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und sie gilt für uns umso wertvoller, als die Anlage dieser Annalen in die Zeit des Bischofs Otto von Lonsdorf (1254–65) versezt wird. Bez. Dümmler und Lorenz halten an dieser Abfassungszeit fest. Razinger1) bestritt diese Annahme und erklärte die fragliche Quelle für eine spätere Kompilation. Diese Auffassung hält Razinger auch fest, als er die früher als Hauptargument angeführte Nachricht über Bischof Konrad II, von anderer Seite über ihre Richtigkeit belehrt, im wesentlichen anerkannte. 2) Gegen ihn polemisierte Schirrmacher an vielen Stellen seiner Monographie über Albert den Böhmen, und fand oft Gelegenheit, die „Glaubwürdigkeit der von den unverwerflichen Passauer Annalen gebrachten Aufzeichnungen") nachzuweisen. Im Anhang verbreitet sich derselbe Verfasser noch in zusammenhängender Darstellung über „die Echtheit der Passauer Annalen (annales Patavienses)".) Sie feien enthalten bei Schreitwein, Brusch und Hundt. Des legteren Text sei aber ohnehin mit geringer Ausnahme nichts anderes als der wörtliche Text von Bruschins' Werk. Auch Aventin habe sie benut. Sowohl die historische Erzählung als auch die Lamentation bei Schreitwein und Brusch stamme wahrscheinlich von demselben Verfasser, der unter Bischof Otto von Lonsdorf lebte. An eine Zergliederung des von Brusch und Schreitwein gebrachten Stoffes dachte Schirrmacher nicht, obwohl ihm bei den verschiedenen Berichten beider doch klar sein mußte, daß nicht in jeder der beiden Darstellungen die annales Patavienses ausgeschrieben jein konnten. Wie Dümmler glaubte auch Schirrmacher, daß Hundt das Werk von Brusch ausgeschrieben und nur um einige Zitate aus der Passauer Originalquelle vermehrt habe, die seine gedruckte Vorlage nicht enthielt.) Die ersten Berichte über Alberts Wirksamkeit, die Schreitwein nicht enthalte, seien von Brusch und Hundt irrtümlich aufgenommen worden. Winkelmann fand Schirrmachers Darstellung so gründlich, daß er bei der Rezension derselben behauptete: Der Beweis der Glaubwürdigkeit der Annalen ist vollständig gelungen.")

Gegen Schirrmacher veröffentlichte Rahinger neuerdings eine Reihe von Aufsägen über Albert den Böhmen, in denen er in jeder Weise jeinen früheren Standpunkt aufrecht erhält. Riezler anerkennt ihre

1) Histor. polit. Blätter, Bd. 60, S. 924-43 (bes. S. 939).

*) Ebenda, Bd. 61, S. 535-41.

*) Albert v. Possemünster, S. 100.

4) Ebenda S. 171-86.

*) Dümmler, Piligrim von Pajjau, S. 97.

Sybels historische Zeitschrift, Bd. 27, S. 159.

Historisches Jahrbuch. 1896.

