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ganz stufenweise und langsam vom vierten bis zum eilften jh. dem glauben ihrer vorfahren abtrünnig geworden. ihre sprachdenkmäler haben sich reichlicher und aus den verschiedenen zeiten erhalten. aufserdem besitzen wir in den werken römischer schriftsteller, zumal des Tacitus, zwar beschränkte und ausländische, immer aber sehr bedeutende, ja unschätzbare nachrichten über die ältere, ungestörte zeit des deutschen heidenthums.

Die religion der zuerst bekehrten ost und süddeutschen stämme ist uns dunkler als die der Sachsen; wiederum wissen wir von den Sachsen ungleich weniger als von den Scandinaven. Welche ganz andere einsicht in den gehalt und in das material der unterdrückten lehre besäfsen wir, wie sehr wachsen würde die deutlichkeit der vorstellung, die wir uns davon zu bilden vermögen, wenn ein geistlicher zu Fulda, Regensburg, Reichenau, S. Gallen, oder zu Bremen, Corvei und Magdeburg im achten, neunten, zehnten jh. darauf verfallen wäre, die noch vorräthige tradition des volks von dem glauben und aberglauben der vorfahren, in der weise des Saxo grammaticus, zu sammeln und aufzustellen. man sage nicht, damals schon sei nichts mehr zu haben gewesen; einzelne spuren legen dar, dafs solche erinnerungen wirklich noch nicht ausgestorben sein konnten *). Und wer zeigt uns in Schweden, das länger und treuer am heidenthum haftete, eine aufzeichnung, wie sie in Dänemark während dem zwölften jh. wirklich erfolgte? würden ohne das die zweifler nicht sie in Schweden für unmöglich erklären? in der that, Saxos acht erste bücher sind mit das erwünschteste denkmal der nordischen mythologie, nicht allein ihres gehalts wegen, sondern weil sie zeigen, in welches veränderte licht unter den neuen Christen der alte volksglaube gestellt werden muste. hervor hebe ich, dafs Saxo wichtiger götter ganz geschweigt; um so weniger darf aus der nichterwähnung vieler gottheiten in weit dürftigeren schriften des inneren Deutschlands gefolgert werden, dafs sie hier immer fremd gewesen seien.

Aufser diesem Saxo hat sich nun aber die reinere quelle altnordischer religion in dem abgelegensten ende des Nordens, wohin sie, gleichsam zu vollständigerer sicherung, geflüchtet war, auf Island geborgen. Nicht blofs

*) wurde doch im zehnten jh. auch die heldensage von Walther und Hildegund zu S. Gallen lateinisch gedichtet, und ein überrest heidnischer dichtung wahrscheinlich zu Merseburg deutlich niedergeschrieben.

in den beiden edden, auch in einer menge vielgestaltiger sagen, die ohne jene rettende auswanderung wahrscheinlich in Norwegen, Schweden und Dänemark untergegangen. wären.

Die echtheit der nordischen mythologie anfechten wäre eben so viel als die echtheit oder selbständigkeit der nordischen sprache in zweifel ziehen. dafs sie uns in reinerer und getrübter auffassung, in älteren und jüngeren quellen überliefert worden ist, erleichtert eben, sie desto vielseitiger und historischer kennen zu lernen.

Ebensowenig läfst sich gemeinschaft und nahe berührung der nordischen mythologie mit der übrigen deutschen verkennen. ich habe unternommen alles was von dem deutschen heidenthum jetzt noch zu wissen ist, und zwar mit ausschliefsung des vollständigen systems der nordischen mythologie selbst, zu sammeln und darzustellen. Durch diese einschränkung hoffe ich licht und raum zu gewinnen und den blick zu schärfen für die critik des altdeutschen glaubens, insofern er dem nordischen entgegen oder zur seite steht; nur da wird es uns also auf den letzteren ankommen, WO er seinem inhalt oder seiner richtung nach mit dem des inneren Deutschlands zusammentrift.

