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Erfter Abschnitt.

Zwanzig Jahre waren seit dem Tode Friedrichs des Einzigen verflossen, als der preußische Staat, die von ganz Europa bewunderte Schöpfung des großen Königs, in Trümmer zerfiel unter den verwüstenden Händen eines stolzen Eroberers, der mit dem Verderben Preußens die Unterjochung Deutschlands vollendete, und seinem Ziele, der Alleinherrschaft über Europa, rastlos zueilend zwar Gründe fand, in einem Friedens - Vertrage zu genehmigen, daß aus der Hälfte jener Trümmer ein neuer selbstständiger Staat erstehe und dem Beherrscher des vormaligen anheimfalle, aber durch jahrelange, ununterbrochene und maßlose Bedrückungen alle Lebenskräfte dieses neugeborenen Staates dergestalt lähmte, daß ihm seine gänzliche, öfter in wenig zweideutigen Worten des Siegers angedrohte, Auflösung beständig in naher Aussicht blieb. Wenn solch schwerer Todeskampf damit geendet hat, daß aus ihm die gebrochene Kraft erstarkt, der erloschene Glanz erneuert, der verlorene Ruhm verdoppelt hervorging: so haben dies allerdings nicht blos außerordentliche, sondern auch Preußen, wie Deutschland, ursprünglich fremde Ereignisse überhaupt nur möglich gemacht. Daß aber nicht schon vor dem Eintritte dieser Ereignisse das Haus Hohenzollern aufgehört hatte, zu regieren“ und der lezte Schatten preußischer Selbstständigkeit verschwunden war, daß die von der großen Mehrheit der Zeitgenossen ungehoffte Gunst der Umstände den hinschwindenden Staat vorbereitet sand, sie zu benußen, und daß diese Benutzung ein Ziel erreicht hat, höher beinahe, als die kühnsten Hoffnungen sich zu erheben gewagt, dies Alles ohnstreitig bildet vorzugsweise das Verdienst derjenigen Männer, welche in

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der eisernen Zeit jener Zwingherrschaft des Korsen einer unserer geistreichsten Staatsmänner „die einsamen Zierden des Vaterlandes" in der um uns gelagerten tiefen Abenddämmerung aller Größe" nicht mit Unrecht genannt hat. Daß der Mann, dessen Leben vor den Blicken unserer Leser in der vorliegenden Schrift vorüberzuführen wir beabsichtigen, unter den damaligen Errettern Deutschlands eine ausgezeichnete Stelle einnahm, ist selten, und ohne leidenschaftliche Verblendung wol niemals, bestritten worden, und leicht mag dies, weiter ausgeführt, vollkommen hinreichen zu einer Lobrede, welche geblendet von den Strahlen der Sonne, die ihr zu preisen obliegt, die Flecken derselben nicht wahrnehmen kann. Eine schwierigere, aber auch eine bei Weitem fruchtbarere, Aufgabe ist es, durch unbefangne Forschung und allseitige Prüfung die Art und die Größe des Antheils, welchen ein ausgezeichneter Staatsmann an den Ereignissen einer verhängnißvollen Zeit gehabt hat, zu ermitteln, und das Ermittelte mit jener Wahrheitsliebe, welche weder einer glänzenden Persönlichkeit noch einem andern Vermittler der Täuschung zu bestechen gelingt, anschaulich darzustellen. Ueberall wird dieser Anfoderung am befriedigendsten durch eine vollständige Lebensbeschreibung genügt werden können, denn nicht blos erklärt sich im Leben der Einzelnen, wie in jenem der Staaten, die Gegenwart meist vollkommen nur aus der Vergangenheit, und wird hier, wie dort, die Mutter der Zukunft, sondern es ist auch von selbst einleuchtend, daß die Lebensverhältnisse eines einflußreichen Staatsmannes und die Schicksale des Staates, welchem er seine Kräfte gewidmet, eine Wechselwirkung ausüben müssen, die Vieles erklären wird, was dem einseitigen Beobachter nicht zu vollem Verständnisse gelangen könnte. Ein Versuch, die eben bezeichnete Aufgabe in Betreff Hardenberg's zu lösen, soweit dies gegenwärtig möglich ist und unsere Kräfte es gestatten, soll nun im Nächstehenden gewagt werden, und unmittelbar wollen wir schon jest uns zu dem Helden unserer Geschichte wenden.