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Gründlichkeit, während sich Lorenz im allgemeinen ablehnend verhält. In betreff der annales Patavienses fommt Raginger in dieser Studie zu folgenden Resultaten: Für die Zeit des Albert Bohemus sind die bei Schreitwein, Bruschius und Hundt vorkommenden Angaben keineswegs sämtlich aus den Passauer Annalen geschöpft. Bei Schreitwein lassen sich deutlich drei verschiedene Quellen unterscheiden. Bruschius lag jener Teil der Quellen Schreitweins, dessen Verfasser Albert gleichzeitig gewesen sei, nicht in ursprünglicher Form vor, sondern in einer Neberarbeitung und in einem nur mangelhaften Auszuge. Schirrmachers Annahme, alle Angaben, welche bei Schreitwein, Bruschius und Hundt vorkommen, seien Nachrichten der Passauer Annalen, welche in gleicher Weise allen drei Autoren vorgelegen hätten, ist durchaus unhaltbar. Schreitweins Nachrichten sind nicht eine annalistische Darstellung, sondern eine historische Rechtfertigungsschrift, deren Mittelpunkt Albert Bohemus bildet.) Es ist auch sehr fraglich, ob Bruschius seine Angaben über Albert aus den Passauer Annalen schöpfte. Allenfalls könnte die Gelegenheitsschrift, die bei Schreitwein vorliegt, später bei Abfaffung der Paffauer Annalen mitbenutzt worden sein. Es ist möglich, vielleicht wahrscheinlich, aber keineswegs erwiesen, daß Bruschius dieses Material in den von Hundt beschriebenen Annalen vorfand. Hundt hat vielleicht, wie ihm schon Gewold vorgeworfen, die Passauer Annalen gar nicht eingesehen und hat den Annalen, welche er bei Aventin vorfand, wieder ebenso willkürlich, wie bei Bruschins, die Passauer Annalen substituiert. Vielleicht sind die Hundtschen Annalen identisch mit dem vetus liber Formbacensis, den Bruschius im Kloster Formbach benußte.2) Mit dem vorausgehenden Teil der Passauer Annalen, namentlich was ihr Verhältnis zu den (jogenannten) Lorcher Fälschungen betrifft, versprach Rahinger an anderer Stelle sich eingehend zu befassen.3)

Das ist der heutige Stand der Forschung über die Passauer Annalen. Zu einer entgiltigen Entscheidung dieser Frage haben Razingers Untersuchungen also nicht geführt,) sie lassen schließlich alles im ungewissen. Doch muß dankbar anerkannt werden, daß seine übrigen Forschungen, die sich auf die Hauptperson seiner Abhandlungen beziehen, einer end

1) Hist.-pol. Bl. Bd. 84, S. 837, 841, 843.

2) Hist. pol. B1. Bd. 85, S. 105, 107, 112, 113.

8) Ebenda, Bd. 84, S. 837. Der Formbacher Herkunft dieses Coder schließt sich Razinger auch in seiner neuesten Arbeit an: Lorch u. Passan, im Katholik 1896, Aprilheft, S. 361, 365. Dieselbe enthält aber über die Passauer Annalen nichts Neues, der Vf. verweist auf seine früheren Untersuchungen.

4) Vgl. Riezler, Gesch. Baierns II, 245, Note 4.

lichen Lösung dieses Problems sehr wichtige Dienste geleistet haben. Und diese soll hier durchgeführt werden. Möglichste Klarheit über die verlornen annales Patavienses ist umso wünschenswerter, als deren Darstellung der Wirksamkeit Albert des Böhmen die einzige, die wir über diesen Mann besigen für die Beurteilung des streitbaren Passauer Archidiakons und für die politischen und religiösen Verhältnisse Baierns und Desterreichs in jener Zeit harter Kämpfe von erheblicher Wichtigkeit zu sein scheint. Ist aber die Existenz eines solchen Passauer Annalenverkes aus den ersten Jahren der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts gesichert -woran gegenwärtig fein Literar historiker zweifelt dann mag Riezler immerhin jene Nachrichten, die er bei Aventin fand und in anderen Quellen nicht nachzuweisen vermochte, auf diese Annalen zurückführen.1)

