Page images
PDF
EPUB

MISCELLEN.

ZU BYRON'S GIAOUR.

Im 2. heft des 26. bandes der Englischen Studien, p. 284 ff., hat prof. dr. Kölbing meiner dissertation Über Lord Byron's The Giaour (Halle 1898) eine längere besprechung gewidmet. Für das ungewöhnliche interesse, das er damit für meine anfängerarbeit zeigte, sowie für die ergänzenden mitteilungen und berichtigungen von fehlern, die ich mir habe zu schulden kommen lassen, kann ich dem leider inzwischen verstorbenen gelehrten nicht genug dankbar sein. Immerhin kann ich nicht leugnen, dass ich nicht in der lage bin, in allen punkten meinen irrtum rückhaltlos einzugestehen und der meinung prof. dr. Kölbing's beizustimmen. Ich hatte gegen ende des vergangenen sommers vorgehabt, prof. dr. Kölbing meinen dank und meine ansichten, sofern sie von den seinigen abweichen, in einem briefe mitzuteilen. Sein im August erfolgter tod hat das verhindert. In den folgenden zeilen möchte ich den inhalt dieses beabsichtigten briefes wiedergeben, soweit er mir für meine arbeit von einiger wichtigkeit erscheint, da ich die überzeugung hege, dass prof. dr. Kölbing die betreffenden teile meiner erwiderung selbst veröffentlicht haben würde.

[ocr errors]

Die hauptvorwürfe prof. dr. Kölbing's richten sich gegen meine wiedergabe des inhalts. Er meint, dass ich »dem inhalt des gedichtes kein genügend eindringliches studium gewidmet hätte< (p. 288 d. rez.). Im zweiten teile meiner dissertation habe ich die etappenweise entstehung der dichtung festgestellt, da mir in der Zeit meines Londoner aufenthaltes das material am Britischen Museum gerade zur hand war. Die konsequenzen aus dieser feststellung habe ich nicht gezogen. Mit jenen angaben habe ich J. Hoops, Englische Studien. 29. 3.

30

nur einem andern, welcher vielleicht einmal eine kritische untersuchung über die anlage des widerspruchsvollen stoffes anstellen würde, einen wissenschaftlichen handlangerdienst leisten wollen. Das würde eine arbeit für sich ergeben. Die darstellung des inhalts müsste sich dann mit der betrachtung der anlage zu einer kritischen untersuchung verweben. Eine solche kritische untersuchung des inhaltes habe ich nicht liefern wollen, sondern nur eine kritiklose wiedergabe, eine einfache erzählung der dichtung, welche keinen anspruch auf wissenschaftlichen wert macht und eigentlich nur für solche leser meiner dissertation bestimmt ist, die den Giaour selbst nicht kennen. Bei dieser reproduktion des stoffes bin ich sogar von dem bestreben geleitet gewesen, unklarheiten und widersprechungen der dichtung in meiner wiedererzählung thunlichst zu vermeiden, soweit dies möglich war, ohne zu fälschen. Wahrscheinlich sind das die »kleinen ungenauigkeiten und unberechtigten kürzungen«, die prof. dr. Kölbing rügt (p. 288 d. rez.).

Im einzelnen wendet sich prof. dr. Kölbing dabei gegen meine darstellung der verse 168-786 als ununterbrochene erzählung des türkischen fischers (p. 285 ff. d. rez.). Ich habe nun allerdings die ansicht, dass der ganze erste teil des werkes vom dichter als eine erzählung des fischers gedacht ist, mit selbstverständlicher ausnahme der einleitenden, später hinzugefügten sogenannten >lyrischen perlen«. Jedoch der anfang der rede des fischers lässt sich nach meiner auffassung überhaupt nicht genau fixieren. Will man einen bestimmten vers annehmen, so scheint mir doch vers 168 der richtigste zu sein, um so mehr als der ganze vorhergehende teil (v. 7—167) aus zusätzen der zweiten, dritten und fünften auflage besteht. Und es ist nicht unmöglich, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich, dass die schlusszeilen der späteren zusätze die eigentliche erzählung vorbereitend einleiten sollen, ich meine, dass bereits die verse 164-167

