Page images
PDF
EPUB

großen Schismas. Der Beichtvater Benedikts XIII, der vertraute Ratgeber Ferdinands I von Aragonien, der Freund so vieler uns aus der Kirchengeschichte bekannten Kirchen- und weltlichen Fürsten nimmt an hervorragenden Ereignissen politischer und kirchlicher Art teil; er unterschreibt z. B. den Wahlakt von Caspe, der die aragonesische Krone einem andern Geschlechte zuwandte, und hält bei den Verhandlungen von Perpignan die entscheidende Rede. Sein Predigtgebiet umfaßt ganz Spanien, selbst das maurische, Frankreich südlich der Linie, die man von der Bretagne über Besançon nach Freiburg in der Schweiz ziehen kann, und Norditalien, soweit Benedikts XIII Obedienz reichte.

Um so mehr muß man sich wundern, daß wissenschaftliche Arbeiten über sein Leben und Wirken in neuerer Zeit eigentlich gar nicht erschienen find. Wir haben wohl eine Reihe häufig kritikloser Biographien spanischer Herkunft aus vergangenen Jahrhunderten, italienischer und französischer aus diesem Jahrhundert. Die leßte deutsche, wissenschaftlichen Charakters stammt aus dem Jahre 1830 von einem Schüler Neanders;') sie stellt die Hauptthatsachen aus dem Leben des Heiligen im engen Anschluß an die Acta Sanctorum ohne tiefere Kritik mit einem gewissen wohlwollenden Verständnis zusammen; von Heller rührt auch der Artikel Vincenz Ferrer im Kirchenlexikon von Herzog her. Schon vor einer Reihe von Jahren betonte der berühmte Sprachforscher Paul Meyer, daß die meisten Biographien von Diago (dem ersten) bis auf Pradel, dessen Saint Vincent Ferrier 1864 erschien, nur Panegyristen seien, die kritiklos den mittelalterlichen Biographen Razzano ausschrieben; und doch müsse in der Hand eines tüchtigen Forschers, der Lofalchroniken und Archive richtig auszubeuten verstehe, eine Biographie des merkwürdigen Mannes großes Interesse gewinnen.

So mußte man denn eine neue Lebensbeschreibung mit Freuden begrüßen, die den Auspruch macht: Rien d'essentiel n'est resté dans l'ombre, und deren Verfasser nicht weniger als 15 Jahre dafür gesammelt und daran gearbeitet hat,3) zumal die Ordensapprobation zu anfang des ersten Bandes die doch etwas außergewöhnliche Bemerkung trägt: Les abondants documents qui s'y trouvent formeront une notable

1) L. Heller, Vincentius Ferrer nach seinem Leben und Wirken. Berlin, 1830. 2) Romania, Bd. X (1881), p. 229.

3) P. Fages, histoire de saint Vincent Ferrier, apôtre de l'Europe. Paris. 2 Bde. (Chue Jahr. Anscheinend 1894).

contribution à l'histoire ecclésiastique pendant le grand schisme, ') und fein geringerer als L. Duchesne dem zweiten Bande das Geleitwort gab: Votre ouvrage est assez riche en preuves de toutes sortes pour que nul, désormais, ne puisse s'occuper de saint Vincent Ferrier ou de son époque sans vous consulter

Ein merkwürdiges Buch! Es ist kein eigentliches Geschichtswerk und auch keine Heiligenlegende. Der Verfasser hat beiden Teilen genügen wollen: dem Forscher und dem Beter; er wollte ein wissenschaftliches Werk schreiben, das zugleich erbanen sollte, und dazu fehlte ihm die Kraft.) So folgen sich im bunten Durcheinander Ergebnisse kritischer Forschung und anmutiger Sagen; Darstellungen hochpolitischer Vorgänge und landschaftliche Schilderungen. Hätte er für beide Richtungen ein besonderes Werk abgefaßt, so würde er unzweifelhaft weitere Kreise befriedigt haben. Wo er das Gebiet der allgemeinen Kirchen: oder politischen Geschichte betritt, fann man dem Verfasser nur mit der größten Vorsicht folgen. Irgend welche Spezialwerke, die nichts mit dem Heiligen zu thun haben, sind ihm unbekannt; die größten Schnißer begegnen einem bei den bekanntesten Thatsachen.") Bei der Einteilung in vier Bücher hat er jedem Teile documents und appendices angehängt. Doch darf man nicht glauben, wie es zuerst den Anschein hat, daß dieje Dokumente ungedruckt seien; die meisten sind aus mehr oder minder zugänglichen Werken entnommen und nicht immer mit der gehörigen Genauigkeit. Wichtiger sind die appendices; 4) unter ihnen sind

