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gut. Man bemerkt mit befriedigung, dass eine frage angeschnitten ist, und glaubt zu fühlen, dass die autorin einem etwas zu sagen habe. Leider sagt sie uns gar nichts. Aber fleiss und ausdauer gehören dazu, danaïdentonnen mit wasser und 18 lange kapitel (vom 16. bis 33.) mit gleichgültigem zeug anzufüllen. Welches verdienst, wenn die verfasserin zum mindesten, anstatt jeden abschnitt mit überschriften und nichtssagenden motti herauszuputzen, ihrem werk einige erklärende stammtafeln beigegeben hätte! Modern Broods soll eine art abschluss zu zweien ihrer früheren (von der englischen kritik hochgelobten) romane sein; ich vermute, dass der personalapparat in den drei werken der gleiche ist, aber jedenfalls würde sich der leser der Modern Broods in dem labyrinth von namen, personen und verwandtschaftlichem kram unfehlbar verlieren müssen. Übrigens halte ich es für ausgeschlossen, dass es ausser den recensenten jemand geben könne, der solche geschichten mit aufmerksamkeit bis zu ende liest.

Gegen Mrs. Alexander's neueste werke sind von deutscher seite stimmen strenger kritik laut geworden. Ich vermag nun allerdings nicht M. Meyerfeld's letztes anathema seinem ganzen wortlaut nach zu unterschreiben; jedenfalls ist A Missing Hero von unseren drei frauenromanen der beste. Ich gestehe ihm gern einen dramatischen kern zu, der freilich nicht ganz zur entfaltung kommt. Am schluss des ersten kapitels verschwindet George Lisle spurlos aus London und macht in den südafrikanischen kolonien die (etwas seltsame) metamorphose vom feinen salonherrchen zum gewaltigen elefantenjäger durch. Nach zehn jahren trifft er in Natal mit einer gesellschaft englischer sonntagsjäger zusammen, unter denen sich Forrester, ein naher anverwandter von ihm, befindet. Da sich dem edlen paar der vettern um diese zeit ein reiches erbe beut, so sucht der verschlagene Forrester den lästigen rivalen zu beseitigen, was ihm indes in zwei fällen misslingt, zum trost für Madeleine, die schwester eines englischen ansiedlers, die sich schon als neunjähriges kind in den reizenden Lisle verliebt hat. Unkünstlerisch, weil auf reklame berechnet, ist die sporadische einbeziehung des Burenvolkes (als dessen nationalsprache, nebenbei bemerkt, die deutsche bezeichnet wird).

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Der beliebte erzähler F. C. Philips beschenkt uns wieder mit einem band seiner kleinen geschichten, einer kunstgattung, in der er bekanntlich excelliert. Es sind 13 novelletten und skizzen, ganz nach dem muster seiner früheren nippsachen, "short, pointed

and racy", aber noch feiner abgetönt, künstlerischer abgerundet, meist epischer natur, ausschnitte aus dem liebes- und eheleben, auch ein paar aufsätze, über Gambling, Vivisection 1), und eine gastronomische abhandlung über den kaffee, worin den Eng. ländern gelehrt wird, nach deutschem recept einen schmackhaften kaffee zu brauen. Die mehrzahl der geschichtchen ist durch einen herzerfreuenden humor ausgezeichnet. Die sammlung kann bestens empfohlen werden.

Und nun zu M. Hewlett's werk.

An epischen und dramatischen darstellungen von Richard Löwenherz' leben ist in den meisten litteraturen Europas kein mangel. War doch jener sänger-könig mit seiner ganzen ritterlichen persönlichkeit, mit seinen tugenden und fehlern eine so recht menschlich-individuelle, fesselnde erscheinung, dass es nicht wunder nehmen kann, wenn die volksphantasie sich frühzeitig seiner bemächtigte und sein angedenken, mit zahlreichen sagen umwoben, von generation zu generation vererbte. Die intimere lebensgeschichte jenes treuliebenden und unglücklichen »Ja- und neinfürsten ist, recht betrachtet, eine tragödie; und eine erhabene, markige tragödie ist es auch, was M. Hewlett mit feinstem stilgefühl daraus geschaffen hat:

A stately-written tragedy;

Tragadia cothurnata, fitting kings,

Containing matter, and not common things.

