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stolz genug war, verächtliche gegner mit blosser verachtung zu strafen, so begreifen wir doch auch, dass er viele freunde. unter den bedeutendsten männern und frauen seiner zeit gefunden hat, wozu nicht allein die feine liebenswürdigkeit, die ihm im verkehr zu gebote stand, der grund war.

Die besten quellen für die erkenntnis des charakters unsers dichters überhaupt sind seine satirischen schriften, die ihrer natur nach am meisten geeignet sind, den menschen im schriftsteller erkennen zu lassen. Pope's charakter als schriftsteller wie als mensch erinnert uns, wenn wir aus den bezeichneten quellen schöpfen, sehr an den Heinrich Heine's trotz der grossen verschiedenheit ihrer poetischen schöpfungen. Beide waren bis zur leidenschaftlichkeit empfindlich, unversöhnlich, wenn sie beleidigt waren, beide mit den besten waffen des geistes, witz, poetischer und stilistischer begabung, versehen, um sich ihren feinden furchtbar zu machen. Der unterschied, der sich in den satirischen dichtungen beider findet, gründet sich darauf, dass Pope sein ganzes leben in guter und vornehmer gesellschaft zubrachte, Heine fast ausschliesslich in schlechter. Edler ist Pope's personalsatire nie als Heine's, aber feiner, vornehmer, meist anständiger. Er würde nie so mit jemand verfahren sein wie Heine mit Platen oder Börne, aber was er vielen seiner zeitgenossen, z. b. der herzogin von Marlborough, angethan, ist eher kränkender als Heine's pöbelhafte giftgeschosse.

Will man die gedanken eines genialen mannes, der Pope bei allen seinen schwächen und mängeln war, genau und in ihrem natürlichen zusammenhange erkennen, so muss man ihn sehr zart anfassen. Die kategorien der schule und etwa der allgemeinen bildung reichen hier nicht aus. Lessing fühlte mit kühnem scharfsinn heraus, dass Pope nichts weniger als ein philosoph war, denn eine der bezeichnendsten eigentümlichkeiten seiner weltansicht ist, dass sie kein system ist. Die darstellung ist eine poetische, weil Pope ein poetisch begabter mann war, aber Lessing thut nicht Pope, sondern den dichtern unrecht, denn die schwache und ungenaue fügung der gedanken ist nicht eine eigenschaft des dichters als solchen Lessing selbst ist der klarste beweis dagegen, sondern des menschen. Wiederum wäre es ungerecht, zu behaupten, dass die vielen widersprüche, inconsequenzen und absichtlich in dunkel gehüllten

punkte in Pope's meinungen lediglich einer unklarheit des denkens oder seinem persönlichen charakter zur last fielen. Der wahre grund ist die übereinstimmung seines geistes und charakters mit dem seiner zeit, die eben eine übergangszeit war. Es galt überall, neues zur geltung zu bringen, altes anzugreifen oder es vergessen zu machen, wenn man sich scheute, es geradezu anzugreifen. Denn dieses unternehmen ist gefährlich, wenn man dabei mit denen, die macht über leib und leben haben, in conflict gerät. Das England des achtzehnten jahrhunderts war zwar in diesem punkte weniger unsanft als frühere zeiten, in denen noch grössere geistige umwälzungen vor sich gegangen sind. Giftbecher, kreuze und scheiterhaufen gab es nicht mehr, aber einkerkerung, pranger, abschneiden der ohren; und schliesslich gab es die öffentliche meinung der grossen massen, deren ungunst sich ein beliebter schriftsteller nicht gern aussetzt. Es galt also vorsicht, bisweilen auch ein wenig zweizüngigkeit. Das sonderbarste aber und das, was sich am leichtesten der beob achtung entzieht, ist dies: Die neuen ansichten wurden in jener zeit von den vorsichtigeren immer viel wirksamer vertreten als von den brauseköpfen, starrsinnigen oder unüberlegten; die alten auctoritäten waren stets viel mehr gefährdet von denen, die ihren ruf als gutgesinnte zu erhalten wussten, ihn aber dazu benutzten, ungestraft gelegentlich die freidenker zu spielen. Die radicalen anhänger der aufklärung hemmten ihren siegreichen fortschritt, die aufrichtigen und geraden nützten ihm nichts; die männer, denen es auf einen widerruf im falle des bedarfs nicht ankam, und die genau wussten, wieviel sie von der wahrheit zu sagen, wieviel zurückzuhalten hatten, förderten ihn. Dafür machten die ersten mit jenen unsanften mitteln der autorität gegen ihre gegner bekanntschaft und wurden wohl gelegentlich als helden angesehen, die zweiten erregten wenig aufsehen, die dritten waren, wenn sie talent und ehrgeiz besassen, in England, von dem hier zunächst nur die rede ist, die löwen des tages.

