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rade in Rom eine scharfe Scheidung pro und contra im gefolge gehabt hatte. Eine solche einschneidende Thatsache sollte unbeachtet geblieben sein? Das lezte Glied der Kette, deren frühere Ringe man sorgsam aneinandergefügt, hätte man fallen gelassen? Gerade hier ist das argumentum e silentio schwerwiegend. Zweitens aberspricht Prudentius selbst durchaus gegen Birts Auffassung. Prudentius hätte doch gewiß die wirkliche Zurückführung der Viktoria nicht verschwiegen. Nun geht aus c. Symm. 1. I Anfang bloß hervor, daß paganistische Bestrebungen in Rom noch fortdauern, wenngleich bloß von einer kleinen Schar (v. 591 ff.) unter Symmachus geschürt. Aus der Praef. I. II und 1. 11, 4 ergibt sich als Inhalt des zweiten Buches die Widerlegung der relatio 3 des Symmachus, die offenbar noch viel gelesen wurde. Nach 11, 12 ff. scheint Symmachus die gleichen Gründe auch bei Honorius (Arcadius wird mit genannt) vorgebracht zu haben. Aber die Widerlegung ist II, 17 f. und 11, 68) den Kaisern selbst in den Mund gelegt; wie wäre es möglich, wenn kurz vorher die Viktoria wieder ihren Play eingenommen gehabt hätte! II, 760 läßt Prudentius die Roma den Honorius anreden:

(v. 770)

Nil te permoveat magni vox rhetoris, oro,
Qui sub legati specie sacra mortua plorans
Ingenii telis et fandi viribus audet,

Heu, nostram temptare fidem. . .; der Fürst solle
Spernere legatum non admittenda petentem.

Also war wenigstens im Jahre 402 die Viktoria noch nicht wieder zugelassen! Auch den Schluß kann man heranziehen, wo (v. 1116) um

357: Erste Entfernung der Ara Victoriae durch Constantius. Zurückführung unter Julian.

382: Wieder entfernt durch Gratian. Infolge dessen Protest der Minorität des Senats durch Symmachus, Gegenvorstellungen des Damasus und der Majorität durch Ambrosius.

384: Die bekannte relatio des Symmachus an Valentinian wird abschlägich beschieden.

Vergebliche Versuche um Wiedereinführung a) bei Theodofius in Mailand (389), b) bei Valentinian (392; vielleicht am 14. Mai abschlägicher Bescheid).

393 (394?): Zweite Zurückführung durch den Usurpator Eugenius (nach zwei vergeblichen Versuchen).

394: Von Theodosius wieder beseitigt, nach dem Siege über Eugenius (Sept.). 402: Prudentius widerlegt c. Symm. II die Gründe der relatio des Symmachus. 1) II, 17: Haec ubi legatus (näml. Symm.), reddunt placidissima fratrum Ora ducum.

II, 68: Talia principibus dicta interfantibus ille Prosequitur.

Abschaffung der (privaten?) Gladiatorenkämpfe gebeten wird, damit der Sohn vollende, was der Vater übrig ließ (v. 1116 et tam triste sacrum iubeas, ut caetera, tolli.) Also spricht die Darstellung bei Prudentius durchaus gegen Birts Auffassung Was folgt nun aber aus den angeführten Stellen sowohl bei Prudentius als bei Claudian? Für das Heidentum in Rom lernen wir, daß es noch immer starke Wurzeln im Volke hatte, da Prudentius es für nötig hielt, noch im Jahre 402 dagegen zu schreiben.1) Für Symmachus lernen wir von neuem, daß er nie aufgehört hat, 2) auch bei Hofe im Sinne seiner relatio stets von neuem vorstellig zu werden. Und was schließen wir für unseren Claudian aus dem oben Gejagten? Wenn der Schluß, den Birt aus unserem Dichter zog, zu weit geht, so stehen doch unleugbar Claudians Sympathien in der Viktoriafrage auf Seiten des Symmachus, und wir nehmen die angegeben Stellen als neuen Beweis heidnischer Gesinnung in Anspruch.

