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der mythen selbst ist sich noch schonungsloser vergriffen worden. man meinte die volkssage zu überbieten, und ist immer hinter ihr geblieben; nicht einmal soll da, wo sie lückenhaft vortritt, eine ergänzung vorgenommen werden, die ihr wie alten trümmern neue tünche ansteht, und mit ein paar strichen schon ihren reiz verwischt. Ihre manigfaltigkeit in der einstimmung überrascht, an unerwarteter stelle spriefsen verschönernde nebenzüge, doch nicht auf jedem boden geht sie üppig hervor und erzeigt sich streckenweise mager oder spröde; zumal belebt ist sie da, wo reime und formeln in ihr auftauchen. Ergibigste ausbeute scheinen die samlungen zu gewähren, die mitten in einer sagenreichen landschaft sich erhebend aus ihr nach allen seiten sorgfältig schöpfen, ohne weit die grenze zu überschreiten; so hatten Otmars Harzsagen ein günstiges feld vor sich, das wol in gleich eingehaltner schranke nochmals durchzogen zu werden verdiente. unter den neuerdings bekannt gemachten samlungen nenne ich Börners sagen aus dem Orlagau, die auf fettem sagengrund erwachsen trefliches darreichen, in den zugefügten gesprächen aber die natur der volkssage meist ungenügend erörtern. Bernhard Baaders oberdeutsche sagen gewähren einen reichen schatz, in einfacher angemessener aufzeichnung; sie sind aber in Mones anzeiger so zerstreut und unbequem mitgetheilt, dafs sie in erneutem abdruck handgerecht gemacht werden sollten: an der doppelt nach verschiedner aufnahme erzählten sage von Dold (die stellen habe ich s. 935 angeführt) wird es anschaulich was vorhin unter magerer und üppiger auffassung gemeint war. Bechsteins thüringische volkssagen scheinen mir erst in den beiden letzten bänden ihren rechten standpunkt zu gewinnen und dankenswerthes zu leisten. allen forderungen entsprechen die von Reusch und Kuhn gesammelten samländischen und märkischen sagen, in welchen der reichhaltigste stof herangeschaft und der wahn zu schanden gemacht ist, dafs irgend eine gegend Deutschlands arm sei an volksüberlieferungen, die nur dem entweichen, der es nicht versteht ihnen zu nahen. Vielleicht bald werden uns gleich bedächtig angelegte samlungen aus Holstein, Westfalen, Baiern und Tirol zu statten kommen.

Auch für Dänemark hat Thiele musterhaft gesammelt, dessen neue ausgabe mir eben erst zugeht und noch ungenutzt bleibt. viele der schönsten schwedischen sagen sind an verschiednen orten mitgetheilt, aber eine grössere menge wird unaufgenommen liegen, und Afzelius sagohäfder,

so willkommen sie sind, gehn schon allzusehr darauf aus dem was ihnen gerade vorlag den saft auszupressen. Norwegen mag nicht weniger sagenerfüllt sein als Schweden, es hat auch noch seine volkslieder aufzustellen. Um die belgische volksüberlieferung sind in unsern tagen J. W. Wolf, um die schottische Rob. Chambers eifrig und mit sichtbarem erfolg besorgt.

Von der volkssage werden mit gutem grund die märchen abgesondert, obgleich sie wechselseitig in einander überstreifen. Looser, ungebundner als die sage entbehrt das märchen jenes örtlichen halts, der die sage begrenzt, aber desto vertraulicher macht. das märchen fliegt, die sage geht; das märchen kann frei aus der fülle der poesie schöpfen, die sage hat eine halb historische beglaubigung. wie das märchen zur sage, steht die sage selbst zur geschichte, und, lässt sich hinzufügen, die geschichte zu der wirklichkeit des lebens. im wirklichen dasein sind alle umrisse scharf, hell und sicher, die sich im bild der geschichte stufenweise erweichen und dunkler färben. der alte mythus aber vereinigt gewissermalsen die eigenschaften des märchens und der sage, ungehemmt im fluge vermag er zugleich örtlich sich niederzulassen.

Man hat sonst geglaubt, nach den italienischen und französischen märchensamlungen sei es in Deutschland zu spät geworden sie zu veranstalten, das ist durch die that widerlegt, und Molbechs samlung, manches was Afzelius seinem buche einschaltet, bezeugen wie reich auch Danmark und Schweden an unvertilgten märchen sind. alle samlungen hat aber neulich die noch unvollendete norwegische von Moe und Asbiörnsen mit ihrem frischen, vollen vorrath fast überboten, und nicht geringe schätze müssen England, Schottland, Niederland bergen, aus welchen allen der mythologie vielseitiger gewinn bevorsteht.

