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sächlich und grundsätzlich unrichtig, das erste nach dem alten satze Ab esse ad posse valet consequentia, keine auktorität kann die unmöglichkeit von nachgewiesenen thatsachen behaupten; das letztere, weil dann überhaupt die möglichkeit, ein mann von geist könne inkonsequent denken, bestritten werden müsste. Man hat von einem schwanken der ansichten Pope's und von einer milderung derselben bei zunehmendem alter gesprochen. Das erstere ist allbekannt, namentlich in bezug auf seine politische stellung, das letztere mag bei einigen einzelheiten zutreffen; hier ist eine solche erwägung ohne belang, denn gerade die den zeitgenossen und späteren anstössigste stelle (E. o. m. IV 173 ff.) ist erst in den letzten lebensjahren des dichters in den text gekommen, und in den frühesten teilen des Essay on man wie überhaupt in den früheren dichtungen finden sich eine menge aussprüche über gott, die ihn sehr positiv als rein persönlichen hinstellen und von warmer, echter andacht durchdrungen sind.

Das bild, welches wir bisher in den grundzügen von Pope's schriftstellerischem charakter gewonnen haben, lässt sich noch durch einige striche vervollständigen, die ihn ebenfalls als sohn seiner zeit zeigen. Hierher gehören einerseits seine vertretung der humanitätsidee und andererseits seine freien ansichten über weltverhältnisse und menschliche auktoritäten. Die humanität, die menschenliebe als maxime unsers handelns war für alle schattierungen der aufklärung der ausgangspunkt praktischer ethik. Wir haben gesehen, dass Pope die menschen- oder gemeinliebe aus der selbstliebe und dem verstande herleitet; was aber ihre geltung als praktisches prinzip betrifft, so gehört er zu ihren begeistertsten wortführern, zu den feurigsten lobrednern gemeinnützigen handelns und milder, liebevoller beurteilung unserer nebenmenschen. Mag hierzu der tiefe und nicht zu besänftigende hass gegen seine persönlichen feinde einen seinen charakter unvorteilhaft beleuchtenden gegensatz bilden, so würde man ihm doch unrecht thun, wenn man in die aufrichtigkeit seines lobes der humanität zweifel setzte und sein eintreten für alle darauf hinzielenden verbesserungen im socialen und politischen leben für blosse phrasen erklärte. Schon die erwägung, dass er als katholik in seinem vaterlande reichlich gelegenheit hatte, das gegenteil von humanität in der form konfessioneller unduldsamkeit zu empfinden, lässt

keinen zweifel daran aufkommen, wie er dergleichen gemeint habe. Er hält es für eine ehrenpflicht der grossen, gemeinnützigen zwecken opfer zu bringen, aber am höchsten preist er die werke echter menschenliebe, wenn sie in schlicht bürgerlichem gewande auftritt. In diesem sinne hat er dem edlen menschenfreunde John Kyrle, den er von seinem wohnsitze Ross in Herefordshire nur den man of Ross nennt, wie ihn auch der volksmund dankbar bezeichnete, in dem dritten der Moral Essays, der von dem gebrauche des reichtums handelt, ein herrliches poetisches denkmal gesetzt (v. 249 ff.).

Es ist für Pope sowohl als Engländer wie auch als sohn gerade seiner zeit sehr bezeichnend, dass er auch über die bedingungen des volkswohlstandes, über wirtschaftliche verhältnisse, über den umlauf des geldes und dergleichen klare und bis ins einzelne entwickelte ansichten besitzt. Es möge berufeneren vorbehalten bleiben, festzustellen, wie weit seine auffassung mit der nicht allzu lange nach seiner zeit als wissenschaftliches system auftretenden wirtschaftslehre oder nationalökonomik zusammenhängt; aber es ist gewiss nicht ganz zufällig, dass unser dichter durchaus geneigt ist, den geldumlauf als durch ebensolche gesetze geregelt anzusehen wie die naturgesetze, ebenso unverbrüchlich und ebenso klar erweislich für den verständigen beobachter. Geldgier und verschwendungstrieb sind die zwei grundleidenschaften, durch die auf diesem gebiete alles bedingt und in bewegung erhalten wird; das spiel dieser kräfte wirkt zusammen, löst sich in durchaus präciser aufeinanderfolge ab, bald ist die eine, bald die andere ursache oder wirkung. Pope hat eine der grössten und unsolidesten gründungen seiner zeit, den südseeschwindel mit dem darauf folgenden krach«, mit angesehen und mit scharfem blicke die verkettung von ursache und wirkung erkannt. Sein schadenfroher spott liest sich wie eine kritik heutiger wirtschaftslehrer über unternehmungen, die nur diejenigen für eine unserem jahrhundert ausschliesslich angehörende erscheinung ansehen, welche das buch der geschichte aufzuschlagen unterlassen.