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An der hand der alten chronik eines gewissen wie ich vermute, nur vorgeschobenen abtes Milo erzählt uns der verfasser liebesleben, kreuzfahrt, gefangenschaft und tod des löwenherzigen königs in gedrängter, kräftiger und absichtlich altertümelnder sprache. Ein massiver ritterlicher humor, der an die gabs der Karlsreise erinnert, bricht oft durch das ganze und wirft blitzende sonnenstrahlen in eine handlung, die in der hauptsache tragisch düster genannt werden muss; denn die freiwillige aufopferung der »schöngegürteten « Jehane für den geliebten könig bildet ihr leit- und leidmotiv. Einige wenige lyrische episoden, so namentlich I 256 und II 35-38, sind mit einer zartheit ausgeführt, die inmitten des waffengeklirrs wie liebliche musik an

1) In gesprächsform. Grundgedanke: »Für amüsement, kleidung und ernährung werden ungleich mehr und grössere grausamkeiten gegen tiere verübt als in den medizinischen laboratorien zum besten der wissenschaft.« Der beIweis hinkt auf allen füssen.

mutet; dagegen bleiben uns freilich auch ein paar schauderhafte und abstossende scenen und hie und da derbe ausdrücke nicht erspart. Aber Hewlett's Löwenherz ist es ja wohl nicht darum zu thun, in salons zu prangen: er schreitet in helm und brünne durch das kriegslager, und sein haar flattert im wind . . .

Ich sprach oben mit absicht von einer tragödie, denn es verdient beachtet zu werden nicht als geschichtschreiber, sondern als dichter hat Hewlett seinen stoff geschaut und geformt. In das gewebe der verbürgten thatsachen hat er die buntfarbigen fäden der romantischen sage, die Blondelgeschichte, die tradition des Alten vom berge und anderes, kunstvoll hineingewoben. Dass er seinen historischen stoff so und nicht anders gestaltet, wird ihm niemand vorzuwerfen wagen; denn klar fühlt man, dass der verfasser souverän über geschichte und sage waltet, und dem zauber seiner grossen darstellungskunst giebt man sich willig hin.

Dass die provenzalische dichtung in dem buch eine rolle spielt, ist wohl zu erwarten. Mancher trobador der ränkesüchtige Bertran de Born voran, tritt uns lebensvoll entgegen; manch bekanntes liedchen, die reizende ballada »A l'entrada del tems clar» u. a. klingen an unser ohr; auch wortscherze laufen unter, die für den des provenzalischen unkundigen leser verloren gehen (II 197). Auffallend ist, dass ein satz unserer muttersprache (II 172) in anachronistisches Neuhochdeutsch gekleidet ist. Unrichtig ist ferner die behauptung, dass das Chastel d'Amors aus 12 strophen bestehe (II 198).

Wir sind in Hewlett's historischem roman um ein werk reicher, das in seiner eigenart ganz allein steht und jedenfalls die sensationellsten society novels unserer tage aus dem felde zu schlagen geeignet ist.

Ansbach, Juni 1901.

Armin Kroder.

Walter Besant, The Fourth Generation. Tauchnitz Edition, vol. 3447. Leipzig 1900. Preis M. 1,60.

W. E. Norris, The Flower of the Flock. Ebd., vol. 3448. 1900. Preis M. 1,60.

Marie Corelli, The Master-Christian. Ebd., vol. 3450/51. 1900. Preis M. 3,20.

Diese drei romane haben nichts gemeinsam; es sei denn, dass sie sämtlich hinter den anforderungen, die wir an den mo

dernen roman stellen, weit zurückbleiben.

Der erste ist unmöglich; der zweite albern; der dritte unmöglich und albern.

Der

Sir Walter Besant, der Doyen, habe den vortritt. inhalt seiner kriminalistischen studie kann nicht besser erschöpft werden als durch das eine citat aus den Piccolomini: »Das eben ist der fluch der bösen that, dass sie fortzeugend immer böses muss gebären. Das biblische motiv von dem eifervollen gott, der die missethaten der väter heimsucht bis ins dritte und vierte geschlecht, rückt in sociale beleuchtung: an die stelle der theologischen ahndung soll die natürliche folge treten. Zu diesem zweck wird ein erschreckend weitläufiger apparat aufgeboten, der die aufdeckung eines 70 jahre zurückliegenden verbrechens bewirken soll. Die blühende phantasie ist dem verfasser von All Sorts and Conditions of Men treu geblieben; in einzelheiten stellt er aber an den vernunftbegabten leser geradezu entehrende zumutungen. Mit dem zufall wird ein verwegenes spiel getrieben, und zwar tant pis pour lui in bewusster weise; denn Sir Walter möchte uns belehren, dass das zusammentreffen willkürlicher ereignisse im leben des individuums eine weit bedeutendere rolle spiele, als es irgend ein romanschreiber bis jetzt darzustellen gewagt habe. Die geschichte selbst wird mit seniler weitschweifigkeit und ermüdender kleinigkeitskrämerei vorgetragen. Sir Walter hat sich selbst das urteil gesprochen, indem er den satz aufstellt: »Man ist geneigt, die verantwortlichkeiten des erfolges zu vergessen.« Richten wir also nicht!

