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ergiesst die schale seines zornes über alle dunkeln seiten des englischen industrielebens, welche heute noch im widerspruch stehen mit jenem lichtvollen bilde kommender zeit, wie wenn diese dunkeln seiten im socialen dasein der Engländer sich nicht auch genau ebenso bei anderen völkern wiederfänden. Er kann nicht genug sich darüber erzürnen, dass im englischen volksleben die materiellen interessen den weitaus ersten rang einnehmen, als ob nicht Goethe schon vor hundert jahren für Deutschland ausgerufen hat: »Am golde hängt, nach golde drängt doch alles!« als ob nicht heutzutage alle politischen parteien Deutschlands mit einem gefühle erhebenden stolzes auf die thatsache blicken, dass seit 1870/71 die deutsche »profitmacherei<< um mich eines St.'schen wortes zu bedienen im welthandel weit bessere erfolge erzielt als je zuvor; als ob nicht beispielsweise die heutige wertschätzung der höheren lehrer bei uns lediglich bedingt wäre einerseits dadurch, dass wir jetzt besser bezahlt werden als früher, andererseits dadurch, dass wir immer noch um 600 mk. schlechter gestellt sind als die juristen u. s. w. Und ich meine, altes wie neues testament sind schon voll von seitenstücken zu dem Goetheschen stossseufzer. Welchen wert hat es da, wenn verf. in diesem punkte vorwürfe ausschliesslich an die Engländer richtet? Dieselbe frage stellt man sich, wenn man beim verf. den ausdruck seines ärgers liest darüber, dass für die Engländer im vollsten masse der tiefsinnige moralspruch gilt "nothing succeeds like success?? «, und sich dabei erinnert, dass die Franzosen für sich das ganz gleichlautende wort haben: »en France, rien ne réussit comme le succès«, dem wir unsrerseits etwa zur seite stellen können: »nur die erste million ist schwer zu verdienen.«.

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Schon bd. XXVI 311 dieser zeitschr. habe ich auf eine reihe von zügen hingewiesen, die dem Engländer eine gewisse überlegenheit gegenüber dem kontinentalen verleihen, und die die aufmerksamkeit des verf. nicht auf sich gelenkt haben. Hier könnte ich noch daran erinnern, dass der kontinentale antisemitismus unserer tage in England ebenso wenig eingang gefunden hat wie die tollwut der hunde. Ich will aber lieber darauf aufmerksam machen, dass in England der courage civil, wie es der Franzose nennt, d. h. die neigung, gegebenen falls mit mannessinn der öffentlichen meinung des landes, der lokalen stimmung des ortes entgegenzutreten, weit verbreiteter ist als auf dem kontinent. Vom mangel dieser eigenschaft legt u. a. der titel unseres vorliegenden

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buches in recht bezeichnender weise zeugnis ab. Der stoff des buches nämlich ist in diesem selber gruppiert unter die drei hauptüberschriften: Die weltmacht Die demokratie kultur Englands. Auf dem titel aber heisst es nur >England als weltmacht und kulturstaat. Das fehlen des schlagworts für abteilung II ist hier um so auffälliger, als verf. seine vorliegenden untersuchungen vorzugsweise als » socialwissenschaftliche« ansieht (vgl. vorwort s. IV) und sein vorwort mit dem satze schliesst : >Sollte es meinem buche glücken, den leser ebenso in seinem glauben [an die demokratie als der einzig denkbaren fortschrittlichen gesellschaftsform] wie in seinem zweifel bezüglich der aristokratie (als unklarster und unbekanntester aller gesellschaftsformen] zu bestärken, so habe ich vorläufig meinen zweck erreicht. Also: der demokratische gesichtspunkt war für das ganze buch massgebend, und gleichwohl wird gerade das wort » demokratie< für den titel unterdrückt. Das kann offenbar nur auf abwesenheit von courage civil beruhen angesichts der thatsache, dass demokratische ansichten gegenwärtig auf dem kontinent recht wenig beliebt sind. Ein englischer verfasser von der bedeutung G. Steffen's aber hätte sich schwerlich dazu herbeigelassen, darum gerade die ausschlaggebende idee seines buches vom titel zu streichen.

Und im übrigen, so gefährlich wäre schliesslich das wort >demokratie‹ auf dem titel gar nicht gewesen. Ein bisschen demokratisch sind im grunde alle unsere öffentlichen und privaten institutionen auf dem kontinent, von Berlin bis Lissabon.

