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setzungen darf man dieselben wohl als Reste uralter Zeit betrachten. Indessen fällt es auf und muß wohl beachtet werden, daß keine einzige dieser Vorstellungen übereinstimmend an vielen Punkten des arischen Völkergebietes auftritt, daß sich vielmehr im allgemeinen recht viel Schwanken und Verschiedenheit der Gestaltungen geltend macht.

Von der Vorstellung der Sonne als Roß haben wir schon gesprochen. Mit einiger Sicherheit läßt sie sich eigentlich nur in Indien nachweisen, sie mag aber vielleicht im Hintergrunde der Vorstellung vom reitenden Uhsing (resp. auch Helios, Eos), sowie der weitverbreiteten Vorstellung vom Wagenfahren der Sonne mit Recht gesucht werden.

Es fragt sich nun, ob wir noch andere spezielle Tiergestalten der Sonne für urarisch ansprechen dürfen. So z. B. die Vorstellung der Sonne als einer Kuh oder eines Stieres, als Widder, als Eber, als Vogel u. dgl. m.

Die Sonne als Kuh, resp. als Stier oder Ochse, ist hier und da, doch nicht sehr reichlich bezeugt. Im Veda erscheinen zwar die Sonnenstrahlen als Kühe oder Rinder der Ushas, diese Göttin fährt auch mit einem Gespann lichter oder rötlicher Rinder, auch wird von den Morgenröten als Kühen oder rötlichen Kühen gesprochen (z. B. RV 1, 92, 1; 4, 51, 8), in der Einzahl aber erscheint Ushas selten als Kuh bezeichnet oder mit einer solchen verglichen (z. B. RV 5, 1, 1). Die Sonne scheint einmal als Stier gefaßt, der die Morgenröten vor sich her treibt (RV 3, 61, 7), doch ist das Bild kein geläufiges. Es fallen einem dabei die heiligen Rinderherden (resp. auch Lämmerherden) des Helios ein, von denen schon Homer zu erzählen weiß. Übrigens hat Hillebrandt wohl recht, wenn er sagt, daß die Rinder, wie auch die Rosse, der Morgenröte nur ein mythologisches Synonymum für die Morgenröte selber sind (vgl. Ved. Myth. II, S. 37). In russischen Rätseln scheint der Tag oder die Sonne als weißer oder grauer Ochse, resp. als weiße Kuh aufzutreten und Mannhardt sucht vielleicht mit Recht die Sonne in der „,bunten Kuh" der west

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1 Vgl. Mannhardt, Lett. Sonnenmythen S. 308.

preußischen Redensart:,,Weiß Gott und die bunte Kuh", d. h. ,,weiß Gott und die allsehende Sonne, der allsehende Tag" 1. Es ist auch ganz gut möglich, daß diese und ähnliche Bilder uralt arisch sind, doch erscheint vorderhand das Material noch als recht mager.

Die Sonne als Widder, resp. goldener Widder gefaßt begegnet uns bei den Griechen und Slaven, als goldborstiger Eber tritt sie uns bei den Germanen entgegen. Das Verbreitungsgebiet dieser beiden Bilder ist also kein großes. Etwas weiter reicht vielleicht die Vorstellung von der Sonne als einem Vogel. Sie liegt im Veda unzweifelhaft sicher vor, Isie ist wohl auch in dem Wundervogel Garuda zu suchen, den Gott Vishnu reitet. Im Veda wird die Sonne wiederholt der himmlische oder der rötliche Adler genannt, oder auch einfach der Vogel, der Eigeborene. Dazu stimmt nun der deutsche Sonnenvogel oder Sonnenschwan*, und vielleicht darf man auch an die äschyleische Bezeichnung des Helios als Vogel des Zeus erinnern, wenn dieselbe auch, wie Roscher (a. a. O., S. 1998) meint, nur als ein kühnes Bild des Dichters zu fassen sein mag. Sie zeigt doch, daß ein solches Bild dem griechischen Geiste nicht zu fern lag. Vielleicht auch dürfen wir in der Lerche eines merkwürdigen lettischen Liedes die Sonne erkennen, da die Lerche darin als Variante für den Sonnengott Uhsing auftritt, resp. umgekehrt. Möglicherweise ist also wirklich die Vorstellung der Sonne als eines himmlischen Vogels uralt arisch.