Alter, ursprünglichkeit und zusammenhang der deutschen und nordischen mythologie beruhen

1. auf der nie verkannten ganz nahen verwandtschaft der sprache beider stämme, so wie der jetzt auch unwiderleglich dargethanen einerleiheit der formen ihrer ältesten poesie. unmöglich können völker, die eine aus gleichem grund und boden entsprossene sprache redeten, deren lieder die eigenthümlichkeit der den nachbarn fremden oder völlig anders gestalteten alliteration an sich trugen, in ihrem götterglauben bedeutend von einander gewichen sein. die alliteration scheint zuerst in Hochdeutschland, dann auch in Sachsen, gerade darum dem christlichen reim zu erliegen, weil sie in heidnischen damals noch nicht verhallten gesängen geherscht hatte. Jener urverwandtschaft unbeschadet, haben sich deutsche und nordische mundart und dichtkunst allerdings in manchem besonders gestaltet und ausgebildet; unglaublich aber schiene, dafs der eine stamm götter, der andere keine gehabt haben sollte, oder dafs die hauptgottheiten beider eigentlich von einander verschieden gewesen wären. Sicher fanden merkbare unterschiede statt, allein nicht anders als in der sprache, und wie der gothischen, angelsächsischen, althochdeutschen mundart

eigenthümliche vorzüge vor der altnordischen zustanden, wird auch an manchen stellen der glaube des innern Deutschlands auf auszeichnung und besonderheit anspruch haben.

2. auf der nachweislichen gemeinschaft vieler ausdrücke des cultus durch alle deutschen sprachen. vermögen wir bei Gothen des vierten jh., Alamannen des achten ein wort in der form und bedeutung aufzuzeigen, die es genau noch in der nordischen quelle des 12 oder 13 jh. behauptet, so wird dadurch die verwandtschaft der deutschen lehre mit der nordischen, und das alter der letzten gerechtfertigt.

3. auf der hin und wieder durchbrechenden identität mythischer begriffe und benennungen: so gewährt die einstimmung des ahd. muspilli, alts. mudspelli mit dem eddischen muspell, des ahd. itis, ags. ides mit dem eddischen dîs, oder des ags. brosinga mene mit dem eddischen brisinga men vollkommen schlagende zeugnisse.

4. auf der ganz ähnlichen weise wie sich hier und dort der mythus an die heldensage zu knüpfen pflegt; weil gothische, fränkische, nordische genealogien in einander greifen, läfst sich auch berührung im hintergrund stehender verhüllter mythen schwerlich ablehnen.

5. auf der eingetretenen mischung des mythischen elements mit namen von pflanzen und gestirnen. das ist eine unvertilgte spur des uralten, innigen bandes zwischen gottesdienst und natur.

6. auf der allmälich erfolgten verwandlung der götter in teufel, der weisen frauen in hexen, des gottesdienstes in abergläubische gebräuche. zuletzt flüchten sich die götternamen in verdunkelte ausrufungen, schwüre, flüche, betheuerungen *). Eine gewisse analogie damit hat die übertragung der heidnischen mythe von göttinnen und göttern auf Maria und heilige, von elben auf engel. Heidnische feste und gebräuche wurden in christliche umgewandelt, für kirchen und gerichtsplätze zuweilen die stätten beibehalten, welche schon das heidenthum geweiht hatte. der catholische volksglaube, zumal in der verehrung der heiligen, hat nicht wenige, oft anmutige und liebliche überreste des heidenthums.

7. auf dem deutlichen niederschlag der göttermythen in

*) vgl. donner! hammer! serb. lele! lado! lat. pol, aedepol! me hercle! me castor! mediusfidius! u. s. w.

einzelne, heut zu tage noch lebendige volkssagen und kindermärchen, spiele, sprüche und redensarten.

8. auf dem unleugbaren ineinandergreifen der alten götterlehre und rechtsverfassung, da sich die letztere auch nach der annahme des neuen glaubens einzelne bräuche und gewohnheiten nicht entreifsen liefs.