1) Dieser Sah rührt wohl von dem mitunterzeichneten Examinator Prof. Wandonnet in der Schweiz her, der sich mit Arbeiten zur Geschichte des großen Schismas beschäftigt.

2) Wiederholt entschuldigt sich der Vf. wegen seiner Kritik. Vgl. S. X Bd. 1 und das Schlußwort des 2. Bd.: Jusqu'à la limite extrême du possible, j'ai respecté les traditions, mais je n'ai qu'une foi relative aux songes, par exemple, et aux impressions maternelles; je crois que, plus d'une fois, le chien de saint Dominique a fait rêver. Was er von der bösen modernen Kritik hält, äußert er bei der Erwähnung des großen spanischen Historikers Geronimo Zurita S. CXIV des 1. Bandes): Honnête, il ne pensait pas qu'on pût soupçonner Thonnêteté. Est-il possible qu'un historien soit de mauvaise foi? Ce phénomène était réservé à nos siècles déchus.

*) Nur ein Fall! Um zu beweisen, daß das Papsitum stets Schiedsrichter in Europa gewesen, selbst in den traurigen Zeiten des Schismas, heißt es II, 94: Le pontife Romain pouvait déposer l'empereur: il déposa de fait l'indigne Venreslas, auquel succèda Robert de Bavière, élu le 20. avril 1401. Davon ist nichts richtig.

*) Die Numerierung ist in Unordnung. Der Vf. zählt im Text die beiden Appendices jeden Bandes durch, während im Anhang jeder Appendix wieder mit A beginnt.

wertvolle kleine Untersuchungen, von denen ich einzelne später näher besprechen werde, z. B. über den angeblichen Aufenthalt des Heiligen in Bologna und in Konstanz. Hiezu gehört auch die dankenswerte Uebersicht über die Literatur: Vincent Ferrier et l'histoire (S. LXXXVI bis 133), der man ihre Breite leicht verzeiht.

Trog aller Schwächen hat das Buch seinen Wert, weil der Autor mit staunenswertem Fleiße jeder einzelnen Notiz über den Heiligen nachgegangen ist. An gedrucktem Material ist ihm nur weniges entgangen, wohl fast nur deutsche Quellen. Wichtiger sind aber die zahlreichen ungedruckten Nachrichten. So gelang es ihm in Valencia cine große Materialiensammlung des 1775 gestorbenen Dominikaners Teyridor aufzudecken; der Archivar des dortigen Dominikanerkonventes hatte sein ganzes Leben lang zusammengesucht, was er in den Ordensarchiven und in den Registerbänden des Ayuntamiento über den hl. Vincenz finden fonnte und nichts davon veröffentlicht. Wertvoller noch er scheinen die von Fages aufgespürten Rechnungen und Verordnungen der Städte, die Vincenz auf seiner Predigtfahrt besucht hat. Manches köstliche Stück hat er da ausgegraben, das in der materiellen Form der Wein- oder Kleidersschenfung an den Heiligen und die ihm folgenden Scharen die Verehrung bekundet, die er überall genoß; das zugleich die untrüglichste Handhabe bietet, um ein festes chronologisches Gerippe für die lezten 20 Lebensjahre zu erhalten. Schließlich ist es dem Verfaffer gelungen, Bruchstücke der Zeugenaussagen aus dem Kanonijationsprozesse aufzufinden, die man verschollen glaubte; sie ermöglichen es, die bisherige umfangreichste maßgebende Quelle für die Biographie des Heiligen, die Vita des Razzano, zu kontrolieren.')