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Schreitwein, Brusch und Hundt werden als Benüßer der nunmehr verlornen Passauer Annalen genannt. Es ist also notwendig, um die gestellte Aufgabe zu lösen, in die Werke dieser drei Männer Einsicht zu nehmen und ihrer Art, Geschichte zu schreiben, etwas nachzuforschen. Schreitweins historische Thätigkeit wird ins 15. Jahrhundert verlegt. Rauch druckte sein Werk ab in den Scriptores rerum austriacarum II, 431 ff. nach einer Handschrift des 16. Jahrhunderts (Codex Vindobonensis 9529) und gab ihm den Titel: Cathalogus Archiepiscoporum et Episcoporum Laureacensis et Pataviensis Ecclesiarum per N. Schreitwein collectus ad Fridericum Imperatorem. Ueber den Verfasser haben wir keine nähere Kenntnis, nur hielt man ihn nach den Worten der Einleitung auch für den Autor mehrerer verlorner Abhandlungen: de gestis, ortu et occasu Romanorum regum (auf Befehl Kaiser Friedrich des Dritten) und Austriae cronica, die er aus dem Deutschen ins Latein übersezt habe; zur Ausfüllung eines Bandes habe er noch diesen Katalog anfügen wollen, soweit er ihn aus verschiedenen Geschichtswerfen zusammenbringen konnte. Nach Auffindung der Ebendorferschen Geschichte der Passauer Kirche stellt sich aber die ganze Einleitung des nicht weiter bekannten Schreitwein (N. Schreitwein) als eine wörtliche Entlehnung aus dem Werke Ebendorfers heraus, dem auch die beiden anderen genannten Werke mit vollem Rechte zugeschrieben werden. Ottokar

1) Vgl. Riezler, Aventing gejamte Werke III, 241, 265, 267, 268 in den Anmerkungen.

Lorenz hält Schreitwein demnach für einen Plagiator großen Stils.) Zu einem anderen Urteile aber kommt man, wenn man alle in betracht kommenden Umstände näher erwägt. So weit aus Rockingers dürftigen Exzerpten) Ebendorfers Text bekannt ist, stimmt nicht nur die Einleitung wörtlich mit der Schreitweins überein, sondern auch die ganze Anlage des Werkes, ja sogar offenkundige Irrtümer finden sich bei beiden gemeinsam. So wird der Name des Papstes, der Rudiger von Passau abgesezt habe, von Schreitwein wie von Ebendorfer Gregorius genannt (Rauch, SS. II, 503), obwohl unmittelbar vorher schon Innocentius IV als regierender Papst erwähnt worden war. Bei beiden werden ferner unverkennbare Anspielungen auf Wien gemacht: so wird bei Schreitwein eine Handschrift der Wiener Hofbibliothek erwähnt, der hl. Severin patronus noster genannt, Klosterneuburger Aufzeichnungen werden zitiert.) Die Erzählung über Albert des Böhmen Wirksamkeit, die uns Rockinger aus Ebendorfer wiederum in größerer Ausführlichkeit mitgeteilt, ist fast Wort für Wort gleichlautend mit der Schreitweins. Leztere enthält nur ein paar kurze Zwischenfäße mehr, nämlich. Alberts ersten halbjährigen Aufenthalt in Wasserburg, die Eroberung dieser Grafschaft durch Herzog Ludwig von Baiern, die Schenkung von vier Pferden und von Einrichtungsstücken Alberts an Bischof Konrad. Zu den Unterschieden, die zwischen diesen beiden Schriften bestehen, gehören Lese- und Schreibfehler, wie: Cierberg statt Tirbergk, prestin statt Pernstein, Wolferstein statt Wescherstein und das Fehlen einiger Notizen über Ebendorfers biographische Einschaltungen: dessen Tause in Hollabrunn, pfarramtliche Thätigkeit in Berchtoldsdorf bei Wien u. a. Wie Ebendorfers Katalog eine Urkundensammlung beigegeben ist, so jezt auch das Werk des sogenannten Schreitwein eine solche voraus, denn der Schreiber desselben beruft sich geradezu auf dieselbe: ut infra

1) D. Lorenz, Deutschlands Geschichtsquellen, 3. Aufl., I. Bd., S. 347, Nachtrag zu S. 194.

