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VEGETATIONSBRÄUCHE DER LEBENSFESTE.

MAN

AN könnte die Feuer- und Wasserfeste auch Vegetationsfeste nennen, schon aus dem Grunde allein, weil der bei denselben so energisch geübte Sonnen- und Regenzauber doch hauptsächlich den Zweck hatte, die Vegetation in üppiger Fülle gedeihen zu lassen. Diese Feste verdienen den Namen aber auch noch aus anderem Grunde. Die Vegetation in der mannigfaltigsten Gestalt von Kräutern, Blumen und Baumzweigen, Kränzen und Girlanden, großen und kleinen Bäumen, Stäben und Stöcken, Gras und Stroh, spielt bei denselben eine mächtig hervortretende Rolle, es ist mit ihnen eine solche Fülle von Vegetationsbräuchen verbunden, daß sich einem oft unmittelbar und gleichsam sinnlich der Eindruck aufdrängt, hier handle es sich in erster Reihe um Vegetationsfeste, z. B. beim lettischen Lihgo-Fest um die Sommersonnenwende. Eine Menge dieser Vegetationsbräuche mußten schon im Verlaufe unserer bisherigen Darstellung erwähnt werden, doch mehr gelegentlich und um anderer Bräuche willen, die mit ihnen verbunden auftreten. Es erscheint nun aber doch wünschenwert, ja notwendig, einen zusammenfassenden Überblick dieser Bräuche zu geben, wenn uns auch die Massenhaftigkeit des sich herandrängenden Stoffes bedeutende Beschränkung auferlegt. Es ist nicht leicht, aus der Fülle desselben immer die passende charakteristische Auswahl zu treffen und bei all den vielen Übergängen eines Brauches in den anderen, den unzähligen Schattierungen und Variationen, die rechte Gruppierung zu finden. Dennoch muß der Versuch dazu gemacht werden.

Wir werden die vielen verschiedenen Vegetationsbräuche der Sonnenfeste die übrigens keineswegs alle ausschließlich auf diese Feste beschränkt sind, wie ja Feuer und Wasser ebenfalls auch außerhalb dieser Feste zum Teil ähnlich verwandt werdenetwa unter den folgenden Gesichtspunkten gruppieren können, um Ordnung in die Fülle zu bringen und eine Übersicht zu gewinnen. Wir unterscheiden:

1. Das Pflücken von Kräutern, Blumen und Zweigen, das Winden von Kränzen und Girlanden, das Ausstatten und Schmücken der Menschen, des Viehs, der Häuser und Ställe mit alledem; auch das Werfen von Kräutern, Blumen und Zweigen oder anderen Vegetationsprodukten a) in das Feuer; b) in das Wasser.

2. Das Tragen und Aufpflanzen eines Baumes (des Maibaumes), als des verehrten Vertreters der Vegetation und der in ihr wirkenden Kraft; der mit Früchten, Bändern u. dgl. m. geschmückte Baum kann örtlich auch durch den geschmückten Zweig vertreten werden (Eiresione); auch der Baum, dann aber in der Regel der nicht geschmückte, wird a) dem Feuer, b) dem Wasser überantwortet.

3. Das Tragen von Stäben, Zweigen und Ruten, das Berühren und Schlagen mit denselben, Schlagen von Menschen (namentlich Frauen), Vieh und Pflanzen, das Hineinstecken derselben in die Erde (Garten, Acker), Häuser, Ställe u. dgl.