Eine Uebersicht des Quellenmaterials, das m. E. jezt in der Hauptmasse vorliegt und höchstens noch durch unbedeutendere Einzelfunde vermehrt werden kann, dürfte verbunden mit einigen kritischen Bemerkungen nicht ohne Interesse sein.2)

1. Die Werke des Heiligen. Seine literarischen Arbeiten sind verhältnismäßig nicht zahlreich und auch nicht umfangreich; freilich für

1) Leider hat Fages alles mögliche gethan, um die Uebersicht und Benußung seiner Findlinge zu erschweren. Sie sind meist in Form von Noten unter den Text gesezt, oft ohne genauere Angabe des Fundortes.

2) Mehr wie eine Uebersicht kann ich nicht bieten. Ich möchte nur die Aufmerksamkeit der Forschung auf den Mann lenken, der einst die halbe kultivierte Well in Bewegung seßte. Zu weiteren Untersuchungen bedürfte es vor allem der Einsichtnahme der HSS.: der Vita des Razzano und der Sermone.

die lezte Periode seines Lebens hatte er kaum Zeit zu einem derartigen, Ruhe erfordernden Schaffen. Brauchte er doch, um einen Brief an seinen Ordensgeneral fertig zu stellen, mehrere Monate. Darf man es auch gerade nicht so buchstäblich nehmen, daß er täglich nur ein paar Zeilen hätte hinzufügen können, so ist es doch (unzweifelhaft sicher, daß bei dem anstrengenden Wanderleben mit den täglichen, oft wiederholten Predigten es ihm unmöglich war, eine umfangreiche literarische Thätigfeit zu entfalten. Seine wissenschaftlichen, firchenpolitischen und wohl auch die afletischen Werke stammen sämtlich aus der Zeit vor 1399; die lehten 20 Jahre haben nur seine Predigtentwürfe und einzelne Briefe. gebracht. Eine wesentliche Bereicherung hat unsere Kenntnis seit QuétifEchard hierüber nicht erfahren. a) Wahrscheinlich aus seinen jüngern Jahren, zum teil seitdem er als Lektor der Theologie seit dem 9. Dezember 1385 an der Kathedrale zu Valencia angestellt war, stammen die annotationes zur Summa des hl. Thomas von Aquin, die suppositiones logicae und der tractatus de unitate ipsius universalis. Von allen denen sind bis jetzt nur Bruchstücke publiziert.') b) Von den astetischen Schriften hat die weiteste Verbreitung erlangt der tractatus vitae spiritualis, übersezt ins spanische, italienische und französische:2) Hier wird das Idealbild des wahrhaft frommen Menschen in seinen verschiedensten Richtungen gezeichnet. Das ursprünglich spanisch ge= schriebene und wiederholt edierte Büchlein Mysteris y contemplacions de la missa, auch De las ceremonias de la missa tituliert, erscheint in einer Sammlung seiner Schriften auch in lateinischer Sprache.3) Der Tractatus valde utilis et consolatorius in tentationibus circa fidem scheint in der seltenen Sammlung von Antist gedruckt zu sein.4) c) Die 1380 über das Schisma geschriebene, Peter von Aragonien ge

1) Die ersteren werden aufbewahrt in Saragossa. Vgl. Fages II, 433 Anm. der Beginn der zweiten Schrift: Incipiunt supposiciones magistri Vincentii ... in civitate Valencie. Da er seit 1388 als Magister erscheint, so ist die Entstehung dieser Schrift wohl in die nächstfolgende Zeit zu seßen. Vgl. Fages I, 81.

Gedruckt zuerst Magdeburg 1493 als Tractatus (Fages hat Compilatio) de interiori homine formativus. In Venedig erscheint 1500 Tractatus de vita spirituali. Vgl. Hain Nr. 7023 u. 24. Quétif-Echard, SS. ord. Praed. I, 767 erwähnen eine Recognitio hominis interioris, die sich mit obigem wohl unzweifelhaft dedt. Vgl. auch Heller S. 22 f. Anm. 20. Die Uebersezungen dort und bei QuétifEchard 766. Fages, II, 432.