Soll ich in der kürze den ihr jetzt schon aus der volkssage hervorgegangnen bezeichnen, so leuchtet ein, dafs nur dieser wir auskunft über die göttinnen Holda, Berhta und Fricka, so wie über den unmittelbar auf Wuotan leitenden mythus von der wilden jagd verdanken. der weissen frauen, schwanfrauen und bergentrückten könige würden wir aus den geschriebnen denkmälern wenig habhaft geworden sein, verbreitete nicht die volkssage ihr licht darüber. selbst die mythen von sinflut und weltuntergang lässt sie noch nicht aufser acht. was in ihr aber vorzugsweise gehegt und mit dem buntesten gewirk gewoben wird, das sind die traulichen erzählungen von riesen, zwergen, elben, wichteln,

nixen, schraten und hausgeistern, welche letztere zu den übrigen, wie die zahmen thiere der fabel zu den wilden und ungebändigten sich verhalten: dem gezähmten ist in der poesie das wilde stets überlegen. die sage von den sonneblinden zwergen (s. 435. 1195) und dem blutfals (s. 436. 855) gemahnen an die edda.

Auch in den märchen treiben zwerge und riesen ihr wesen, Swanwitchen und Dornröschen sind schwanfrau und walküre, die drei spinnerinnen sind nornen; der schemelwurf von dem himmlischen sitz herab (s. 125), die gevatterschaft des Todes (s. 813. 1209), der würfel des spielers reichen in das heidenthum. märchen, nicht volkssagen, ist eine fülle von verwandlungen mit den göttermythen gemein, so wie auch jene oft thiere auftreten lassen und in das alte thierepos überschreiten.

Aufser den märchen und sagen, die der jugend und dem volk bis auf heute gesunde nahrung geben, von welcher es nicht ablassen wird, wie viel andere speise man ihm vorschiebe, kommen sitten und gebräuche in betracht, die aus dem alterthum hervorgegangen und fortgeführt unabsehliche aufschlüsse darüber ertheilen können. Es ist zu zeigen versucht worden, wie das feuerreiben, die osterfeuer, heilbrunnen, regenwasserumgänge, heiliggehaltnen thiere, der kampf zwischen sommer und winter, das todaustragen und die fülle des aberglaubens, zumal bei dem angang und der heilung der krankheiten fest mit heidnischen anlässen zusammen hänge. Manches auseinander zu setzen wird aber erst einer umständlichen untersuchung, die sich dem gesamten volksleben nach verschiedenheit der jahrszeiten und lebensalter widmet, vorbehalten bleiben, wie nicht weniger die ganze ausdehnung unsrer rechtsalterthümer vielstrahlendes licht auf glauben und sitte fallen läfst. Aus den festen und spielen geht die frohe, heitere seite der vorzeit hervor; es war mir angelegen, auf die manigfalten, aber unentwickelt gebliebnen keime dramatischer darstellungen hinzuweisen, die den ersten anlagen griechischer oder römischer kunst verglichen werden dürfen. im Norden ist das julspiel hin und wieder noch geübt, seine gothländische weise (s. 1200) nimmt bezug auf Freyr. des wichtelspiels wurde s. 410. 1216 gedacht, über das bärenspiel (s. 745) werde ich mich anderwärts ausführlicher verbreiten. Schwerttanz und riesentanz (s. 281), Berchtenlauf (s. 256), pfingstspiel (s. 746), osterspiel (s. 740), die einführung des sommers oder mais, das veilchensuchen und der schwalbenempfang sind in lauter heidnischen anschau

ungen begründet und auch der brauch des kiltgangs wie der wächterlieder (s. 711) führt sich auf uralte festlichkeiten zurück.

Dies sind unsere quellen und so weit reichen sie noch; wir wollen nachsehn was die bisherige forschung daraus entnommen hat.

Den kern aller mythologie bilden die gottheiten: sie waren uns fast verschüttet und musten aus der erde hervorgegraben werden. ihre spur liefs sich theils in haftenden, unausgerotteten namen, die beinahe nur den leeren klang darbieten, theils bei verwandelter gestalt in der flüssigen, aber volleren volkssage erkennen. dies findet mehr auf göttinnen, jenes auf götter anwendung. götter und helden stecken sogar in runennamen (Thor, Zio, Eor, Asc, Man), niemals göttinnen.