Ein solcher war Pope, und er war dank seinen glänzenden geistesgaben der grösste virtuos unter ihnen. Daher war seine thätigkeit sowohl für ihn die quelle überreicher befriedigung seines brennenden ehrgeizes als auch von einzig dastehendem einflusse auf seine zeitgenossen, immer zugleich durch das, was er sagte, und durch die art, wie er es sagte.

Es liegt scheinbar nahe, Pope's berühmten ausspruch, dass das eigentliche studium der menschheit der mensch selbst sei1), zum ausgangspunkte jeder erörterung über seine weltansicht zu machen. Dies ist auch insofern durchaus berechtigt, als Pope in seinem hauptwerk, das er bescheiden einen versuch) über den menschen nennt, sich durchaus und ausdrücklich auf den menschen als gegenstand seiner betrachtungen und untersuchungen zu beschränken behauptet. Denn das studium, das sich auf den menschen richtet, ist natürlich durchaus nicht in dem sinne zu verstehen, als ob etwa die wissenschaft, die wir heute anthropologie nennen, die lösung der in dem berühmten ausspruche angedeuteten aufgabe darstellte. Pope will menschenkenntnis lehren und seine zeitgenossen zum streben nach dieser anregen. Er bewegt sich, wo er von der erkenntnis unsrer geistigen und sittlichen natur, von dem einflusse der äussern verhältnisse auf die entwicklung der charaktere und dergleichen redet, ganz in dem gedankenkreise der französischen moralisten, deren bedeutendster, Rochefoucauld, auch in England sehr bewundert wurde. Aber das programm Pope's erweitert sich sehr bald so, dass in seine erörterung die wichtigsten fragen, welche überhaupt den menschlichen geist beschäftigen, hineingezogen werden: gott, das weltganze, dessen zusammenhang, die freiheit des menschlichen willens, die unsterblichkeit der seele, die lehre vom übel und vom glück; kurz, der begriff der menschenkenntnis wird zu dem, was man damals mit dem ausdrucke metaphysik und >>moralphilosophie bezeichnete. Eben deswegen aber haben wir hier Pope's stellung als moralist, d. h. als lehrer der auf erfahrung beruhenden menschenkenntnis, nicht allzu sehr zu betonen. Wenn es sich darum handelt, das, was ihn gross und berühmt gemacht hat, seine bedeutung in der geschichte der aufklärung, scharf zu erkennen, haben nicht seine ansichten von der geistigen und namentlich der sittlichen natur des menschen in den vordergrund zu treten, sondern die negative seite seiner weltansicht, der gegensatz gegen die überlieferten ansichten und dogmen, die er nicht etwa immer bestritt, sondern

1) »The proper study of mankind is man.« E. o. m. II, 2.

2) Das wort essay, welches heute schlechthin eine abhandlung bedeutet, hatte damals noch denselben sinn wie das englische attempt heute.

meist nur aus seiner weltanschauung ausschaltete und durch gelegentliche oder scheinbar gelegentliche ausführungen untergrub und zersetzte. So sehr Pope den freidenker Toland und seine geistesverwandten zu verabscheuen scheint, so liegt doch seine historische bedeutung in den gedankengruppen, die nach jener seite sich neigen. Ein freidenker im engeren und schroffen sinne war Pope nicht, aber einer der einflussreichsten aufklärer, und daher müssen wir seine ansichten von dem gesichtspunkte aus betrachten, von dem aus ihr gegensatz gegen das bestehende am deutlichsten wird. Somit würden wir das recht haben, mit der frage, ob Pope ein katholik im vollen sinne des wortes gewesen sei, zu beginnen, auch wenn er nicht selbst, wie sogleich gezeigt werden wird, dies von sich zu behaupten unternommen hätte.