.1.

Karl August, Freiherr von Hardenberg, geboren am 31. Mai 1750 zu Effenrode bei Nörten im damaligen Kurfürstenthume Hanover, war der Abkömmling eines sehr alten,

vorzüglich in Niedersachsen heimischen, aber schon frühzeitig auch in Westphalen, Franken, und seit dem Jahre 1470 auch in Dänemark verzweigten, Adels - Geschlechtes. Seinen Namen hatte es von einem der Familie zugefallnen Schlosse hergenommen, welches an der jezt von Göttingen nach Nordheim führenden Straße nahe bei Nörten auf einem Hügel von mäßiger Höhe (hart am Berge) erbaut war, und der erste in einer Urkunde vom Jahre 1174 Genannte dieses Geschlechts (bekanntlich fing aber der Adel erst im zwölften Jahrhunderte an, seinen Namen von seinen Wohnsigen zu entnehmen) ist Dietrich von Hardenberg. Die Zeit und mehr noch die Verwüstungen des dreißigjährigen Krieges haben den Verfall jenes Schlosses nach sich gezogen, an dessen Stelle seit dem Jahre 1703 ein neues staatliches Gebäude mit den erforderlichen Wirthschaftshäusern und manchen schmückenden Anlagen getreten ist. Von den Abkömmlingen Dietrich's aber widmeten sich, wie es die Sitte mit sich brachte, die Meisten dem Kriegshandwerke, Andere Verwaltungsämtern, Manche der Kirche, und es kann nicht befremden, daß noch geraume Zeit nach der Kirchenverbesserung nur bei der Erziehung der Lezteren eine wissenschaftliche Bildung bezweckt wurde : die Nitterwürde, mit welcher im dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderte die meisten Söhne des Hauses bekleidet waren, mußte erst ihres Glanzes verlustig werden, wenn ein Streben nach solcher Bildung allgemeiner werden sollte. Ohne Zweifel ist dagegen das Geschlecht Hardenberg's frühzeitig ein reiches gewesen, denn es sah sich in den Stand gesezt, öfter weltliche sowol als geistliche Fürsten mit bedeutenden Darlehnen zu unterstüßen, und die ihnen dagegen verpfändeten Güter trugen vielfach dazu bei, seine Besizungen zu vermehren und ihm die Bahn zu Ehrenamtern zu eröffnen; vielleicht verhältnißmäßig der reichste Nachkomme Dietrich's war der im sechszehnten Jahrhunderte lebende Friedrich, der aber auch keinen Anstand nahm, gegen den ihm unmäßig scheinenden Aufwand seiner Schwester Katharina eine förmliche Verwahrung vor Notar und Zeugen einzulegen. Edlere Vorzüge, als der Reichthum verleihen kann, haben manche andere Mitglieder der Familie in einer bedeutenden öffentlichen Wirksamkeit an den Tag gelegt, namentlich Eiler, der nach der Mitte des sechszehnten Jahrhunderts dänischer Reichs

