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der schottische diphthong hinter dem englischen mindestens um eine stufe zurück war; die gewöhnliche englische aussprache dürfte um 1600 etwa (Ei) gewesen sein.

Es kommen aber sogar noch vereinzelte fälle in schottischen und nordenglischen dialekten vor, die gar keine diphthongierung, sondern erhaltung des 7-lautes aufweisen. Ich will die wörter auf nd, ld (z. b. bind, blind, find, chiel = child) nicht besonders urgieren, weil man ja hier zur not annehmen kann, dass die gemeinenglische vokaldehnung nicht durchgeführt oder frühzeitig rückverkürzung eingetreten ist. Aber davon abgesehen, finde ich z. b. für einen schottischen dialekt (Mid North Lowland) die aussprache von write notiert als: vréit, vrit, und writing wiedergegeben als vreetin (Ellis OEEP V 782, 826). Die Yorkshire-aussprache von kiteae. cyta wird als kiit angegeben (a. a. o. p. 825); die wörter mice, lice werden in einem teil von Yorkshire (Danby, Cleveland) als liis, miis gesprochen (a. a. o. p. 528, 825). Ebenso entspricht schott. to keek dem me. mndd. kīken, holl. kijken u. s. w. Ganz gewöhnlich ist die erhaltung des 7 in schottischen wörtern romanischen ursprungs (Ellis V 720).

Der erste, von Luick getadelte satz entspricht also genau den vorliegenden thatsachen.

Mein zweiter, von Luick ebenfalls bemängelter satz lautete: >>Auch aus dem östlichen mittelland können die diphthonge nicht stammen, da im nördlichen Lincolnshire monophthongische formen bei ū die herrschenden sind, bei wenigstens neben diphthongischen noch vorkommen (Ellis V 314).< Auch in diesem satz, den Luick in bezug auf í für »völlig unhaltbar< erklärt, muss ich jedes wort aufrechterhalten. Monophthongische formen kommen, wie bei Ellis a. a. o. angegeben, nicht nur bei night, alight, sight u. s. w. in dem erwähnten dialekt vor (wörter, in denen allerdings erst sekundär entwickelt ist), sondern auch bei bind, blind, find, to wind1), obwohl hier nach ausweis von Orrm's schreibung, die doch einen mindestens sehr nahestehenden dialekt wiedergiebt, sicher im ME. des östlichen mittellandes 7 vorlag. Luick's bemerkung über diese

1) Es ist bemerkenswert, dass in der noch nördlicheren mundart des südlichen Lancashire (D. 22) in diesen wörtern volle diphthongierung regelmässig eingetreten ist (Ellis V 348), ebenso in Cheshire (V 423).

mundart, 'dass jedes schon mittelenglische zu (áz) geworden ist', erweist sich als unrichtig.

Nun habe ich das nördliche Lincolnshire nicht gerade als 'charakteristischen vertreter des ganzen östlichen mittellandes' hinstellen wollen; aber für die frage nach der eigentlichen heimat eines lautvorganges ist doch jedenfalls die thatsache von bedeutung, dass dieser lautvorgang einen teil des betreffenden dialektgebietes gar nicht oder nur unvollkommen ergriffen hat. Denn wir müssen uns doch lautwandelungen etwa wellenförmig um sich greifend vorstellen und annehmen, dass sie in der nähe des ursprungs am kräftigsten sind.

Übrigens kommen auch in anderen teilen des östlichen mittellandes vereinzelte undiphthongierte formen vor, so für lice, mice die formen (liis), (miïs) in Suffolk (Ellis a. a. o. s. 283, 287), (miis) auch in Norfolk (Ellis s. 267), ferner für dyke die form (düik) in Norfolk (Ellis s. 276), für hive die form (hiiv) in Norfolk (Ellis s. 286), für dive die form (diiv) in Suffolk (Ellis s. 287).

Jedenfalls ist im östlichen mittelland die diphthongierung von è und ủ unvollkommener und unregelmässiger durchgeführt als im westlichen mittelland. Mit noch grösserer bestimmtheit als zuvor muss ich daher behaupten, dass das östliche mittelland als heimat dieser diphthonge nicht in betracht kommen kann.