2) Mitgeteilt i. d. Abhandlungen d. k b. Akademie d. Wiss. XV, 1, S. 273 ff. und 293 ff. (1880). Der Verfasser dieses Kataloges, der in der Handschrift nicht ge nannt ist, wird von Rockinger in überzeugender Weise als Thomas Ebendorfer von Haselbach erwiesen. Als weiteres Argument für Ebendorfer wäre noch der Vergleich der Nachricht über Herzog Friedrich des Zweiten (von Lesterreich) Lebensende (1246) in dieser Handschrift mit der Erzählung desselben Verfassers bei Rauch, Script. II, 724, 726 zu nennen. Eine irrtümliche Notiz, die Rockinger aus Lorenz, Geschichtsquellen, 2. Aufl. entnimmt (3eißberg habe Ebendorfers Kataloge noch gesehen), ist in der 3. Auflage desselben Werkes ohnehin schon verbessert.

3) Ebendorfers Anspielungen auf Wien hat Rockinger a. a. O. hervorgehoben.

in epistola ad Bonifacium continetur, und doch enthält unsere Handschrift (Cod. Vindob. 9529) keine separate Urkundensammlung. Andere Urkunden sind freilich in den Text regestenartig aufgenommen, die bei Ebendorfer nur in der Sammlung enthalten sein dürften, wie z. B. nach der Geschichte des Bischofs Rudiger. Fassen wir diese Momente zusammen, so ergibt sich wohl mit Sicherheit, daß wir im sogenannten Katalog Schreitweins nur eine sehr wenig veränderte Abschrift des Ebendorferschen Textes vor uns haben. An dieser Thatsache würde auch eine vollständige Veröffentlichung des letteren kaum viel ändern. Ein gewisses, aber bescheidenes Maß selbständiger Bearbeitung erlaubte sich der Abschreiber, so in der Benützung der Urkunden, wie eben bemerkt wurde. Aventins deutsche Chronik lag ihm gewiß auch vor, denn auf sie beruft er sich: Has literas vernacula lingua versas invenies in Epitome Aventini circa finem (eadem manu, Rauch 11, 490). Eine Anzahl kleinerer Verschiedenheiten werden wir auch auf die sehr späten Abschriften der beiden Werke zurückführen müssen, denn jede der beiden gehört dem 16. Jahrhundert an und ist reich an Schreib- und Lesefehlern. Der Ebendorfersche Text trägt keinen Autornamen, der sogenannte Schreitweinsche aber führt diesen Namen an der Spize; der unbekannte Vorname wird durch N. ausgedrückt. Der Abschreiber wußte also selbst nichts Näheres über den vermeintlichen Autor, dessen Werk er seit der Mitte des 15. Jahrhunderts wo auch Ebendorfer schließt bis ins 16. Jahrhundert

fortsette. Vermutlich hatte ihn die Lektüre der Werke Aventins zu dieser Meinung gebracht, der seinen rätselhaften Schreitwein, den antiquissimus historiographus - zu Gerbold koenig in Baiern zeiten unter den bergamenen puechern im tomstift zu Passau gefunden habe und ihm eine Nachricht über Albert den Böhmen zuweist.') Schon daraus erhellt die Wertlosigkeit der Aventinschen Angabe; „König“ Gerbold (Garibald) existierte im 13. Jahrhundert oder später nicht. Von einer geschichtschreibenden Persönlichkeit mit Namen Schreitwein wird man also absehen, seinen Namen aus der Literaturgeschichte streichen und sich mit der Bezeichnung begnügen müssen, die schon der scharfsinnige Jesuit Hansiz dieser Handschrift zuteilte: vulgo Schreitwein appellatus.2)

Der Ebendorfer-Schreitweinsche Text enthält nun eine einzige Stelle, aus der man auf die Benütung von Passauer Annalen schließen könnte. Zur Geschichte des Bischofs Reginbert finden sich nämlich die Worte: Huius episcopi antiquus Cathalogus non meminit. . . in annalibus

1) Riezler, Aventins Werte III, 561/3.

2) Germania sacra, tom. I, Quellenverzeichnis.

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