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Über äussere stellung, macht, ehre und ansehen und über auf dergleichen gegründete autorität bringt unser dichter die freiesten ansichten zu tage. Diese dinge haben nach seiner meinung keinen wirklichen moralischen wert; der wahre wert des menschen beruht auf seinen innern, sittlichen vorzügen.

Wenn Pope gelegentlich auch die miene des ernsten, ideal ge sinnten weltweisen bei der besprechung solcher lebensgüter annimmt, so ist er doch immer da erst in seinem eigentlichen elemente, wo er irrtümer und vorurteile lächerlich macht und seiner spottsucht die zügel schiessen lassen kann. Er sagt (Moral Essays I 35 ff.):

»'Tis from high life high characters are drawn:

A saint in crape is twice a saint in lawn;

A judge is just; a chanc'llor juster still;

A gownman, learn'd; a bishop, what you will;

Wise, if a minister; but, if a king,

More wise, more learn'd, more just, more every thing. <<
Nicht in ironischer form, sondern direct ist derselbe ge-
danke im Essay on man (IV 193 ff.) ausgesprochen:
> Honour and shame from no condition rise;
Act well your part, there all the honour lies.
Fortune in men has some small diff'rence made,
One flaunts in rags, one flutters in brocade;
The cobbler aproned, and the parson gowned,
The friar hooded, and the monarch crowned.
'What differ more', you cry, 'than crown and cowl?'
I'll tell you, friend; a wise man and a fool.
You'll find, if once the monarch acts the monk,
Or, cobbler-like, the parson will be drunk,
Worth makes the man, and want of it the fellow;
The rest is all but leather or prunella.

Stuck o'er with titles, and hung round with strings,
That thou may'st be by kings, or whores of kings:
Boast the pure blood of an illustrious race,

But by your fathers worth if yours you rate,

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Count me those only who were good and great.<<

Vielleicht noch bezeichnender sind Pope's aussprüche über den werth des gesunden menschenverstandes und die autorität der natur im gegensatze zu gelehrsamkeit, verfeinerter kunst, kirchendogmen, grübelnder spitzfindigkeit und dergleichen. Hier finden sich die zahlreichsten anklänge an Rousseau. Gesunder sinn, natur, instinkt sind ihm gleichbedeutende oder doch sehr nahe verwandte begriffe. Die seele 1) aller kunst ist gesunder

1) Moral Essays IV 66. Still follow sense, of every art the soul.

sinn, darum soll man ihm stets folgen. Der zustand1) der von der kultur noch unberührten menschen war das reich gottes, und jene naturmenschen tappten deswegen keineswegs im finstern. »Wo 2) vollkommener instinkt der führer ist, was brauchen sie noch papst und concil? Ja, er geht so weit, zu behaupten, dass im instinct gott regiert und leitet, in der vernunft der mensch3). In den dichtungen, wo er als hauptgegenstand die reize der natur, insbesondere seiner heimat preist, hat er der neigung der zeit, sich auf ihre weise dem naturgenusse hinzugeben, einen, wenn auch für unsern geschmack etwas altmodischen, doch verhältnismässig einfachen und warmen ausdruck gegeben. In der Dunciade giesst er über die zünftige gelehrsamkeit der universitäten die lauge seines spottes aus, und hier mag einiges auf die rechnung seines unmutes darüber kommen, dass er als katholik von diesen altehrwürdigen bildungsstätten und von der gelegenheit, dort ehre und vorteil zu erwerben, ausgeschlossen war.

