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Als fünfter dichter kommt mit dem vorliegenden bändchen Percy Bysshe Shelley zu worte, kurz hinter Keats, und zwar (neben dem Epipsychidion) mit eben dem werke, das die beiden jungen genies zeitlich und ewiglich verbindet: Adonais. Wir sehen etwas typisches in dem hier zu beobachtenden auftauchen zweier in Deutschland bisher wenig bekannter und noch weniger geschätzter dichter. Die sonne der litterarischen gunst hatte von jenem jugendlichen bardenkleeblatt nur Byron beschienen, und von seinem schatten waren Shelley und Keats verdunkelt worden. Es lässt sich aber nicht verkennen, dass die letzten jahrzehnte für eine rechte wertschätzung jedes einzelnen aufklärend gewirkt haben, und dass auch auf dem kontinent das interesse der wissenschaft und des publikums sich auf kosten des ewigen pilgrims mehr und mehr seinen jüngeren mitbrüdern zuwandte.

Auf wissenschaftlichem gebiet ist es in Deutschland Richard Ackermann gewesen, der das studium Shelley's um bedeutendes förderte. Er war überhaupt der erste, der im gegensatz zu der einseitig ästhetischen betrachtungsweise der englischen kritik die streng philologisch-historische erforschung unsers dichters anbahnte, indem er dessen bedeutendste werke auf ihre quellen und litterarischen beziehungen untersuchte. Ihm verdanken wir auch die vorliegende separatausgabe der beiden hoch gepriesenen dichtungen Shelley's.

Es ist eine bekannte thatsache, dass bei wenigen dichtern des abgelaufenen jahrhunderts die feststellung eines guten textes und die erschöpfende erklärung des ideengehaltes mit so grossen schwierigkeiten zu kämpfen hat als bei Shelley. So glaubten wir z. b. für den Entfesselten Prometheus einen sicheren text endlich festgelegt, und schon drängt sich die notwendigkeit einer neuen ausgabe auf, nachdem prof. Schick vergangenes jahr aus dem Oxforder ms. die allerbedeutungsvollsten textabweichungen konstatiert hat1). War nun die herstellung eines guten textes für unsre vorliegenden dichtungen auch nicht besonders schwierig Ackermann legt die von der Shelleygesellschaft veranstalteten typen genauen neudrucke der originalausgaben zu grunde, so war die andre aufgabe umso schwieriger, den gesamten wissenschaftlichen apparat, der bisher zur erklärung des Adonais und zumal des Epipsychidion von den verschiedensten seiten in bewegung gesetzt wurde, zusammen

1) Im Archiv CII. CIII.

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zufassen und in einer kurzen einleitung übersichtlich vorzuführen. Der herausgeber teilt seinen umfangreichen stoff, zunächst für das E., in folgende kapitel:

1. Entstehungsgeschichte. Hier wird das zum verständnis des gedichtes aus der biographie nötige mitgeteilt und die persönlichkeit der so begeistert besungenen Emilia, sowie die entwicklung des idealen liebesbundes erzählt. Eine briefstelle, p. XI (ammenlied), hätte ich in diesem zusammenhang lieber unterdrückt gesehen: sie ist geeignet, Mary's und insbesondere Emilia's person in den augen eines mit der detailgeschichte nicht vertrauten lesers in falschem licht erscheinen zu lassen, zumal wenn betont wird, dass Emilia diese bittere kritik »wohl verdiente<<.

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Das 2. kapitel: Litterarhistorische stellung bringt zunächst die persönlichen äusserungen des dichters über das E., und dann in objektiver darstellung alle von der kritik bisher gebotenen erklärungen zu diesem gedankendunklen werke. Zum teil hat der herausgeber sich hier - und in noch ausgedehnterem masse für Adonais auf seine eigenen forschungen früherer zeit beziehen müssen, und es ist für den Shelley-philologen interessant zu beobachten, in welchen punkten sein urteil seit einem dezennium wandlungen durchgemacht hat. In gewissen fragen (wie in der erklärung des titelwortes, der allegorie des kometen u. a.) schloss er sich neueren auslegungen an, während er in andern mit recht auf seinem früheren standpunkt beharrte und in noch andern einen mittelweg einzuschlagen suchte. Der berichterstatter hat jüngst in dieser zeitschrift gelegenheit gehabt, seine persönliche stellung zu diesen noch vielfach verworrenen hypothesen ausführlich darzulegen, und gestattet sich hierauf zu verweisen.