hofmeister und demnach erster dänischer Reichsrath war, und die der älteren Linie des Hauses Angehörige: Hildebrand Christoph, Friedrich Karl und Christian Ludwig. Der Erstgenannte war in den Diensten des Herzogs August von Braunschweig seit dem Jahre 1664 achtzehn Jahre hindurch Statthalter und Präsident des Geheimen - Raths - Kollegii, ein Mann von vielem Verstande, nicht gemeiner Gelehrsamkeit, und ächt deutscher, allgemein anerkannter Biederkeit - Eigenschaf ten, welche ihm das Vertrauen seines Fürsten in solchem Maße erwarben und bis zum Tode desselben ungeschmälert bewahrten, daß alle wichtigen Staatsgeschäfte der Leitung Hildebrand's anheimfielen. Sein Sohn stieg im englischen Heere bis zur Würde eines Generals der Reiterei (im Jahre 1735), von seinen beiden Enkeln aber war der kurz vorher genannte Friedrich Karl großbrit. - hanöver'scher wirklicher Geheimer - Rath und Kriegspräsident, ausgezeichnet durch glänzende und trefflich ausgebildete Geistesanlagen, große Gewandheit im Leben und in den Geschäften, rastlose Thätigkeit und unverwüstliche Heiterkeit. Im Jahre 1741 ging er als Gesandter nach Paris und vermittelte dort die Unpartheilichkeit des Kurfürstenthums bei den Streitig= keiten über die Verbürgung der „pragmatischen Sanction“, und sehr viel trug er im Laufe des siebenjährigen Krieges dazu bei, den Druck desselben seinem Vaterlande zu erleichtern. Sein durch mehre Reisen genährter reger Sinn für alles Große, Gute und Nügliche trug insbesondere auch der Hochschule von Göttingen die schönsten Früchte, denn Friedrich Karl ließ sich die Ver= vollkommnung ihrer wissenschaftlichen Anstalten sehr angelegen sein: er bewirkte namentlich den Bau der dortigen berühmten Sternwarte, wie die Ausstattung derselben mit den erforderlichen Werkzeugen. Sein schon genannter Bruder Christian Ludwig wird im Hause Hardenberg eben so allgemein mit dem Namen des Feldmarschall bezeichnet, als sein Großvater der Statthalter heißt. Dieser großbritanisch - hanöversche Feldmarschall, der Vater des Staatskanzlers, war zu Nörten am 3. November 1700 geboren. Frühzeitig dem Kriegsdienste zugewandt hatte er an den deutschen und niederländischen Feldzügen seiner Jugendzeit bereits eifrigen Antheil genommen, und in derselben bei mehr als einer Gelegenheit ein tüchtiges Urtheil und

ein muthvolles Herz gezeigt. Glänzender noch bewährte er Beides im Laufe des siebenjährigen Krieges unter den Fahe nen des Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig, unter welchem er hanöversche Truppen bei Hastens beck, Krefeld, Düsseldorf, Minden und in andern Schlachten, wie bei Erstürmung von Festplägen, mit so großem Ruhme führte, daß er vom Obersten eines Negiments zum GeneralMajor und General - Lieutenant aufstieg, und im Jahre 1779 zu der Feldmarschalls - Würde erhoben wurde. Das ganze Aeußere des verdienstvollen Kriegsmannes von hohem und kraftvollem Körperbau, war eine edle, Ehrfurcht gebietende Erscheinung, aber der Ernst, der auf den Zügen seines Gesichts ruhte, war gepaart mit einer wolthuenden Freundlichkeit, die in diesen Zügen am deutlichsten den Stempel eines wolwollenden Biedermanns von alter deutscher Treue erkennen ließ, einer Treue, welche Christian Ludwig auch in jedem seiner Verhältnisse, namentlich auch in dem des Gatten und Vaters, bewährte; übrigens hatte ihn nicht weniger, als seine Brüder, die Natur mit einem Frohfinne ausgestattet, welcher selten eine Trübung zuließ, und viel dazu beitrug, den würdigen Mann sehr angenehm für die Gesellschaft zu machen. Spät erst (am 23. August 1749) hatte er sich vermählt, dennoch wurde ihm das Glück, aus seiner Che mit Anna Sophie Ehrengart (geboren am 13. Januar 1731), Tochter des Landraths Gotthard Heinrich August v. Bülow auf Baiernaumburg und Effenroda, und Adelheid's v. Alvensleben, sechs Knaben und drei Mädchen entspringen, und von diesen Kindern sieben zwei Knaben waren im zartesten Alter gestorben heranwachsen zu sehen; von allen

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war der nachmalige Staatskanzler das erstgeborne.

Die ersten sechs Lebensjahre des Knaben verflossen ihm unter der elterlichen Obhut und der bildenden Pflege einer aus dem Alvensleben'schen Hause in das Hardenberg'sche übergegangenen Erzieherin. Noch spät in Denkblättern, welche er, nahe seinem funfzigsten Geburtstage, über seine Kindheit und erste Jugend abgefaßt hat, und deren durchaus rückhaltslosen Mittheilungen wir in vielen Folgenden sicher vertrauen dürfen

gebachte er dieser Erzieherin, Elisabeth Gavell aus Magdeburg, mit dankbarer Anerkennung ihres Verdienstes, und gern

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