Um dem leser eine vorstellung von dem reichen und anregenden inhalt des buches zu geben, will ich hier die unterabteilungen der drei hauptkapitel angeben: Die weltmacht: 1) England und die zeitprobleme, besonders die weltmachtfrage, 2) Imperium Britannicum, 3) die lebensprozesse eines weltstaats ; Die demokratie: 1) der aristokratismus und der demokratismus in England, 2) industrieller demokratismus, 3) die reform der landgemeinden, 4) municipale fortschritte, 5) die gesellschaftspyramide; Die kultur: 1) englische hausgötter, 2) volksaufklärung, 3) intellektuelle evolution, 4) bildungsmaterial, 5) John Ruskin, 6) kunstgewerblicher idealismus, 7) künstlerpersönlichkeiten, 8) der nationalcharakter, 9) der kulturwert der weltmacht und des demokratismus.

Ich bemerke hierzu, dass insbesondere die kapitel 3 und 4 des zweiten hauptteils den meisten lehrern recht wertvolle belehrung bieten dürften, und dass im dritten hauptteil verf. trotz seines unwillens

über die englischen geldleute und industriefürsten doch mit voller gerechtigkeit den hochbedeutsamen anteil würdigt, den England an der gemeinsamen philosophischen und künstlerischen kulturarbeit der abendländischen völker hat. Überall aber schreibt er fesselnd und regt den kundigen leser zu eigenen erwägungen an.

Was den übersetzer betrifft, so wirkt es hochgradig verstimmend, wenn man den abgeschmackten fehler, schwed. urval mit deutsch urwahl zu übersetzen, den ich schon in meiner anzeige des ersten bandes (Aus dem mod. England) zu tadeln hatte (Est. XXIV s. 139 jahrg. 1897/98), nicht nur im zweiten, sondern auch im vorliegenden dritten bande (1899) wiederkehren sieht. Das nenne ich hartnäckig! Und wenn ein deutscher arzt, wie es übersetzer sein soll, Darwin's werk über «natürliche zucht wahl<< nicht kennt, sondern sich einbildet, der grosse forscher habe über >>urwahl<< geschrieben, so ist das ein starkes stück, das gleichzeitig ein bedenkliches licht auf die gymnasiale vorbildung der ärzte wirft. Demgegenüber erscheint es nur als eine kleinigkeit, wenn übersetzer in II, 1 (4), verführt von schwed. valman pl. valmän, behördlich von englischen »wahlmännern statt von englischen >>wählern « redet. Schon mehr erstaunlich ist es, dass er auf s. 191 uns Eton und Harrow als » elementarschulen « vorführt, verbunden mit vollpensionaten, wo der einzelne schüler 3000 mark zu unterhalten kostet (übersetzer hat nicht gewusst, dass elementarskola der schwedische ausdruck für deutsch »gymnasium «<, >höhere lehranstalt<< ist). Zu dem englischen hat übersetzer nur sehr entfernte beziehungen, sonst würde er nicht "university extension centrum (sic!)" als englischen ausdruck citieren und nicht das bekannte "slum" mit »schlamm« übersetzen oder "magistrate" durch > magistratsperson<< wiedergeben. Ebensowenig würde. er das schwedische wort "snobberi" für englisch halten, es gelegentlich in der form "snobbery" vorführend, während er deutsch ein ganz unerhörtes >>snobberei (vgl. »börsenjobberei«, was aber auf ein sehr korrektes jobber zurückgeht, während eine englische form snobber etwas ungeheuerliches wäre) bildet u. a. m. Der deutsche ausdruck steht nicht selten unter dem einfluss des schwedischen textes.

Gleichwohl häufen sich diese ärgerlichen mängel der übersetzung nicht in dem grade, dass einem dadurch die lektüre des wertvollen buches verleidet würde.

Rendsburg (Holstein), Juli 1900. H. Klinghardt.

CHRESTOMATHIEN UND LESEBÜCHER.

F. W. Gesenius, A Book of English Poetry for the Use of Schools. Containing one hundred and two poems with explanatory notes and biographical sketches of the authors. Third edition revised by Dr. Fritz Kriete. Halle, Hermann Gesenius. 1900. 142 SS. Kl. 8. Preis in leinwand mit tasche für anmerkungen und wörterbuch (61 ss.) M. 2,00.