Der 3. abschnitt bespricht die bibliographie des E.

Adonais erfährt in drei kapiteln eine ähnliche, von gründlicher sachkenntnis zeugende behandlung. Hier ist indessen darauf hinzuweisen, dass p. XXVII nicht sämtliche äusserungen Shelley's über sein gedicht aufgezählt sind wie man nach A.'s worten meinen könnte sondern nur einige wenige unter vielen charakteristischen und für den forscher hochinteressanten urteilen. Ein angehängter 4. abschnitt giebt einige urteile bedeutender kritiker über die beiden dichtungen.

Auf diese 38 seiten lange einleitung folgen die texte, mit den varianten in fussnoten. Mit besonderem dank ist zu begrüssen, dass die für den litterarhistoriker und biographen höchst wichtigen

entwürfe und gestrichenen stellen als anhang zu jedem einzelwerk mit abgedruckt sind. Den schluss des bändchens bildet eine reihe von anmerkungen, die meist sachliche erklärungen und litterarische belegstellen bieten.

An leichteren versehen habe ich bemerkt: p. XIX, z. 3 steht ungenau Marlowe für Marlow und dies fälschlich für Bracknell, ib. z. 13 dürfte die behauptung, dass Todhunter in der fraglichen stelle »nur eine allegorie für 'Content' finde«, ein wenig gewagt erscheinen, wenn man Todh. p. 248 vergleicht, wo er ausdrücklich Mary zu der stelle in beziehung setzt; p. XXVIII anm. fehlt die angabe des bandes von Forman's ausgabe. Ein satz von zweifelhafter stilistischer qualität läuft p. VII unter, wo zu lesen ist: >Emilia, die seit zwei jahren im kloster. . weilte, weil ihr vater seinen kindern eine jugendliche stiefmutter gegeben hatte und dieselbe bald zu heiraten wünschte.« Wer ist dieselbe? und ist es subjekt oder objekt? Es wird übrigens berichtet, dass graf Viviani seine ältere tochter möglichst bald und ohne mitgift zu verheiraten wünschte. Sollte unser satz vielleicht etwas derartiges ausdrücken?

An druckfehlern ist uns aufgefallen: p. XV, z. 1; p. XXII Z. 12 (conekturen); p. XXVI, z. 3; p. XXVII, z. 11 v. u. (14. statt 11. Nov.); p. 68, z. 3 v. u.; p. 71, z. 10. Im übrigen ist der druck sehr sauber, gross und leserlich und die ganze ausstattung einfach und gut.

Ansbach, Juli 1900.

Armin Kroder.

Robert Louis Stevenson. By Margaret Moyes Black. (Famous
Scots Series.) Oliphant Anderson & Ferrier, Edinburgh and
London. [1898.] 159 ss. Preis geb. I s. 6 d.
Robert Louis Stevenson. By L. Cope Cornford.
English Writers.) William Blackwood & Sons, Edinburgh and
London, 1899. 200 SS. Preis geb. 2 s. 6 d.

(Modern

The Stevenson Reader. Selected Passages from the Works of Robert Louis Stevenson. Edited by Lloyd Osbourne. Illustrated. London, Chatto & Windus, 1898. 261 ss. Preis geb. 2 s. 6 d.

Das an erster stelle genannte werk ist ein liebenswürdiges, anspruchsloses büchlein aus der feder einer landsmännin des grossen Edinburghers (1850-1894), die mehr schätzung und ver