Ich muss ferner auf das entschiedenste bei meiner aufstellung bleiben, dass im äussersten süden und südwesten ei(oi-) und ou-diphthonge vorherrschen«, ja sogar, dass »einzelne nicht diphthongierte formen vorkommen«, obwohl hier Luick einen dritten irrtum findet. Sämtliche von Luick auf s. 91 aufgezählte diphthongformen zeigen in der that diesen charakter: (i), (зói), (ói), (зou), (дú), (Eu), (éu). Nur muss man den begriff: »ei- (oi-) und ou-diphthonge« nicht so eng fassen, wie Luick es thut. Natürlich habe ich mit ei- und ou-diphthongen nicht nur das gemeint, was paläotypisch als (ei, ou) bezeichnet wird; ich hätte dann der deutlichkeit halber diese bezeichnungen ja in klammern fassen müssen; ich habe, weil ich nicht wusste, ob der druckerei die entsprechenden typen zur verfügung standen, mich mit der allgemeinen charakterisierung begnügt und solche diphthonge gemeint, die als erste komponente einen e- oder o-laut zeigen.

Für mich kam es nur darauf an, festzustellen, dass in keinem dieser dialekte die erste komponente der diphthonge ein reiner a-laut ist. Das kann auch Luick nicht bestreiten. In (202) ist der erste bestandteil der vokal, der in der gewöhnlichen aussprache von first, third vorliegt, also ein e-laut nach gewöhnlicher auffassung. Ebenso rechne ich nach Ellis a. a. o. s. 80 allerdings auch zu den e-lauten, obwohl der laut akustisch dem a sehr nahe kommt. Die formen (Eu), (Fu), (ǝou) sind ou-diphthonge mit unvollkommener lippenrundung; sie setzen meiner ansicht nach durchaus nicht (au) als notwendige vorstufe voraus; ebenso wenig wie (oz), welches ein labialisiertes (er) ist, mit notwendigkeit ein (ai) als durchgangsstufe erfordert. Im Französischen z. b. ist oi aus ei ohne die mittelstufe von ai entwickelt worden, im Deutschen ist eu ohne die mittelstufe von au, aż zu (oż) labialisiert worden. Der übereinstimmende kieferwinkel bei e und erklärt die nahe berührung der vokale, welche durch die ö-laute vermittelt werden kann. Eine entwickelungsreihe e a o, wie Luick sie als notwendig anzunehmen scheint, wäre geradezu ein umweg.

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Allen diesen südenglischen diphthongen mit kleinem kieferwinkel stehen in den westlichen mundarten diphthonge mit grossem kieferwinkel: (az), (au) ganz markant gegenüber. Da die entwicklung der diphthonge im wesentlichen auf der allmählichen erweiterung des kieferwinkels beruht, so zeigen die westlichen mundarten ohne zweifel eine vorgerücktere stufe.

Dass die gewöhnlich als oy bezeichneten 7-diphthonge des südens (i, aoi) nicht auf eine stufe mit (ai) zu setzen sind, oder etwa gar (ai) als durchgangsstufe voraussetzen, geht aus folgender einfachen erwägung hervor. Im süden haben sich, wenigstens in einigen dialekten, alte me. ai-diphthonge (aus ae. æg, eg, fr. ai) als (á) noch erhalten (Ellis p. 43). Die neueren 7-diphthonge werden aber von diesen streng geschieden. Ellis sagt (a. a. o.): I', in contrast to this clear (ai), has (i, aói) or (ai), which strangers hear as (') and write oy. Es ist daher klar, dass die neuen diphthonge nie bis zur stufe der alten oder darüber hinaus sich entwickelt haben können, denn dann wären sie ja mit diesen zusammengefallen.

Noch deutlicher zeigen die bekannten dialektformen von West-Somersetshire die E-stufe in der entwicklung der di

phthonge: Wörter wie blind, five, knife, sight, white, dive erscheinen hier als (bleen), (veev), (neev), (zeet), (wit), (deev). (Ellis V 154.) Die me. ai-diphthonge sind aber auch hier voll erhalten; es ist also nicht möglich, monophthongierung aus ai in den erwähnten wörtern anzunehmen. Endlich kommen in Südwest-Devonshire, Dorsetshire, Somersetshire auch formen mit erhaltenem i vor: (kiinli), (miind), (miis) (Ellis V 165), (shiin), (wiild) V 84, (wiild), (tjüld) V 88.

Die diphthongierung von ist also im süden ungefähr ähnlich unvollkommen entwickelt wie im norden, während u hier allerdings durchweg diphthongiert erscheint.