Weiter dürfen wir dazu heranziehen die Stelle XXVIII (de VI. cons. Hon.) 339/350, wo des Kaijers M. Aurelius Zug gegen die Quaden (174 n. Chr.) zu einem Vergleiche benußt und das bekannte Ereignis der legio fulminatrix berührt wird. Auf Claudians Darstellung (Flammenregen)3) will ich dabei kein Gewicht legen, wohl aber auf seine eigene Ansicht und Begründung der wunderbaren Thatsache (v. 358 ff.):

Wie mächtig das Heidentum in Rom noch wurzelte, zeigen in der Gesch. der Zeit besonders a) die vorübergehende Herrschaft desselben im J. 394; b) die Vorgänge im J. 404, beim Heranzuge des Radagais (V. Schulze a. a. D. 357 f.); e, im J. 408, beim Anzuge Alarichs: ebenda S. 370 f.

*) M. E. spricht V. Schulze a. a. D. S. 359 ff. recht über des Prudentius Zwede. „Daß der Dichter sich gerade gegen Symmachus wendet, findet seine natürliche Erklärung darin, daß die Schußrede ¿desselben] in Rom und auch sonst noch viele Lejer hatte und überhaupt als Bekenntnisschrift des Heidentums galt.“ (S. 359.) Vgl. Hist. Jahrb. X, 121.

*) Vgl. die heidnische Darstellung bei Jul. Capitolin, vita Antonini 24; Dio Cass. 71, 9; Themist. or. 34, 21; Suid. s. v. Julianus; die christliche Darstellung bei: Tertull. apolog. 5, ad Scapulam 4; Euseb. h. e. V, 3 (5), Oros. VII, 15. leber die legio fulminatrix hat sich in jüngster Zeit eine lebhafte Kontroverse entsponnen infolge der Ausführungen von Petersen, Röm. Mittlgen. 1894 S. 78/89. Bgl. A. Harnack, Siß.-Ber. d. Berl. Akad. 1894 S. 835 ff und Th. Mommsen im Hermes 1895 (XXX) 90 ff.; jerner A. v. Domaszewski, Rhein. Mus. 1894 S. 612 ff. und die Entgegnung Petersens (gegen Harnack und gegen Mommjen) im Rhein. Muj. 1895 (N. F. 50) 453 ff., wo auch die ganze neueste Literatur zusammengestellt i. Uebrigens wird unjere obige Ausführung von dieser Frage nicht alteriert. Die Chaldaea carmina beziehen sich auf den Magier Arnuphis oder Julianus (vgl. Dio und Suidas).

Chaldaea mago seu carmina ritu

Armavere deos: seu, quod reor, omne Tonantis

Obsequium Marci mores potuere mereri.

Ferner wird de VI. cons. Hon. 324/30 eine feierliche Lustratio Italiae nach Alarichs Abzuge geschildert. Daß eine solche damals offiziell (publice) vorgenommen sei, wird man auf die bloße Autorität Claudians hin nicht behaupten können; umsoweniger, als die schwerverständliche Stelle kritisch nicht ganz sicher steht.1) Eine solche lustratio fonnte wohl im Jahre 394 in Rom bei dem furzen Traume des wieder: erstandenen Heidentums stattfinden, 2) aber nicht im Jahre 402 oder 403. Wohl aber zeigt uns die Stelle wieder des Dichters Denken und Meinen.

Eine Menge ähnlichen Materials hat Birt selbst in der oben erwähnten Schrift de moribus christianis (f. o. S. 2 Aum. 2) zusammengebracht. Nur zicht er wiederum eine unzutreffende Folgerung daraus. Statt anzuerkennen, daß der Dichter, zum teil in poetischer Fiktion, heidnische Sitten, z. B. Orakel, fibyllinische Bücher u. dergl. auch auf Zeiten überträgt, wo sie sicher nach unserer Kenntnis der Dinge nicht mehr in geltung waren: glaubt er, daß diese heidnischen Bräuche nach dem Tode des Theodosius allmählich wieder auffamen, von Stilicho geduldet und toleriert wurden.3) Die Darstellung, welche Birt der von Stilicho beliebten Behandlung der religiösen Frage und seiner Stellung zum Heidentum und Christentum widmet, gibt meines Erachtens ein durchaus schiefes Bild der Zeit. 4)