ständnis für Stevenson den menschen als für Stevenson den schriftsteller zu haben scheint. In der familie eines oheims ihres helden aufgewachsen, stand ihr ein reicher schatz mündlicher und schriftlicher erinnerungen zur verfügung, von dem sie vielleicht etwas zu verschwenderisch gebrauch gemacht hat. So erklärt sich die fülle von anekdoten, die uns zwar das grosse, weiche kinderherz des dichters des kinderlebens und freundes der Samoaner näher bringen, sonst aber wenig neues lehren; so auch die bevorzugung der lehrjahre), für die der verfasserin ein lebendig und warm gezeichnetes bild gelungen ist, gegen welches die späteren merklich abfallen. Das eigentlich litterarische kommt dabei entschieden zu kurz, wenn es auch nicht an willkommenen hinweisen fehlt, in welcher weise die reichen eindrücke der lehr- und wanderjahre dichterisch verwendet worden sind, was übrigens bei einem so autobiographischen schriftsteller wie Stevenson kaum zu umgehen war. Dass bei den detailangaben mannigfache irrtümer mit untergelaufen sind, hat schon der rezensent in der Literature (Oct. 8, 1898) hervorgehoben. Man wird in dieser beziehung den trefflichen artikel im Dictionary of National Biography (bd. LIV, s. 244-254) von der meisterhand Sidney Colvin's, des langjährigen, intimen freundes, zur korrektur heranziehen müssen. Den menschen und den künstler wird man besser aus den werken selbst und vor allem aus dem reichen briefwechsel kennen lernen, von dem uns Sidney Colvin eine auswahl in zwei sammlungen (The Vailima Letters 1895 und The letters of R. L. Stevenson to his Family and Friends, 2 vols., 1899) zugänglich gemacht hat. Derselbe gelehrte hatte ursprünglich auch die veröffentlichung einer grossen, von der familie geplanten biographie übernommen, ist jedoch leider wegen zeitmangels zurückgetreten, um einem mitgliede der familie, Mr. Graham Balfour, platz zu machen.

Der litterarische standpunkt kommt besser zur geltung in Cornford's skizze, welche freilich für mein gefühl leider durch eine gesucht geistreiche, schönrednerische schreibweise, die allzu oft zur leeren phrase herabsinkt, entstellt wird. Dies macht sich schon in den einleitenden abschnitten über des dichters schottische heimat und seine familie fühlbar, mehr aber noch in den sechs kapiteln, die Stevenson als moralisten ( echt englisch natürlich

1) Darüber ein eigenes, viel angefochten es werk von Miss E. Blantyre Simpson, R. L. Stevenson's Edinburgh Days, London 1898. 5 s.

zuerst), künstler, romantiker«, erzähler, landschaftler und stilisten zu behandeln vorgeben, wo es dem verf. stellenweise mehr um schöne worte als um gedanken zu thun gewesen scheint. Anerkannt muss aber werden, dass der verf. bei aller sympathie für seinen helden nie die augen für seine schwächen und die grenzen seines talentes verschliesst. Auch fehlt es nicht an treffenden beobachtungen, wie die über den einfluss Lawrence Sterne's auf Stevenson's erstlings-reiseskizzen.

Ein zeichen der wertschätzung, die Stevenson bei den Engländern geniesst, ist die prächtige Edinburgh Edition', die von Sidney Colvin in 28 bänden 1894-98 herausgegeben ist. Eine kleine auswahl aus seinen prosaischen und poetischen schriften hat des dichters stiefsohn und mitarbeiter Lloyd Osbourne unter dem titel The Stevenson Reader zusammengestellt. Die treffliche stoffwahl, sowie die schöne ausstattung mit grossem, scharfem druck (Corpus) und 10 anregenden illustrationen bei niedrigem preise dürften den versuch, auch bei uns dies werk jüngeren schülern als lesebuch in die hand zu geben, wohl reichlich lohnen.

Wie man auch über Stevenson's dichterische fähigkeit urteilen mag, der neuphilologische lehrer hat allen grund, an Stevenson dem essayisten und erzähler nicht vorüberzugehen, in dem England wohl mit recht einen seiner grössten stilisten verehrt.

Würzburg, April 1900.

Max Förster.

NEUE ROMANE.

Mrs. Alexander, Through Fire to Fortune. Tauchnitz Edition, vol. 3414. Leipzig 1900. Preis M. 1,60.

Frances Mary Peard, Donna Teresa. Desgl. vol. 3418. Preis M. 1,60.

Robert Hichens, The Slave. Desgl. vols. 3419/20. Pr. M. 3,20. Percy White, Mr. Bailey-Martin. Desgl. vol. 3421. Pr. M. 1,60.. H. G. Wells, The Plattner Story and others. Desgl. vol. 3436. Preis M. 1,60.

In einer spitzigen notiz zu Shakespeare's sonetten schlägt Franz Grillparzer (Werke XVI 158) vor, »man sollte überhaupt diese sonette auf sich beruhen lassen. Man überlasse sie den litteratoren, deren straussenmagen alles verdaut. « Die litteratoren werden es sich gerne gefallen lassen, dass ihnen ein dichter solche

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