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nahme rituell festgelegter obszöner Reden in den Opfergang, denn freie Reden derart gehörten wohl als selbstverständlich zum Paarungsspiele der Vorzeit. Sie ließ den Priester die Gattin des Opferers wenigstens beäugeln, ließ den Opferer seine Tochter im Opfergange dem Priester zur Ehe schenken. Sie ließ auch die Begattung in anderer Weise symbolisch sich gestalten, wie z. B. die Esten auf Moon sie uns zeigen. Sie liegt auch noch all den mannigfaltigen Sitten der Maibrautpaare, des Mailehens usw. zu Grunde.

Es ist vielleicht nicht unmöglich, daß jene besonders hervortretenden Maibrautpaare, Maikönig und Maikönigin, Maiherr und Maifrau u. dgl. als ein erster Versuch zu fassen sind, in einem speziellen Paare gleichsam symbolisch die segensreiche Macht der Generation, der geschlechtlichen Paarung und Fortpflanzung darzustellen und zu feiern, also gewissermaßen als Versuch einer rituellen Stilisierung. Es wäre denkbar, daß es eine Zeit gab, wo dieses Paar eine ähnliche Rolle spielte, wie das beim indischen Sonnwendopfer sich vereinigende Paar, - daß es also gleichsam stellvertretend für alle anderen Paare einen Akt ausführte, welcher im allgemeinen in der Öffentlichkeit nicht mehr für statthaft galt, aber doch wegen seiner allgemeinen segensreichen Bedeutung nicht ganz aufgegeben werden sollte und durfte. Es liegt nahe, damit den noch nicht recht aufgeklärten Brauch zu kombinieren, für den Maikönig, den Pfingstkönig, den Maigrafen, den Maiherrn und seine Partnerin eine Laube oder Hütte aufzubauen. Diese Laube oder Hütte begegnet uns auch sonst mehrfach bei unseren Sonnen-, Feuer- und Fruchtbarkeitsfesten. Solch eine Laube oder Hütte finden wir beim Johannisfeuer in Danzig, wie auch in Schottland errichtet 1, wir finden sie oft in Verbindung mit dem Maibaum 2, dessen Bedeutung als Vertreter des Fruchtbarkeitsprinzips hinlänglich klar ist und der möglicherweise sogar geradezu phallische Bedeutung gehabt haben dürfte. Ja es begegnet uns vereinzelt in der Eifel die merkwürdige Tatsache, daß der mit Reisicht und Stroh zur Verbrennung um

1 Vgl. Mannhardt, Antike Wald- und Feldkulte, S. 310.

2 Vgl. Mannhardt, Baumkultus, S. 187; Antike Wald- u. Feldkulte, S. 255.

einem ziemlich entfernten Hügel. Ein jeder Mann, der während des Wettlaufes ein Weib erreichte, übte auf der Stelle den Beischlaf mit ihr aus. Dieses Fest dauerte sechs Tage und sechs Nächte" (Preusz a. a. O. S. 358, nach Pedro de Villagomez). An die peruanische Sitte und ähnliches z. B. auf der Karolineninsel Yap wird man erinnert, wenn Krauß von den Südslaven berichtet: „Die eigentlichen geschlechtlichen Ausschweifungen unter den jungen Leuten sind nicht endlos, sondern fallen hauptsächlich in die erste Herbstzeit nach erledigter Einheimsung der Feldfrüchte. Es kommt einem vor, als ob sich die mannbare Jugend während zweier, dreier Wochen im Jahre wie liebestoll gebärdet. Sie stampfen ganze Nächte hindurch den Reigen bis zur Erschöpfung und singen bis zur Heiserkeit, vorwiegend die obszönsten Lieder" (vgl. Preusz a. a. O. S. 360).

In symbolischer Weise üben die australischen Watschandies die geschlechtliche Vereinigung um die Mitte des Frühlings aus, wenn die Yams reif sind, wenn die Jungen aller Tiere zahlreich und Eier und andere Nahrungsmittel vorhanden sind. Es ist das sog. Caarofest. Die Zeremonie besteht darin, daß in der Erde ein Loch, eine Grube hergestellt wird, mit Büschen geschmückt, die Geschlechtsteile der Frau nachahmend. Die Männer tanzen mit obszönen Gebärden heran, einen Speer vor sich tragend, der den Phallus andeutet und in die Grube gestoßen wird. Das Fest dauert unter Gesang und Geschrei die ganze Nacht (a. a. O. S. 358. 359; Große, Anfänge der Kunst, S. 210). Es dient der Erneuerung der Vegetation und der Tierwelt.