"No more her sorrows I bewail,
Yet this will be a mournful tale,

And they who listen may believe,

Who heard it first had cause to grieve."

auf den fischer bezogen werden können. Prof. dr. Kölbing setzt den anfang der rede des fischers auf v. 180 an (p. 285 d. rez.). Denn es scheint ihm ausgeschlossen, dass die v. 168 ff., die schildern, wie der fischer (in 3. person gesprochen, he<)

des abends nach dem Port Leone rudert, dem erzählenden fischer in den mund gelegt werden können. Ich sehe nicht ein, warum in diesem passus nicht von einer allgemeinen gepflogenheit der fischer die rede sein kann, in welchem falle die 3. pers. sing. als singular der allgemeinheit aufzufassen wäre. In diesen allgemeinen begriff schliesst der erzähler seine person mit ein und leitet so zu der schilderung der von ihm bei einer solchen gelegenheit mit angesehenen ereignisse über. Ich halte es sogar für wahrscheinlich, dass ursprünglich in der ersten auflage, in der die ganzen lyrischen perlen des anfangs (v. 7-167) noch fehlten, das wort des fischers sogleich mit v. I begann, dass die abschnitte v. 1-6 und v. 168-179 einigermassen zusammengehörten und eine kurze skizzierung des milieus bedeuten sollten, die der fischer zu beginn seiner geschichte giebt.

Dass in dem bericht des fischers, wenn man ihn als ununterbrochen bis v. 786 fortlaufend ansetzt, sich unklarheiten und dramatische unwahrscheinlichkeiten bemerkbar machen, ist nicht abzustreiten. Es handelt sich dabei in erster linie um folgende, auch von prof. dr. Kölbing behandelte abschnitte: v. 277-351 die schilderung von Hassan's verödetem palaste (p. 286 d. rez.), v. 467 ff. die widerlegung der durch die nubischen wächter versprengten gerüchte (p. 287 d. rez.) und v. 388-438 die beiden poetischen vergleiche (p. 287 d. rez.). Aber unklarheiten sind in diesem stückweise geschriebenen gedicht nun einmal enthalten, und dramatische wahrscheinlichkeit erscheint mir bei einem lyrischepischen fragment nicht erforderlich. Und die auffassung der erzählung des fischers als einer nicht unterbrochenen und, wiewohl nur äusserlich, zusammenhängenden ist doch die einzig mögliche auffassung, wenn man eine nur einigermassen einheitlich gedachte struktur der dichtung annehmen will.

Bei der wiedergabe von einzelvorgängen in der handlung habe ich natürlich nicht alle einzelheiten in genauer aufeinanderfolge berichtet, aber nicht aus nachlässigkeit, sondern aus der wohl überlegten überzeugung heraus, dass das nicht nur überflüssig, sondern die erzählung störend sei. Vielmehr habe ich mich bemüht, unter weglassung unbedeutender nebensachen das charakteristische und wichtige hervorzuheben und zusammenzufassen. Das tritt z. b. auch bei der von prof. dr. Kölbing angegriffenen wiedergabe der v. 221-250 zu tage (p. 286 d. rez.). Diese zeilen erzählen das vom fischer beobachtete zögern des Giaour bei seinem

[ocr errors]

fluchtartigen ritt und sein plötzliches davonjagen. Folgende worte meines textes glaubt dabei der rezensent richtigstellen zu müssen : >> Da, als ein kanonenschuss das ende des Rhamazans ... und damit den beginn des Bairamjubels anzeigt, jagt er in wildem schmerz weiter.<< (Diss. p. 4.) Allerdings ist der letzte äussere anlass für das weiterreiten des Giaour das ungeduldige wiehern seines pferdes; aber es mahnt ihn an die nötige eile und erinnert ihn an den innern grund dieser eile. Daher:

"That sound had burst his waking dream." [v. 247.] Der innere grund für die eile des helden ist nun der beginn des Bairams, der den thatenlosen Rhamazan abschliesst und dem Moslem wieder erlaubt, irgendwelche thätigkeit vorzunehmen. Vorher durfte Hassan nicht zur strafthat an Leila und zur rachethat am Giaour schreiten. Deshalb ist der hastige weiterritt nötig, wenn dieser noch zur rechten zeit hilfe zur rettung Leila's holen wollte. Deshalb merkt er auch schon vorher sorgfältig auf die anzeichen des Bairam-anfanges:

