: tischen Aktionen gehalten hat. So predigte er z. B. vor der Wahl in Caspe und am Tage der großen Subtraktionsentziehung in Perpignan. Beide Reden fehlen.

zum Besuch der Kirchenversammlung zu bewegen 1) Ein Dußend Schreiben richtet die Stadt Valencia) an ihren großen Sohn: in allen Nöten bei Zwietracht, Pest, religiösen Wirren, stets wird Vincenz herangezogen.") b) Die über Vincenz handelnden Briefe sind nur wenige, darunter aber so interessante, wie die prächtige lebenswahre Schilderung, die der bekannte Theologe Nikolaus von Clemanges von ihm entwirft und die packende Darstellung seiner Missionierung in Orihuela und Majorka, sowie ihre Erfolge.4) c) Neu in die Lebensbeschreibung eingefügt sind, wie schon kurz erwähnt, die zahlreichen Eintragungen in den Stadtbüchern, so in Toulouse, Lyon, Freiburg (i. Schw.) für die Zeit, in welcher der Heilige dort predigte. Durch sie sind die Irrtümer in den Lebensbeschreibungen beseitigt und zahlreiche Lücken ausgefüllt. Sehr oft zieht Fages auch ältere, wenn auch nicht gleichzeitige Aufzeichnungen, Stadtchroniken des 16. und 17. Jahrhunderts heran; hier ist die Kontrole schwer, da niemals ersichtlich ist, auf welche ältere Quellen derartige Berichte zurückgehen. d) Sehr dürftig sind die Berichte der gleichzeitigen Chroniken; meist begnügen sie sich mit der bloßen Namensnennung oder einer kurzen Charakterisierung. Wohl alle Chroniken seiner Ordensgenossen nennen ihn den Ruhm ihres Ordens, aber keiner hat mit Ausnahme von Johannes Nieder sich ernstlich bemüht, etwas Neues über ihn zu erfahren.5)

3. Die Kanonisationszeugen und Razzano. Bis jet galt nach dem Vorgange der Acta SS. die Vita des Humanisten Razzano als die eigentliche Quelle für das Leben des hl. Vincenz und es ist ein Hauptverdienst von Fages, durch seine Funde diese stark verdächtige Quelle in den Hintergrund gedrängt zu haben. Schon bald nach dem Hinscheiden des großen Bußpredigers bemühten sich hervorragende welt

1) Die hierhin gehörenden Briefe der königlichen Familie stehen Fages I, 228, 234; II, 50, 63, 68, 78, 105, 126, 147. Außerdem in den Appendices.

2) Die Briefe Valencias I, 70, 73, 81, 136, 260, 268, 288; II, 39, 43. 3) Sogar so fern liegende Dinge wie die Aufrechthaltung von Sitte und Ordnung wurden ihm zur Entscheidung übertragen. So erwirkte er, daß die Courtisanen nicht mehr in der Stadt Valencia umherlaufen, sondern sich nur in einem ihnen be onders zugewiesenen Stadtviertel, das er eigens absondern ließ, aufhalten durften. Fages I, 83.

) Fages I, 186, 290; II, 56.

5) Vgl. Stella für Genua in Muratori, Rer. Ital. SS. . . . Nieder in seinem Formicarius 1. II c. I. Den hl. Antonin wird man nicht mehr zu den eigentlichen Quellen nehmen können. Gbenso die anderen von den Bollandisten herangezogenen Autoren.

Historisches Jahrbuch. 1896.

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