Nicht uninteressant ist es, zu sehen, wie auch bei andersartigen Festen primitiver Völker das sexuelle Moment auffallend hervortritt, so z. B. bei den Initiationsriten australischer Stämme. R. H. Matthews schildert uns diese Zeremonien bei den Kûrnû in Neusüdwales. Nachdem, einem Aufgebot des Stammeshauptes folgend, sich die Bewohner der verschiedenen Ortschaften an einem bestimmten Orte zusammengefunden haben, werden von dem respektiven Häuptlinge die Namen ihrer Hauptkampfplätze, Wasserlöcher, Hügel, Totemtiere, die Namen schattiger, blühender, fruchttragender Bäume und Büsche genannt. Ebenso rufen die

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Männer die Namen der Genitalien beider Geschlechter aus (!). An dem Tage, bevor die einzuweihenden Jünglinge mit den Männern aufbrechen, wird ein großer Hofraum aus Ästen in Hufeisenform errichtet, der sog. Gûlpi, in welchem sich Frauen und Kinder versammeln. Abends ertönt das Schwirrholz, und in der folgenden Nacht ist bedeutende geschlechtliche Freiheit zwischen Männern und Frauen gestattet, nur ist sie beschränkt auf solche Personen, welche nach den Stammesgesetzen einander auch ehelichen könnten. Anderen Tags werden die Knaben von den Männern fortgeführt und der Operation des Zahnausschlagens unterworfen. Es folgen pantomimische Darstellungen, die reichlich von obszönen Gesten begleitet sind usw. 1.

Man wird annehmen dürfen, daß auch die Vorfahren der Arier sich ursprünglich zu jenen Festen, die die indischen Sonnwendfeste und Somaopfer sakral stilisiert widerspiegeln, in größerer Anzahl zusammenfanden und daß dann nicht nur gemeinsam getanzt, geschaukelt, geschmaust und gezecht wurde, daß man nicht nur badete und im Tau sich wälzte, nicht nur Maibäume errichtete, sich mit Ruten schlug, auf Rasen und Streu sich kugelte, nicht nur Räder und Scheiben warf und rollte, nicht nur Feuer anzündete und durch die Flamme sprang, sondern auch Lieder sang und Reden wechselte, die wir heute obszön nennen würden, und sich in einer, von gewöhnlichen Zeiten abweichenden Art dem Geschlechtsgenuß hingab. Das waren ja Zeiten besonderer Art und erhöhter Stimmung, hôhgezîten der grauesten Vorzeit, aus denen dann im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende gesittete Feste und Hochzeiten werden sollten. Wieweit sich die Sitten zu jener Zeit, als die ersten Arier Europa verließen, in der Feier jener Feste schon gemildert hatten, ist schwer zu bestimmen. Doch ist es wahrscheinlich, daß ein allgemeines urwüchsiges Begattungsfest damals bei den meisten arischen Völkern nicht mehr üblich war, daß vielmehr schon zu jener Zeit

1 Vgl. R. H. Matthews, Die Multyerra - Initiationszeremonien, Mitteil. der Anthropol. Ges. in Wien, Bd. 34, Heft 1 und 2, S. 78–80.

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einzelne Paare zu stellvertretender symbolischer Vereinigung ausgesondert wurden. Daß aber trotzdem auch die übrigen sich noch mancherlei Freiheit gestatteten, dafür sprechen gewiß die Sitten, die sich vielfach noch in historische Zeiten hinein erhalten haben.

BEWEGUNGSZAUBER.

'S ist uns im Verlaufe unserer Betrachtung wiederholt Be

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wegung verschiedenster Art, und oft sehr energische Bewegung, bei den Sonnenfesten der alten Arier entgegen getreten, welche sich unserem Blick inzwischen bereits zu Lebensfesten erweitert haben, den Rahmen eines speziellen Sonnenkultus sprengend und weit überschreitend. Da gab es das Tanzen, Springen und Schaukeln, das Rollen und Werfen von Rädern, Scheiben, Bällen und Eiern, das Sichrollen und Sichwälzen, das Laufen, Fahren, Reiten, Klettern, resp. Wettlaufen, Wettfahren, Wettreiten, Wettklettern, Wettziehen, das Kämpfen und Ringen u. dgl. m. Das Band, durch welches solche energisch geübte Bewegung sich mit dem Sonnenkult speziell verknüpfte, war im einzelnen Falle durchaus nicht dasselbe, vielmehr ließen sich da, wie es schien, mannigfaltige Beziehungen erkennen, während manches wohl auch in Dunkel gehüllt bleiben mußte. Das Tanzen, Hüpfen und Schaukeln glaubten wir als eine, ursprünglich fast instinktiv geübte, unmittelbare und naive Freudenäußerung bei den Freudenfesten der Sonne fassen zu sollen, als eine Art emphatischer Begrüßung, der man erst später auch magische Kraft zugeschrieben hätte, die Kraft, die Sonne in ihrem Aufstieg zu fördern. Es spielte aber auch der allgemein menschliche Glaube an die Zauberkraft nachahmender Bräuche mit hinein, wenn z. B. der kreisförmige Tanzreigen das Sonnenrund und seine Bewegung nachahmte u. dgl. m. Durchaus und deutlich ruhte auf diesem letzteren Glauben das Rollen und Werfen der runden Sonnensymbole, der Räder, Scheiben, Bälle und Eier, doch mochte bei den Eiern noch eine andere,

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