1) Die früheren Ausgaben lasen v. 324 sic: dann wäre das Ganze bloß ein Vergleich zu v. 321/23, allerdings ein recht ungeschickter und schwer verständlicher; liest man dagegen statt dessen tum (wie nach Em. Birt und Koch), so hat (wenigstens nach der Darstellung des Dichters) eine publica lustratio stattgefunden; d. h. der Dichter fingiert eine solche.

2) Davon berichtet das anonyme carmen contra paganos, v. 28 f. (gedruci 3. B. bei Bährens, P. L. M. III).

3) So entnimmt er aus XVIII (in Eutr. 1) 11 f., XXVI (b. Poll.) 266 j., daß noch 402 libri Sibyllini eingesehen worden seien; vgl. dagegen Rutil. Namat., de reditu suo II, 52; Baronius, ad a. 399, n. 78, woraus hervorgeht, daß gerade Stilicho sie hat verbrennen lassen. Aus III. cons. Hon. 110 ff., IV. cons Hon. 142 ff. 147 soll hervorgehen, daß man nach 395 die von Theodosius geschlossenen Orakel wieder befragt habe (de moribus S. XIII), u. ä. Vgl. meine Ausführung a. a. D. S. 29, Anm. 2.

4) Vgl. die richtigere Darstellung bei Vogt, de Claudiani carminum, quae Stiliconem praedicant, fide historica. S. 30 ff. Bonn, Diss. 1863. Auch V. Schulße a. a. Q. I, 335 Anm. 3 nennt, wie ich zu meiner Freude nachträglich sehe, Birts

Unsere folgende Auffassung erscheint doch woh! natürlicher: an dem christlichen Kaiserhofe konnte der Dichter das Heidentum nicht direkt verherrlichen; er greift deshalb zu einem doppelten Mittel: a) Er erwähnt durchaus nichts Christliches in seinen Panegyrici. Wie nahe hätte das bisweilen gelegen.') b) Er nimmt in volltönender Phrase Roms alte Macht und Herrlichkeit unter der Herrschaft seiner alten Götter2) für die Gegenwart in anspruch und verbrämt mit dieser goldenen Bordüre das neue Staatskleid. Im allgemeinen crutete er damit großen Beifall. Man erinnere sich hierbei, daß auch in den aufrichtigen Heiden jener Zeit mehr die hohe Idee von der früheren Herrlichkeit „patrio: tischer Religion" eine Rolle spielte. „Das Entscheidende bei ihnen, sagt V. Schulze a a. D. S. 330 mit Recht, ist nicht die Religion, sondern ein romantischer Enthusiasmus für die klassische Welt und ihre alten Ordnungen. Man ist sehr versucht, auch in den nicht ruhenden Forderungen des Senats um Wiederherstellung des Altares der Viktoria nicht nur religiöse. sondern auch vaterländische und politische Motive vorauszusehen" Deshalb war die epische Mythologie des Tichters. schon žujeßen durch seine Vorgänger geschüßt, unverfänglich und fand williges Gehör. Und doch geht Claudian darin bisweilen jo weit, daß man, wenn auch nur leise, manchmal seine wirkliche Auffaffung herausklingen hört. So z. wenn er den Theodosius unter die Sterne versezt, wenn er III, 334/39 dem Stilicho ein Gebet an den Mars in den Mund legt oder XX (in Eutr. 11), 396 den Leo sagen läßt: Faveat Tritonia coeptis, Inceptum peragetur opus; oder wenn ihm XVIII, 210 der Ausruf entichlüpft: heu superi.") Daß übrigens diese Verquickung von Ver

B.