3) Editionen bei Fages 11, 432.

*) Fages II, 432 erwähnt ebenso wie Heller 24, Anm. 22 nur eine Criginalhandschrift (?) nach Duétif-Echard.

widmete Abhandlung.1) d) Von dem Briefwechsel, des Heiligen sind uns nur sieben vollständige Schreiben und zwei Bruchstücke erhalten : Zwei ohne Jahr an den Infanten Martin von Aragonien (also vor 1390) über seinen Besuch und Sendung seiner Sermone; 2) dann an denselben ein Glückwunsch bei seiner Thronbesteigung 1395; nur ein Monatsdatum trägt ein Brief an seinen Bruder, den Karthäuser Bonifaz Ferrer, worin er ihm die Mitteilung von multa nova terribilia et miranda anfündigt; 1410 zeigt er seine Ankunft in Valencia an; das Fragment cines Schreibens an Gerson ist beim Konstanzer Konzil zu behandeln; von größerer Bedeutung sind nur der Brief an König Ferdinand von Aragonien, worin er 1414 eine Kreuzerscheinung in Guadalaɣara_dentet, und vor allem das Schreiben an seinen Ordensgeneral vom 17. Dezember 1403, das seine anderthalbjährige Predigtṛahrt durch die Alpenthäler schildert, und sehr wichtige Nachrichten über Waldenjer und andere Seften in den Diözesen an der schweizerisch-französisch-savoyischen Grenze gibt; schließlich der berühmte Brief an Benedikt X!II über den Antichrist und das Ende der Welt vom 27. Juli 1412, worin er dem Papst auf seine Aufforderung hin Aufklärung über seine Ansichten über das Weltende gibt; nach ihm war der Antichrist schon mehrere Jahre geboren.3) Die Zahl der Briefe ist nicht groß; unzweifelhaft haben mehrere existiert, da aber schon seit den Zeiten von Antist, seit Ende des 16. Jahrhunderts troß eifrigen Durchstöberns der Archive fast nichts mehr gefunden wurde, so dürfen wir faum mehr die Hoffnung auf neue Funde hegen. e) Die Sermonensammlungen. Vincenz soll nach Aussage eines Kanonisationszeugen mehr als 20,000 Predigten gehalten haben; eine ungewöhnliche und in der Höhe nur dann glaubwürdige Leistung, wenn er wirklich, wie mehrfach betont wird, Tag für Tag mehrmals gepredigt hat. Jedenfalls ist nur ein geringer Bruchteil auf uns gekommen. Zuerst hören wir von einer Sammlung vor dem Jahre 1395, also vor

1) Auf sie komme ich weiter unten zu sprechen. Ebenso auf eine zweite kirchenpolitische Schrift Vincenz. In diese Kategorie könnte man auch sein Votum bei der Königswahl in Caspe (1412) zählen.

2) Martin kam 1395 zur Regierung. Es sind übrigens nicht die einzigen Brieje, die Vincenz an Martin schrieb, denn zu anfang des Schreibens vom Tage des hl. Sebastian heißt es: Del solve pus, senyor, teniù per cert del fet dels meus sermons, segons que en l'altra letra vos fiu saber. Darüber wissen wir nichts.

3) Vgl. die Briefe Fages, I, 253, 289, VII, XXXI, XXXVI und II, 433 und IX, Hain verzeichnet unter Nr. 7016-22 ein opusculum de fine mundi, sechsmal in lateinischer, einmal in deutscher Ausgabe für das 15. Jahrh.; zuweilen als trac tatus, zuweilen als sermo („predigt“) bezeichnet. Es wird die Predigt sein, die Vincenz gehalten hat und wegen der er bei Benedikt denunziert war; wahrscheinlich) deckt es sich teilweise mit obigem.

« PreviousContinue »