4. Das Streuen von Gras, Heu, Schilf, Stroh, Zweigen u. dgl. m. Man sieht, daß fast alle die wichtigeren Teile der Vegetation bei diesen Bräuchen irgendwie zur Geltung kommen. Es scheint, daß der Mensch sich und alles, was sein ist, mit der ganzen Vegetation in Berührung, in nächste Beziehung zu setzen sucht. Der Vegetationsschmuck, der in Blumen, Kränzen, grünen Zweigen und Bäumen zum Ausdruck kommt, macht vielfach den Eindruck der unmittelbaren, naiven Freudenäußerung, entsprungen aus dem so wohlverständlichen Glücksgefühl inmitten des Grünens und Blühens vor allem der sommerlich üppigen Natur. Diese Freude hat wohl auch gewiß von Anfang an bis auf die jüngste Zeit ihren Anteil an diesen Bräuchen, es soll auch das früh sich regende ästhetische Moment bei denselben nicht geringgeschätzt werden, allein wir können ebensowenig daran zweifeln, daß sehr reale Zwecke doch

wohl im Vordergrunde standen und daß sie es in erster Reihe sein dürften, die die getreue Überlieferung solches Tuns von Kind auf Kindeskind, durch Jahrhunderte und Jahrtausende, bewirkt haben. Oft genug finden wir diese Zwecke ganz naiv und unzweideutig ausgesprochen, und zwar läßt sich da in der Hauptsache ein Doppeltes unterscheiden. Die Bräuche bezwecken:

1. Das Gedeihen, Wachstum und Fruchtbarkeit in der Vegetation, bei Menschen und Vieh zu fördern;

2. böse und schädliche Einflüsse aller Art abzuwehren, als z. B. Dämonen und Hexen, Krankheiten, Hagel und Unwetter, Insekten, Würmer und sonstige störende oder gefährliche Tiere u. dgl. m.

Das kommt beides im Grunde auf dasselbe hinaus. Der negative Reinigungs- und Abwehrzauber ergänzt ganz natürlich den positiven Wachstums- und Fruchtbarkeitszauber. Beides vereint sich zu demselben großen Zweck: allseitiges Gedeihen und kräftiges Weiterblühen des gesamten Lebens, der Menschheit, wie auch der Tier- und Pflanzenwelt, soweit dieselbe im Dienste des Menschen steht und sein Gedeihen fördert. Es ist also im wesentlichen dasselbe, worauf auch die Feuer- und Wasserbräuche, direkt oder indirekt, positiv oder negativ, hinauslaufen: Förderung des Lebens, soweit es dem Menschen wert, dienlich und gut ist. Feste des Lebens könnten wir darum jetzt schon unsere Sonnenfeste, die vereinigten Feuer-, Wasser- und Vegetationsfeste nennen. Mehr und mehr erweitern sie sich unserem Blicke und nur ein umfassenderer Ausdruck will noch passend erscheinen.

KRÄNZE, BLUMEN, KRÄUTER.

Den Eindruck eines Vegetationsfestes macht vor allem das sommerliche Sonnwendfest. Wie die Letten dasselbe feiern, welche Rolle bei demselben das Kräutersammeln, die Umzüge im Blumenund Blätterschmuck, die grünen Baumzweige usw. spielen, hat Pastor Bielenstein mit bekannter Meisterschaft dargestellt 1.

1 Baltische Monatsschrift, Jahrgang 1874,,,Das Johannisfest der Letten".

Aus der Schilderung eines Johannisabends, den Bielenstein auf Pastorat Sieckeln-Born, im kurischen Oberlande miterlebte, seien einige hierher gehörige Stellen mitgeteilt: „Mit Sonnenuntergang sah man schon einzelne Weiber oder kleine Gruppen an den Feld- oder Grabenrändern die nötigen Johanniskräuter suchen und pflücken. Nach dem Abendessen kamen zwei Chöre langsamen, feierlichen Schrittes über den Hof hergezogen zur Veranda des Pastorats, wo die ganze Familie sich versammelt hatte. Die Gestalten der Nahenden waren kaum zu erkennen: sie hielten große Büschel Kraut, Gras, Blumen in den Armen und trugen riesige Kränze auf dem Kopfe, die über das Gesicht weit herabhängend um so weniger erblicken ließen, was da heranzog, als der ganze Chor dicht zusammengedrängt und, wie es schien, an den Armen einander fassend, eigentlich wie ein großer Gras- oder Blumenhaufen sich näherte. An den Stufen der Treppe angelangt, stülpten die Weiber oder Mädchen den nächststehenden Gliedern der Pastorenfamilie von ihren großen Kränzen welche auf den Kopf, den fernerstehenden wurden solche in einer fast gefährlichen Art zugeworfen, und vor den Füßen der Pastorin wurde ein Berg von Gras und Blumen aufgehäuft. Dabei erscholl nun der Gesang, im wesentlichen dieselben vierzeiligen Verse, die in ganz Kur- und Livland von altersher gesungen wurden oder noch gesungen werden.