Urteil über die Lage des Heidentums unter Stilicho „durchaus ungeschichtlich“, und gibt selbst S. 334 ff. ein im ganzen der Wirklichkeit entsprechendes Bild der Entwicklung des Christentums unter Stilicho.

1) Um nur einiges anzuführen, so übergeht er im bell. Gild. absichtlich das religiöse Element (Ranke, Weltgesch. IV, 1 L. 1883 S. 212 Anm.). Daß er überall blog aquilae und dracones vorführt, ohne des Kreuzeszeichens zu erwähnen (vgl. dagegen: Prudent. c. S. II, 714. »Prima hasta dracones Praecurrit, quae Christi apicem sublimior effert. Hieron. ep 107, 2,vexilla militum crucis insignia sunt aus dem J. 400 oder 405), dafür gibt schon Baronius Ann. ad a. 395, n. XIX den rechten Grund an: ‚exhorruit ethnicus poeta nomen Christi (vgl. oben S. 16). Auch in der Bearbeitung des Phoenix (c. m. 27, Gesner 44) ist alles spezifisch Christliche fortgelassen.

*) XXVIII, 186 heißt es von Alarich, er habe vorgehabt, urbem tentare deorum d. i. Rom.

3) Vgl. noch XV, 346, wo er Theodosius die Worte in den Mund legt: Di

bene, quod ..

pistorisches Jahrbuch. 1896.

2

gangenheit und Gegenwart nicht allen Hörern gefallen hat, dafür möchte ich wenn auch zweifelhaft die Fauni und Centauri und den magister equ. Jacobus (j. oben S. 11) anführen; was anders wird diesen Tadleru mißfallen haben?

Aus dem vorgelegten Material ziehen wir also nicht mit Birt den Schluß ein solcher Christ (wie Stilicho und manche andere seiner Zeit) fonnte Claudian auch sein“ (j. oben S. 8), sondern vielmehr den entgegengesezten: ein solcher Heide, wie Symmachus, war Claudian wahrscheinlich, wenn er auch nicht so offen mit seiner Gesinnung hervortreten durfte.

Aber, sagt Birt, sonderbar ist doch der Umstand, daß Claudian nirgends den Symmachus erwähnt, den Vorkämpfer des damaligen Heidentums. Worin anders kann der Grund liegen, als darin, daß Claudian wenigstens „öffiziös" Christ war? — Sollte das wirklich feine andere Erklärung zulassen? Zunächst ist zu beachten, daß bloß der Name des Symmachus nicht bei Claudian vorkommt: Sympathien für die Bestrebungen des gefeierten Rhetors haben wir schon oben hinsichtlich der Viktoria (S. 15) gefunden;1) daß der Dichter die Schriften des Symmachus gekannt hat, beweisen die von Birt (praef. S. XVIII, Anm. 1) zusammengestellten Stellen beider Autoren, und in c. m. 19, 2 deutet der Ausdruck: Romani fama secunda fori auf Symmachus als die erste Zierde der römischen Beredsamkeit und also auf die Achtung des Dichters vor dem hohen Namen hin. Weshalb hätte auch der Hofdichter den Verkehr und die Freundschaft mit einem Manne scheuen sollen, der troß seiner Stellung als Vorfämpfer des Heidentums bei Hofe und bei Stilicho immer angesehen war und schristlich und persönlich mit den höchsten Personen, mochten es Christen oder Heiden sein, verkehrte? Wenn nun troßdem nirgends Symmachus von Claudian genannt wird, so mag wem das überhaupt auffällig ist jeder es erklären, so gut er kann: durch Vermutungen, deren eine jede gleich unsicher ist. Vielleicht verstanden sich die beiden nicht. Vielleicht sind uns solche Stellen nicht erhalten. Wir begnügen uns damit, es nicht zu wissen.

Ebenso wenig stichhaltig ist ein anderer Einwand Birts: ein paganus pervicacissimus sei damals weder als Dichter noch als tribunus et notarius, wie Claudian es war, am christlichen

1) Zugleich kann man hieraus ein neues Moment gegen die fragliche Zurückführung der Viktoria entnehmen.

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