Um Pope's stellung zu seiner eigenen, der römisch-katholischen kirche, im rechten lichte zu erblicken, sei eine bemerkung über die lage der katholischen geistlichkeit in seinem vaterlande gestattet. Die härte der englischen staatsregierung erlaubte den katholischen geistlichen zu anfang des achtzehnten jahrhunderts nur eine wirksamkeit als hauskapläne vornehmer familien, an die sich andere zu religiösen zwecken anschliessen durften. Man kann sich leicht vorstellen, dass in folge dieser gewiss sehr klug ausgedachten massregel von einer herrschenden und imponirenden stellung der geistlichkeit katholischen laien gegenüber nicht die rede sein konnte. Die gedrückten und von der mehrheit ihrer landsleute mit dem grössten misstrauen angesehenen männer, denen es unmöglich war, in der guten gesellschaft eine rolle zu spielen, mussten sehr zufrieden sein, wenn die katholischen Engländer im allgemeinen und äusserlich standhaft zu ihrer kirche hielten und gegebenenfalls farbe bekannten; eine massgebende einwirkung auf das geistige leben war ausgeschlossen, ein druck, wie er in katholischen ländern ausgeübt wurde, undenkbar.

Jedenfalls wäre Pope mit seinem harten tadel verschiedener einrichtungen und gebräuche der römischen kirche in Frankreich, Italien und in den katholischen deutschen staaten sehr übel angekommen. Er hat vom mönchstum eine sehr geringe meinung, er spricht unehrerbietig vom rosenkranze, von päpsten und concilien; das mittelalter, die blütezeit des papst

J. Hoops, Englische Studien. 29. 1.

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tums ist ihm eine zeit der barbarei und unwissenheit 1). Aber das sind einzelheiten, und viel wichtiger erscheinen seine äusserungen über confessionelles kirchentum überhaupt. Hier sieht man auch, wie er bei etwaigem anstosse, den er erregte, auf seine weise auszuweichen wusste. Ein beispiel mag sein verfahren anschaulich machen.

Er sagt in seinen Imitations of Horace, sat. I, v. 63 ff.:
>>My head and heart thus flowing through my quill,
Verse man or prose-man, term me which you will,
Papist or Protestant, or both between,

Like good Erasmus, in an honest mean,

In moderation placing all my glory,

While Tories call me Whig, and Whigs a Tory.<<

Eine stelle aus einem briefe Pope's, wo er auf diese äusserung zurückkommt, zeigt, wie er sich gegen vorwürfe, die ihm von seiten kirchlich gesinnter gemacht wurden, verteidigte. Er schreibt an Caryll (1732 oder 1733): You will smile to hear that one or two good priests were gravelled at my saying in the last thing 'Term me what you will, Papist or Protestant etc.' not seeing so plain a meaning as that an honest man and a good Catholic might be indifferent to what the world called him, while he knew his own religion and his own integrity.<

Man sieht viel deutlicher als den so klaren sinn«, dass Pope nach dem grundsatze Si fecisti, nega verfährt; denn der vergleich mit Erasmus, und dass er sich mit klaren worten für den mittelweg erklärt, schliesst seine nachträgliche deutung vollständig aus.

Eine andere stelle verwandten inhalts mag hier noch ihren platz finden, weil sie in anderer beziehung als die eben angeführte interessant ist.

Im Essay on man IV 135 heisst es:

The good must merit God's peculiar care;
But who, but God, can tell us who they are?
One thinks on Calvin heav'n's own Spirit fell;
Another deems him instrument of hell;

If Calvin feel heav'n's blessing, or its rod

This cries there is, and that, there is no God.«

1) Derartige stellen sind: Essay on criticism v. 687 ff., besonders 692. Ferner: Rape of the lock I 30. Essay on man II 280, III 83 f. Dunciad III IOI-112. Moral Essays VII 11 ff.

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