Wenn wir zum schlusse einen zusammenfassenden blick auf das bild werfen, das sich in dem hochbegabten geiste dieses merkwürdigen mannes von alledem, was zu seiner zeit das denken und empfinden des gebildeten Europas erfüllte, widerspiegelte, so wird eine verständige und gerechte beurteilung ihn nicht wegwerfend oder gar verdammend behandeln. Wir dürfen nie vergessen, was ja schon oft genug gesagt worden ist, dass wir es hier nicht mit einem philosophen, sondern mit einem dichter, einem geistreichen schriftsteller zu thun haben, und zwar einem schriftsteller, dem alles an dem beifall seiner zeitgenossen gelegen war. Wir haben das ergebnis gewonnen, dass er kein kirchlich gläubiger katholik gewesen ist, dass er nach seiner innern überzeugung zu einer bestimmten christlichen konfession überhaupt nicht gehört. Es ist klar geworden, dass er auch eine christliche weltanschauung nicht besass, dass er das christentum als historische thatsache so gut wie nicht beachtet und jede bestimmte aussage über seine bedeutung ver

1) E. o. m. III 147 f. Nor think in nature's state they blindly trod, The state of nature was the reign of God.

2) E. o. m. III 83 f. Say, where full instinct is th' unerring guide, What pope or council can they need beside ?

3) E. o. m. III 98. In this (instinct) 'tis God directs, in that (reason) 'tis man.

meidet. Es zeigte sich dann, dass Pope in seiner auffassung des gottesbegriffs sich mit denjenigen vertretern der aufklärung in übereinstimmung befindet, welche einen persönlichen gott als der menschlichen einsicht fassbaren begriff anerkennen, und dass ansätze zu entschieden pantheistischer oder deistischer auffassung nur scheinbar sind. In der lehre vom freien willen dagegen und den grundlagen des sittlichen handelns neigt er sich dem determinismus zu; dem glauben an eine fortdauer der menschlichen persönlichkeit nach dem tode zeigt er sich abgeneigt. Für die idee der humanität, besonders die ausübung werkthätiger menschenliebe, ist er mit begeisterung eingetreten. Ueber die äussern lebensgüter, standesunterschiede, autoritäten verschiedener art hat er freie ansichten gehabt, gesunder sinn geht ihm weit über verfeinerte kultur. So sind wir berechtigt, ihn unter die aufklärer zu rechnen, nicht aber ihn entweder der materialistisch-atheistischen oder der theistischrationalistischen gruppe mit bestimmtheit zuzuweisen. Sein talent machte Pope zu einem der einflussreichsten wortführer der richtung, welche dem achtzehnten jahrhundert den stempel aufdrückte, aber seine gedanken und grundsätze sind weniger entwickelt als die der männer, welche mehrere jahrzehnte später die worte fanden, um den zeitgeist zum ausdruck zu bringen; er stellt eine ältere phase der aufklärung dar, und deshalb ist vieles unbestimmter, weniger zusammenhängend, ja oft geradezu unklar und widerspruchsvoll in seiner weltanschauung, die als philosophisches system durchaus nicht zu bezeichnen ist, ein mangel, der ihrer wirksamkeit übrigens nicht den geringsten eintrag gethan hat.

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Man thut Pope nicht nur dann leicht unrecht, wenn man ihn als schriftsteller etwa mit Lessing und Mendelssohn vergleicht, die fast zwei decennien später und daher gereifter in die entwicklung eingriffen; man soll auch seinen charakter nicht an jenen deutschen aufklärern messen, denen, unberührt von den grossen der welt und politischem treiben, wie sie waren, die versuchung zur unaufrichtigkeit und doppelzüngigkeit erspart geblieben ist. Will man moralische betrachtungen und abschätzungen an genialen männern vornehmen, so ziehe man eine parallele zwischen Pope und Voltaire, dann wird unser mann wahrlich noch gut genug wegkommen.

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