"Why looks he o'er the olive wood?" [v. 221.] Angezeigt wird der schluss des Rhamazans durch schüsse, die er allerdings nicht hören kann, die aber zu sehen sind:

"The flashes of each joyous peal

Are seen to prove the Moslem's zeal." [v. 226-227.] Auch habe ich demgemäss nicht geschrieben, dass er das schiessen hört, sondern nur, »dass ein kanonenschuss das ende des Rhamazans anzeigt<<. Dass der durch die schüsse verkündete beginn des Bairams die eigentliche veranlassung seines hastigen fortrittes ist, wird schon durch die zeilen angedeutet:

"And what are these to thine or thee,

That thou should'st either pause or flee?"

[v. 231-232.]

Ich glaube damit meine wiedergabe des betreffenden passus erklärt zu haben.

Fast ebenso verhält es sich mit meiner erzählung der v. 549 ff., die von prof. dr. Kölbing auch beanstandet worden ist (p. 287 d. rez.) und den zug der schar Hassan's durch den engpass zum gegenstand hat. Der rezensent meint weiter, es beruhe auf einem missverständnis der v. 771 f., wenn ich in der reproduktion des passus v. 747-786 schreibe: der Giaour wird als vampyr seiner jüngsten tochter den letzten lebenstropfen aus der wange ziehen< (p. 288 d. rez., Diss. p. 7). Das misverständnis könnte nur ein derartig unglaubliches sein, dass ich »tinge (v. 772) mit lebens

tropfen übersetzt hätte. Erklärlicherweise habe ich aber mit jenen wenigen worten gar nichts übersetzen wollen, wie denn überhaupt meine inhaltsangabe keine übersetzung ist, sondern ich habe mit dieser wendung nur versucht, die v. 771-772 frei und möglichst zusammengefasst wiederzugeben. Sie lauten:

"Yet must thou end thy task, and mark

Her cheek's last tinge, her eye's last spark."

[ocr errors]

Schliesslich wendet sich prof. dr. Kölbing gegen meine teilung des gedichtes in zwei grosse hälften, die mit den v. 786 und 787 aneinander stossen (p. 288 d. rez.). Er führt ungefähr an, der zweite teil bestehe aus dramatischen scenen, betrachtungen des dichters und der beichte des Giaour, sei also zu wenig ein ganzes, um als erzählung des dichters gelten zu können, im gegensatz zum ersten teil, den ich als erzählung des fischers auffasste. Ich begründe meine ansicht damit, dass hinter dem bericht der vorgänge in dem von mir angenommenen ersten teile die verschwommene gestalt des fischers steht, hinter dem bericht der vorgänge in dem von mir angenommenen zweiten teile dagegen unmittelbar die person des dichters, und dass ferner zwischen beiden abschnitten ein zeitraum von sechs jahren liegt (v. 798: "Tis twice three years at summer tide -"). Darum schrieb ich, mit v. 787 beginne gleichsam ein zweiter gesang (Diss. p. 7.). Übrigens wird meine meinung von George Ellis geteilt, wie aus dessen folgenden worten erhellt: "With the death of Hassan, or with his interment on the place where he fell, or with some moral reflections on his fate, we may presume that the original narrator concluded the tale of which Lord Byron has professed to give us a fragment. But every reader, we are sure, will agree with us in thinking, that the interest excited by the catastrophe is greatly heightened in the modern poem; and that the imprecations of the Turk, against the 'accursed Giaour' are introduced with great judgment, and contribute much to the dramatic effect of the narrative. The remainder of the poem, we think, would have been more properly printed as a second canto; because a total change of scene, and a chasm of no less than six years in the series of events, can scarcely fail to occasion some little confusion in the mind of the reader." (S. The Complete Works of Lord Byron, reprinted from the last London edition. Frankfort o. M. 1852, p. 229, note 2.)

Im anschluss an meine ausführungen über den einfluss Ali Pascha's auf die heldengestalt der dichtung schliesst prof. dr.

« PreviousContinue »