W. E. Norris erzählt mit vielem hin und her eine liebesgeschichte; ein rennen mit hindernissen. Charlie Strode, ein officier in einem teuren regiment, der abgott seiner familie, der stolz der gesellschaft oder vielleicht eher der stolz der gesellschaften, "the flower of the flock", als dessen haupteigenschaft erwähnt wird, dass er ein schöner junge ist, liebt die reiche Amerikanerin Mrs. Prudence Van Rees, eine kinderlose witwe, die nach London gekommen ist, "asking for nothing better than to amuse herself". Während er sie anfänglich gerne gehabt hätte, aber nicht ohne ihr geld, möchte er im laufe der geschichte ihr geld, aber nicht ohne sie: Schon auf s. 14 bei erster bekanntschaft finden sie aneinander gefallen; erst auf s. 318 verloben sie sich. Seine kluge mutter bemerkt dazu: "Well, you don't surprise me, either of you... What a lot of trouble would have been saved, if you had done this before!" Wir wagen nicht zu widersprechen.

K. Breul, Die gründ. eines reichsinstituts für lehrer des Englischen in London 459

Miss Hannah More (1745-1833), das bekannte mitglied des Blue Stocking Club, hatte im jahre 1799 eine schrift veröffentlicht, die von dem damaligen bischof von London der geistlichkeit in seinem hirtenbriefe aufs wärmste empfohlen wurde. Die zeiten haben sich geändert. Heute sind die frauen wilde anklägerinnen und reissen erbarmungslos den schleier von socialen schäden. Miss Marie Corelli leuchtet eifervoll in das purgatorio der katholischen kirche hinein und liebäugelt damit, dass ihr buch auf den index gesetzt wird. In all ihrer weltlichkeit und sündhaftigkeit soll die allein selig machende kirche enthüllt werden. Das geschieht in einem roman voll melodramatischer effekte, der eigentlich ein verkapptes pamphlet ist. Selbst die ehrlichkeit ihres hasses vermag die lächerlichkeit ihrer vorwürfe nicht zu mildern. In ihrer unkünstlerischen, rein agitatorischen art vergisst sie völlig, dass auch der gute herabsinkt, der einen so verächtlichen gegner bekämpft. Schliesslich bedarf es, um solchen angriffen neben der wucht auch die glaubwürdigkeit zu verleihen, doch einer tieferen weltauffassung, als sie der mass los polemischen Marie Corelli eignet. Aber die fingerdick aufgetragene, zeitgenössischen regungen schmeichelnde und selbst dem blöden durchschnittsleser mundgerechte tendenz hat dem Master-Christian einen in der geschichte des romans, nicht nur des englischen, unerhörten erfolg bei der masse verschafft. Die kunst geht leer dabei aus; mehr als der litterar- wird sich der kulturhistoriker mit diesem zeitdokument zu befassen haben.

Berlin, 12. Januar 1901.

Max Meyerfeld.

VERMISCHTES.

Karl Breul, Betrachtungen und vorschläge betreffend die gründung eines reichsinstituts für lehrer des Englischen in London.. Leipzig, Stolte, 1900. 16 ss. 8°. Preis M. 0,60.

Unser um die verbreitung deutscher litteratur und kultur in England so hoch verdienter landsmann hat diese kleine broschüre dem 9. deutschen neuphilologentage gewidmet. Der vorschlag, den sie enthält, in London ein reichsinstitut für etwa 50-100 lehrer des Englischen zu gründen, in dem diese auf staatskosten im winter- oder sommersemester weitere ausbildung fänden, ist gewiss ausserordentlich beherzigenswert. Auch die einzelheiten des planes,

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