Dass nun wenigstens die 7-diphthonge nicht aus südlichen mundarten herrühren können, lässt sich noch durch eine andere betrachtung erweisen. Bekanntlich haben sich im süden die alten -laute () noch bis in spätmittelenglische zeit als u (nach französischer weise geschrieben) erhalten. Die gemeinenglische diphthongierung aber hat sie mit den alten 7-lauten zusammenfallen lassen, setzt somit den mittelländischen übergang von in voraus.

Jedenfalls stammen also die neuen 7-diphthonge weder aus dem norden noch aus dem süden, sondern aus dem mittellande. Da nun aber das östliche mittelland aus obenerwähnten gründen ebenfalls ausgeschlossen ist, so bleibt nur das westliche mittelland als heimat übrig. Und hier finden wir auch wirklich vollentwickelte ai-diphthonge, ja sogar noch weiter vorgeschrittene stufen. Da nun die ū-diphthongierung in andern sprachen mit der 7 diphthongierung parallel geht, ist dies auch für das Englische mit einiger wahrscheinlichkeit anzunehmen. Der norden und osten ist für diese ebenfalls als heimat ausgeschlossen, der süden könnte allenfalls als ursprungsort für au-diphthonge in betracht kommen. Aber auch hier weisen die westmittelländischen mundarten weiterentwickelte diphthongformen auf.

Die ganz analogen verhältnisse in den deutschen mundarten nötigen förmlich zu dem wahrscheinlichkeitsschlusse, dass, ebenso wie österreichisch-bayrisches gebiet im Deutschen, westmittelländisches gebiet in England der herd dieser lautentwicklung gewesen ist.

Ich habe mich aber mit diesem wahrscheinlichkeitsbeweis nicht begnügt, sondern auf grammatikerzeugnisse und reim

belege hingewiesen, welche meine theorie nahezu zur gewissheit erheben. Auf diese letzteren beweise ist Luick gar nicht oder fast gar nicht eingegangen, weil er meine oben genau begründete darstellung des dialektischen thatbestandes für irr tümlich hielt. Er hält mir nur vor, dass eines der von mir zu belegen herangezogenen mittelenglischen denkmäler (S. Editha) ungenau reimt, was ich selbst schon bemerkt hatte. Gewiss; aber es dürfte schwer, ja unmöglich sein, englische dialektdichtungen aus jener zeit zu finden, die ganz genau reimen. Der von Luick in ausgiebigem masse zur stütze seiner theorie verwendete Cursor Mundi hat ja auch mannigfache ungenaue reime. Es liegt in der natur der sache, dass weniger genau reimende dichter uns im allgemeinen über die natur der laute mehr aufschluss geben als genau reimende, da die letzteren selbstreime bevorzugen, aus denen sich nichts schliessen lässt. Die meisten der von mir angezogenen belege sind übrigens dichtungen entnommen, die ziemlich oder sehr genau reimen: dem Ipomedon A und den Towneley Plays.

Ich hatte gegenüber der herrschenden ansicht, dass in wörtern wie plough etc. im Mittelenglischen langes u gesprochen worden sei, die frage aufgeworfen: 'Warum sollte gerade in diesen fällen, entgegen der allgemeinen mittelenglischen tendenz zur bewahrung der diphthonge, monophthongierung eingetreten sein? Luick glaubt diese frage mit der antwort abfertigen zu können: >weil nach ausweis der neuenglischen lautung der vokal von plough u. dgl. einmal mit me. ū zusammengefallen sein muss, und zwar nach ausweis der grammatiker des 16. jahrhunderts schon in mittelenglischer zeit.<< Diese antwort ist zunächst keine eigentliche antwort auf meine frage; denn ich hatte nach dem grund der annahme der monophthongierung gefragt, nicht nach einem grund für die an nahme des monophthongs. Aber die antwort giebt auch gar keinen entscheidenden grund für das letztere. Gewiss, irgendwann in spätmittelenglischer zeit muss dieser neuentstandene diphthong ou einmal mit me. ū zusammengefallen sein. Die frage ist nur, ob damals me. ū noch rein monophthongisch war. Es ist doch nicht nur meine ansicht, sondern auch die mancher anderen forscher (z. b. Kluge, Grdr. d. g. phil. I 10322), ja, auch die ansicht Luick's, dass die diphthongierung schon um 1400 oder bald nachher begonnen hat.

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