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Im allgemeinen werden wir sagen müssen, daß eine tiergestaltige Vorstellung der Sonne bei den Ariern vielfach angetroffen wird, daß wir aber keine bestimmte Tiergestalt in dieser Ver

1 Mannhardt, Antike Wald- und Feldkulte S. 203 Anm.

2 suparṇá, mit den Epithetis divyá, ásura, aruṇá, arushá.

3 mârtâṇḍá; auch mṛigás túvishmân RV 7, 87, 6 ist wohl mit Recht als ,,der große Vogel" übersetzt und auf die Sonne gedeutet worden.

Vgl. Roscher, Lexikon S. 1997; Mannhardt, Antike Wald- und Feldkulte S. 203; Germ. Mythen 39. 375 ff.

5 Znvòs ŏovis Suppl. 212.

,,Die Lerche braut Bier in der Fußspur des Rößleins“, Uhsing bereitet Bier in der Fußspur des Rößleins."

oder,,Der

wendung sehr weithin und sicher bei ihnen bezeugt finden. Der Urzeit war wohl vermutlich eine mannigfaltige, wechselnde theriomorphische Vorstellung eigen, von der sich nur Trümmer und Reste bei den einzelnen arischen Völkern erhalten haben. Die Vorstellung des Vogels ist wohl am besten bezeugt. Aber auch die des Rosses, der Kuh und des Widders sind vielleicht uralt, wir können das nur nicht bestimmt behaupten.

SONNENLICHT ALS GOLDENES VLIES, ALS LICHTES

FELL, ALS ROTER ROCK ODER DECKE.

Die Argonautensage lehrte uns die Vorstellung vom Sonnenlicht als goldenes Vlies, als Fell eines goldenen Widders kennen. Ihr verwandt ist offenbar die Vorstellung vom roten Rock, Mantel oder Decke der Sonne, die sie beim Untergang oder Aufgang ausbreitet, aufhängt oder dgl. Es handelt sich in all diesen Fällen um das schöne, rote oder goldige Licht der aufgehenden oder untergehenden Sonne, das in ebenso naivem wie poetischem Bilde gefaßt wird. Das Bild des roten Rockes, des Mantels oder der Decke ist am bestimmtesten bei den Letten und Litauern bezeugt, außerdem wohl auch bei Slaven und Germanen. Die Vorstellung ist aber wohl nicht auf die europäischen Arier beschränkt. Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, daß auch die Inder einst dieses Bild besessen haben. Der Grund, den ich zunächst zur Unterstützung dieser Annahme ins Feld führen möchte, wird manchem vielleicht etwas wunderlich erscheinen. Es ist eine merkwürdige Tatsache, daß das Bild vom Fell wie auch vom Kleid, resp. von einem Gewebe im Rigveda sich ebenfalls findet, aber nicht vom Licht der Sonne, sondern gerade vom Dunkel der Nacht gebraucht, z. B. RV 4, 13, 4 heißt es vom Sonnengott Sûrya : Du gehst dahin, das Gewebe, das dunkle Kleid ablegend; des Sûrya Strahlen haben abschüttelnd die Finsternis wie ein Fell in die Wasser getan; RV 7, 63, 1: Aufgeht der herrliche Sûrya, das Auge des Mitra und des Varuna, der Gott, der die Finsternisse wie ein Fell zusammengewickelt hat. Vielleicht lebte das Bild vom Fell, von der Decke oder dem Kleid

ursprünglich in Anwendung auf beide, Sonnenlicht und Dunkel, als lichtes und als dunkles Fell oder Kleid gefaßt. Die Europäer hätten eines, die Inder das andere bewahrt. Mir scheint diese Annahme keineswegs so unwahrscheinlich zu sein. Sie wird weiter noch sehr wesentlich durch ein interessantes rituell gewordenes Spiel beim indischen Sonnwendfest unterstützt. Ein Arier und ein Çûdra kämpfen um ein weißes, rundes Fell, das schließlich der Arier gewinnt. Hier ist längst unzweifelhaft richtig erkannt worden, daß das weiße, runde Fell die Sonne darstellt. Wir werden weiterhin noch ein anderes indisches Sonnwendspiel kennen lernen, bei welchem ebenfalls die Sonne oder das Sonnenlicht durch ein Fell vertreten ist. Danach wird man wohl auch diese Vorstellung als eine altindische anerkennen müssen, und die Vergleichung erweist dieselbe weiter als altarisch.