Unter den göttern zeigen den stärksten haft drei in den wochentagen als Mercur, Jupiter und Mars bezeichnete; von allen tritt als der deutlichste Wuotan vor. Jonas, Fredegar, Paulus Diaconus, die abrenuntiatio nennen ihn, er ragt an der spitze alter königsreihen, vielen örtern ist sein name unauslöschlich eingeprägt. die Woedenspanne bezeichnete in der sprache ein glied der hand, wie dem Norden ulflidr, das wolfglied, auf Tŷr zielt. unerwartet überliefert uns das dreizehnte jh. einen seiner namen, der sogar in der nordischen lehre beiseits liegt, und doch gerade mit den frauen, die des gottes geheifs ausrichten, mit der rute, die seinen hort öfnet, mit dem mantel, der ihn durch die luft trägt, sich aufs engste berührt, ja diese alle erst recht ins licht setzt. Weniger wird Omi durch Vôma erläutert, obgleich das wort den rauschenden gott nicht verkennen lässt, dessen wir durch die sage vom wütenden heer gewisser sind: der breite mantel, tiefe hut klebt im namen Hackelbernd, den ich bis in ein goth. Hakulabaírands (s. 1205) zurückzuschieben wage. Als Langbart ist der gott in bergschlummer versunken noch auf die heldenkönige Carl und Friedrich übertragen; wer eher als Wuotan, dem sie auf der achsel sitzen, gedanken und geschichte zutragen, darf nach den fliegenden raben fragen? sein siegesnahen witterten raben und wölfe, die vor allen andern thieren in die mannsnamen des volks aufgenommen wurden. Siegesvater ist er auch gott des heils und der wonne, d. h. wiederum Wunsch, an dessen stelle nachmals Sâlida eintrat. Weil er zugleich als gott des dichtens, des masses, der spanne, der grenze, des würfels erscheint, so dürfen

alle gaben, schätze, künste als von ihm ausgegangen betrachtet werden.

Obschon Wuotans sohn und ihm an macht oder einfluss weichend erscheint Donar wieder mit ihm zusammenfallend, gewissermassen als ein älterer vor Wuotan verehrter gott. denn gleich Jupiter ist er ein vater, er ist vieler völker grofsvater, und als grofsvater berggott, felsengott, ein hammer, in wäldern, auf berggipfeln thronend, die alte steinwaffe und den keil des blitzes schleudernd. ihm war

die eiche heilig und sein hammerwurf mass das land, wie hernach Wuotans rute. er schlägt mehr auf die riesen los, als dafs er schlachten an der helden spitze kämpfte und auf kriegskunst sänne. den zug halte ich nicht für bedeutungslos, dafs er fährt oder geht, statt wie Wuotan zu reiten; niemals wird er im wilden heer, noch in frauengesellschaft dargestellt. aber in den volksflüchen haftet sein name, Wuotans nur in betheuerungen (s. 1205), als Rothbart könnte auch Donar im berg sitzen. alle helden gehn in Wuotans himmel, das volk kehrt zu Donar ein: dem edlen, feinen Wuotan gegenüber gibt Donar etwas volksmäfsiges, bäurisches, ungeschlachtes kund. er scheint die uralte, im verlauf der zeit von einer andern, nahverwandten aber umfassenderen, doch nicht überall zurückgedrängte gottheit.

Lassen sich Wuotan und Donar als erhabene götter des himmels ansehn, wird Zio, Tius noch viel mehr so aufgefafst werden mögen, dessen name unmittelbar den begrif des himmels ausdrückt, während Wuotan die luft, Donar das gewitter bezeichnen. Und wie Wuotan siege lenkt, stellt sich Zio als eigentlichen kriegsgott, wie von Donar der hammer, von Wuotan das speer geworfen wird, als einen schwertgott dar, welcher in den namen Sahsnôt und Heru aufgewiesen wurde. Es bleibt aber hier noch manches dunkel, weil ihn die volkssage ganz aufser acht gelassen hat. gleich Wuotan scheint auch Zio als sturm vom himmel nieder zu brausen.

Zwei andere, gar nicht in der woche auftretende götter müssen dennoch unter die grofsen gerechnet werden. Froho, ein gott der jagd, der zeugung, fruchtbarkeit, des sommers hatte seinen namen lange dem innersten unsrer sprache eingepflanzt, in den abgeleiteten wörtern fron und frönen hält er noch heute stich; sein heiliger goldborstiger eber dauerte im helmzeichen, im gebäck und beim feierlichen gastmal. alljährlich in königs weise zog Froho durch die länder (s. 193. 194. 720). er ist eine freundliche, lieb

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