Gesenius' bekannte englische gedichtsammlung ist in der vorliegenden dritten, von F. Kriete besorgten auflage den neuen bestimmungen gemäss umgearbeitet. Die anmerkungen sind jetzt ebenso wie das neu hinzugekommene, mit vernünftiger aussprachebezeichnung versehene wörterverzeichnis in einem besonderen hefte gegeben. Abweichend von den früheren auflagen sind ferner sowohl die anmerkungen als auch die kurzen nachrichten über das leben der dichter in deutscher sprache abgefasst. Die reihenfolge und die einteilung der gedichte in drei gruppen nach dem grade der schwierigkeit ist dieselbe geblieben. Neu aufgenommen wurden Kingsley's Three Fishers; zu My Heart's in the Highlands, The Last Rose of Summer, Those Evening Bells und God Save the Queen sind in einem anhang die melodien mitgeteilt. Durch diese änderungen und zuthaten wird sich das hübsche büchlein gewiss neue freunde erwerben.

Waitzendorf bei Retz in Nied.-Österreich, August 1900.
E. Nader.

Auswahl englischer gedichte, für den schulgebrauch zusammengestellt von Ernst Gropp und Emil Hausknecht. 7. auf. Leipzig, Renger'sche buchhandlung, Gebhard & Wilisch, 1899, XII und 278 ss. Preis geb. M. 2,00.

Das buch will stoff zur poetischen lektüre für die klassen tertia bis prima geben. Die gedichte, die chronologisch geordnet sind, im ganzen 140, bieten zunächst das, was man etwa als den eisernen stoff bezeichnen kann, der sich mehr oder minder überall wiederfindet der lehrer wird sich nur darüber freuen, wenn er keinen seiner alten bekannten vermisst. Es ist aber ausserdem anzuerkennen, dass besonders die dichter des neunzehnten jahrhunderts berücksichtigt worden sind. Auch die amerikanischen dichter sind in 29 nummern vertreten, und selbst australische

dichter haben mit vier charakteristischen dichtungen aufnahme gefunden. Wenn sich für eine ausgedehntere dichterlektüre zeit findet, ist die sammlung wohl zu empfehlen, und dass das thatsächlich der fall ist, dürfte der umstand, das schon eine 7. aufl. notwendig geworden ist, hinreichend beweisen. Es ist zu den gedichten auch ein ausführlicher Kommentar in zwei teilen, geb. M. 3,20, erschienen, der dem lehrer wohl das bieten wird, was er zur allseitigen gründlichen erklärung der gedichte in der schule braucht.

Eisenach, Juli 1899.

C. Th. Lion.

E. E. Speight, The Temple Reader. A Reading Book in Literature for School and Home. New edition, revised, enlarged, and illustrated. London, Horace Marshall and Son, 1899. 272 ss. Preis 1 sh. 6 d.

E. E. Speight, The New English Poetry Book. A Selection from English Poems and Ballads: Spenser to Swinburne. With a glossary. London, Horace Marshall and Son, 1900. 147 ss. Preis 1 sh. 6 d.

>> Stimmen der völker in prosa und in liedern könnte man das erste der beiden bücher nennen, die einen recht freundlichen eindruck machen. Es ist ein in England vielgebrauchtes unterrichtsmittel und enthält eine sammlung von poetischen und prosaischen bruchstücken der berühmtesten schriftsteller aller zeiten und vieler völker. Neben abschnitten aus den Sprüchen Salomo's, dem Prediger, dem propheten Micha, den briefen des apostels Paulus und einigen andern biblischen schriften bietet das buch bruchstücke aus Homer, Herodot, Plato, Xenophon, Livius, Plinius dem Jüngeren, Dante, Froissart, Montaigne, Cervantes, Shakespeare, Milton, Swift, Tennyson, John Ruskin u. a. Auffallend ist, dass Deutschland nur durch Goethe und den württembergischen theologen und philosophen Albert Schwegler vertreten ist, und zwar wird von ersterem nur ein kurzes urteil über Laurence Sterne, von letzterem eine äusserung über Xenophon geboten. Die übersetzungen sind alle in tadellosem Englisch gegeben. Man sucht jedoch vergebens nach dem princip, welches den verf. bei der anordnung geleitet hat. Da steht z. b. neben der darstellung des kampfes des Geatenkönigs Beowulf mit dem see

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