Als Belohnung und Dank für die Kräuter, die getrocknet den Kühen im Winter vor dem Kalben zu je drei Malen als stärkendes Medikament gereicht werden, wurde den Sängerinnen beider Parteien reichlich Brot und Käse nach alter Sitte gespendet. Die Letten, wie die alten Lieder bezeugen, pflücken als Johanniskraut alles Mögliche, doch nur am Johannisabend. Wenigstens soll das am Johannismorgen (24. Juni) nach Sonnenaufgang gepflückte nicht mehr Kraft und Segen haben1." Wie das Fest in Livland, in Stadt und Land, bei Deutschen und Letten, sich entwickelt, davon hat uns Lilly von Vietinghoff eine poetisch-reizvolle Schilderung geboten. Ich kann es mir nicht

1 A. Bielenstein, Reiseskizzen aus dem Oberlande, Baltische Monatsschrift, Bd. XXIX, Jahrgang 1882, S. 634-636.

9 Vgl. Lilly Baronin von Vietinghoff, Was die Großmutter er

versagen, einige Züge derselben hier in etwas gekürzter Form mosaikartig zusammenzustellen. Voran geht die Schilderung des sogenannten Krautabends in Riga, wie der Vorabend des Johannisfestes dort sehr charakteristisch heißt, dann folgt die ländliche Festfeier. Die dabei geübten Bräuche spielen in mehrere der vorhin aufgestellten Kategorien hinein.

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,,Johannistag! du blumengeschmückter! Pfingstfestes Maien waren nur arme Gaben gegen deinen Reichtum an Farbe und Duft. Wo nur die Leute all die Kränze und Riesensträuße hernehmen? Wenn ihr am Abend vor Johannistag in der Großstadt am Stromufer spazieren ginget, ihr meintet, Flur und Gärten müßten öde dastehen, daß nicht ein einziges Blümchen ihnen übrig gelassen. Berge von Rosen, von Nelken, von schönen vornehmen Blüten, neben Bergen von Kornblumen, Skabiosen und all der anspruchslosen Wiesenpracht! Aber wo sollten sonst auch die armen Städter ihre Kränze hernehmen zur morgenden Feier? und ein Bübchen oder Mädchen ohne Kranz? sollte sich's da nicht viel ärmer dünken, als wenn's Weihnachten kein Licht und keinen Lebkuchen erhalten! Und sie haben auch alle ihren Kranz oder Strauß. Braucht er doch nicht schön zu sein. Ist's doch genug, wenn einige Kornraden und das gelb und lila blühende Johanniskraut nebst einigen Fliederblüten, oder Farrenstengel nebst Dotterblumen und Schwalbenaugen in dem braunen, irdenen Kruge stehen. Und wenn ihr's garnicht wüßtet, was heute für ein Tag, der weißgescheuerte Fußboden verriete es euch, denn daß die ziemlich dick gestreute Sandlage mit geschnittener Kalmus-Wurzel untermischt ist, bedeutet ein Fest. Und wie der würzige Schilfgeruch sich mit den Blumen verbindet! Wahrhaftig, wenn ihr die Augen schließt, ihr könntet meinen, vor euch liege der plätschernde See im Walde und das Schilf wiege sich, und um die rötlichen Wurzeln murmele leise gurgelnd das Wasser; rings duftet es von feuchtem Moos, von allerlei Kraut und Blumen.“

,,Aber das Wagengerassel draußen auf der Gasse bringt euch die Großstadt wieder ins Bewußtsein, die heute einen bunten zählte. Bilder und Märchen für die Frauenwelt (Dorpat-Riga-Leipzig 1885), S. 150-157.

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