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Ich schwieg; das Zittern meiner Hand,
Und mein bethrånter Blick gestand
Dem Mägdlein, was mein Herz empfand.
Sie schwieg; und aller Wonn' Erguß
Durchströmt' uns beid' im ersten Kuß.

Vof. Bürger.

Bürger.

Giebt es irgend eine Dichtart, die noch jezt khuliche Wirkungen auf das Gefühl und die Gesinnungen der Mens schen hervorbringen kann, wie sie die ursprüngliche Poesie, als sie noch keine Schriftstellerei, sondern lauter lebendi ger Vortrag war, so mächtig und sichtbar hervorbrachte; so ist es die populäre Liedergattung. Und besißt irgend einer von unsern Dichtern das Talent, so zu wirken, in seiz nem ganzen Umfange, so ist es dieser *). Eins seiner Meisterstücke ist folgendes Lied; und gar sehr würde es zur Verbreitung und Belebung des Pflichtgefühls beitragen, wenn dieß Mittel zu dessen Erweckung öfter und mit åhnlicher Kraft benuzt würde.

Männerkeuschheit.

Wer nie in schudder Wolluk Schooß
Die Fülle der Gesundheit goß.

Den ziemr's, daß er sich brüsten kann;
Ihn ziemt das Wort: Ich bin ein Mann!

Denn er gedeiht und sprosst empor
Wie auf der Wies' ein schlankes Rohr;
Und lebt und webt der Gottheit voll,
An Kraft und Schönheit ein Apoll.

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Die

*) Gottfried August Bürger, Lehrer auf der Univers sität Göttingen, geb. zu Aschersleben, 1748.

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Er badet sich im Sonnenmeer,
Und Klarheit strömet um ihn her.
Dann wandelt sein verklärter Sinn
Durch alle Schöpfung Gottes hin.

Und er durchspåht und wågt 'und misst,
Was in der Schöpfung herrlich ist,
Und stellt es dar in Red' und Sang,
Voll Harmonie, wie Himmelsklang.

O schaut, wie er voll Majeståt,
Ein Gott, daher auf Erden geht!
Er geht und steht in Herrlichkeit,
Und fleht um nichts; denn er gebeut.

Sein Auge funkelt dunkelhell,
Wie ein kristallner Schattenquell;
Sein Antlitz strahlt wie Morgenroth;
Auf Nas' und Stirn herrscht Machtgebot.

Das Machtgebot, das drauf regiert,
Wird Hui! durch seinen Arm vollführt;
Denn der schnellt aus wie Federstahl;
Ein Schwerdthieb ist ein Wetterstrahl.

Das Roß fühlt seines Schenkels Macht,
Der nimmer wanket, nimmer kracht.
Er zwångt das Roß, von Zwang entwöhnt;
Er zwångt das Roß, und, horch! es stöhnt.
Er geht und steht in Herrlichkeit,
Und fleht um nichts, denn er gebeut;
Und dennoch, schaut! wo er sich zeigt,
O schaut wie ihm sich alles neigt!

Die edelsten der Jungfraun blühn,
Sie blühn und duften nur für ihn.
O Glückliche, die er erkiesst!
O Selige, die sein geniesst!

Die Fülle seines Lebens glånzt,
Wie Wein, von Resen rund umfrånzt.
Sein glücklich Weib, an seiner Brust,
Berauscht sich draus zu Lieb und Lust.

Frohlockend blickt sie rund umher:
„Wo sind der Männer mehr wie Er?
Fleuch, Zärtling, fleuch! Sie spottet dein,
Nur er nimmt Bett' und Büsen ein.

Sie spåht und fodert auf umher:
„Wo ist, wo ist ein Mann wie Er?“
Sie, ihm allein getreu und hold,
Erkauft kein Fürst mit Ehr' und Gold.

Wie, wenn der Lenz die Erd umfåht,
Drob sie mit Blumen schwanger geht:
So segner Gott durch ihn sein Weib,
Und Blumen trågt ihr edler Leib,

Die alle blühn, wie sie und er;
Sie blühn und duften um ihn her;
Und wachsen auf, ein Zedernwald,
Boll Baterkraft und Wohlgestalt.

So glänzt der Lohn, den er geniesst! So das Geschlecht, das dem entspriest, Der nie in schnöder Wollust Schooß Die Fülle der Gesundheit goß.

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Bürger.

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Claudius.

Natthias Claudius, geb. zu Rheinfeld im Holfteinis schen, 1743, einer unsrer besten und beliebtesten Volksdichter, dessen prosaische und poetische Werke ein sehr originales Gepräge achter Laune, unbefangener Naivetät und offner Herzlichkeit haben. Der Beifall, mit dem sie überall aufgenommen wurden, und die vornehmlich seinen Liedern zu Theil gewordne allgemeine Verbreitung, beweisen die Wahrheit aufs neue, daß åchte Ergießungen des Herzens ihres Ziels nie verfehlen. Je wahrer, kunstloser und éigenthümlicher aber das Genie und die Laune dieses Schrift: ftellers sind, desto mehr blieben fie aller absichtvollen Ans ftrengung seiner wikelnden Nachahmer unerreichbar.

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Auch bet' ich ihn von Herzen an,
Daß ich auf dieser Erde

Nicht bin ein grosser reicher Mann,

Und auch wohl keiner werde.

Denn Ehr und Reichthum treibt und blåht,
Hat mancherlei Gefahren;
Und vielen hats das Herz verdreht,

Die weiland wacker waren.

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Claudius.

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