DIE SONNE ALS GEFÄSS.

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In den lettischen Liedern erscheint die Sonne mehrfach als goldene Kanne, die die Sonnentochter im Meere wäscht oder die Johannchen (der Heilige des Johannisfestes) zerschlägt 2. Die Sonnentochter ertrinkt bei diesem Geschäft, es handelt sich da offenbar um den Untergang der Sonne im Meere. Das Zerschlagen der Kanne, die übrigens von den Gottessöhnen mit silbernen Dauben ausgebessert wird, deutet wohl auf den Niedergang der Sonne von Johannis an. Auch als goldener Becher, mit dem die Gottessöhne spielen, scheint die Sonne in diesen

1 Vgl. das Lied bei Mannhardt Nr. 39:

Schmettere Perkun in den Quell

Bis in den Grund hinein;

Gestern Abend ertrank die Sonnentochter,
Die goldene Kanne waschend.

Dazu vgl. ebenda eine Variante und Nr. 40.

2 Mannhardt Nr. 57:

Johannchen zerschlug die Kanne,

Auf einem Stein sitzend,

Der Gottes Sohn bebänderte sie

Mit silbernen Dauben.

Liedern aufzutreten. Mit der Vorstellung der Sonne als einer Kanne vergleiche man das Folgende: ,,Im tirolischen Losertale sieht man in der heiligen Johannisnacht auf dem Pechhorn eine riesige silberne Kanne, aus der das flüssige Gold hervorquillt, wie Bier aus der schäumenden Kanne. Es ist aber noch kein Sonntagskind gekommen, Kanne und Gold zu gewinnen." (Vgl. Feuilleton im Fremdenblatt, 23. Juni 1904 „Sonnwendzauber", S. 14, gez. M. K.) Die Vorstellung vom Sonnenbecher finden wir auch bei den Griechen, aber in eigentümlicher Weise mit derjenigen vom Sonnenboot vermengt, da Helios in diesem Becher über den Ozean fährt 1. Als Schale erscheint die Sonne in einem deutschen Regenlied und in einem russischen Rätsel 2. Auch den Indern scheint eine ähnliche Vorstellung nicht fremd zu sein. So stellt z. B. beim Pravargyaopfer ein Kessel mit glühend heißer Milch symbolisch die Sonne dar (vgl. Oldenberg, Rel. d. Veda S. 447-451). Ob mit der herrlichen Götterschale oder dem Götterbecher, den der himmlische Künstler Tvashtar geschaffen, die Sonne oder der Mond gemeint sei, ist schwer zu entscheiden. Gerade der Mond scheint bei den Indern gern als Gefäß gedacht zu sein, voll himmlischen Nektars, den die Götter schlürfen. Ist es leer, so wird es neu gefüllt, Idaher das Abnehmen und Wachsen des Mondes. Es erscheint nicht unmöglich, daß die Vorstellung der Sonne als eines Gefäßes uralt arisch ist, vielleicht aber wurden auch beide, Sonne und Mond, in der Urzeit gelegentlich unter diesem sehr naheliegenden Bilde gedacht, als herrliche himmlische Gefäße geschildert. Spuren ähnlicher Auffassung zeigen sich jedenfalls weithin über das arische Völker

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1 Vgl. Preller, Griech. Mythol. I, S. 355. Die Sonne als déñas bei Stesichorus; auch Peisandros von Kameiros. Vgl. Mannhardt, Sonnenmythen S. 102. 103.

2 Der betreffende deutsche Vers lautet nach Mannhardt a. a. O., S. 101:

Sunn, Sunn, kumm wedder
Met din golden Fedder,

Met dîn golden Schâl,
Beschîn uns alltomâl.

Das russische Rätsel:,,Eine Schale voll Oel ist der ganzen Welt genug".

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