Unumgänglich scheint es, bei erörterung dieser manigfalten verhältnisse die mythologie benachbarter völker, vorzüglich der Celten, Slaven, Litthauer und Finnen, wo sie bestätigung und erläuterung gewähren, nicht zu übersehen. dieses weiter gesteckte ziel hat schon seinen grund und vollgültige entschuldigung in der mehrfach einwirkenden berührung der sprachen dieser völkerschaften mit der deutschen, namentlich der celtischen mit der alten fränkischen, der finnischen und litthauischen mit der gothischen, der slavischen mit der hochdeutschen. Dann aber sind göttersage und aberglaube gerade dieser völker besonders geeignet uns über den gang zu verständigen, den das einheimische heidenthum in seinem bestehen und verfall genommen hat.

Vor der verirrung, die so häufig dem studium der nordischen und griechischen mythologie eintrag gethan hat, ich meine die sucht, über halbaufgedeckte historische daten philosophische oder astronomische deutungen zu ergiefsen, schützt mich schon die unvollständigkeit und der lose zusammenhang des rettbaren. ich gehe darauf aus getreu und einfach zu sammeln, was die frühe verwilderung der völker selbst, dann der hohn und die scheu der Christen von dem heidenthum übrig gelassen haben und mitarbeiter zu gewinnen für das langsame herbeischaffen eines festeren vorraths, ohne den keine übersicht des gehalts und werths unserer mythologie zu erlangen sein wird.

CAP. II. GOTT.

In allen deutschen zungen von jeher ist das höchste wesen einstimmig mit dem allgemeinen namen Gott benannt worden. die formen lauten goth. gup, ags. alts. altfries. god, ahd. cot, altn. god, schwed. dän gud, mhd. got, mnd. god, und hierbei ist noch einiges grammatische anzumerken. nemlich obgleich alle dialecte (auch der nordische) diesen ausdruck männlich gebrauchen (weshalb ahd. der acc. sg. cotan; ein mhd. goten kenne ich nicht); so entbehrt der goth. und altn. nom. sg. des kennzeichens und der goth. gen. sg. wird ohne i gebildet gups, worin er mit den genitiven mans, fadrs, brôprs zusammentrift. analog den ahd. genitiven man, fatar, pruodar hätte man den gen. cot zu erwarten, ich bezweifle ihn nicht, ihm aber noch nirgend begegnet, nur dem gewöhnlichen cotes, wie auch mannes und fateres erscheinen. wahrscheinlicher ist, dafs des namens heiligkeit die alte, unangetastete form sicherte, als dafs der häufige gebrauch sie abschlif. ein gleicher grund erhielt selbst die ahd. schreibung cot (gramm. 1, 180) und die mnl. god (1, 486), vielleicht den lat. vocativ deus (1, 1071) *). Auch schla

bin

gen gott und die namen anderer göttlicher wesen allen artikel aus (4, 383. 394. 404. 424. 432), ihre besonderheit steht zu fest, als dafs sie eines solchen hervorhebens bedürfte.

Über die wurzelhafte bedeutung des wortes gott sind wir noch nicht genug aufgeklärt **); dass das adj. gut. goth. gôds, altn. gôdr, ags. gôd, ahd. cuot, mhd. guot abliegt, lehrt die verschiedenheit des vocals, es müste erst eine vermittlung der ablaute gida, gad und gada, gôd dargethan werden, wie sie in einigen andern fällen statt findet, denn freilich heifst gott der gute und gütige ***). Noch weniger berührt sich mit gott der volksname der Gothen, die sich selbst Gutans (ahd. Kuzun, altn. Gotar) nann

Saxo flectiert Thor nicht. Uhland s. 198.

zum slav. bog vergleicht man das sanskr. bhaga felicitas, bhakta devotus und bhadsh colere, auch wol das dunkle bahts im goth. andbahts minister, cultor? vgl. hernach s. 18 die anmerkung über bogat dives. Von ros, deus wird cap. IX noch zu reden sein.

***) ovidris úpadós eì μý rís ò drós Marc. 10, 18. Luc. 18, 19, was goth. ausgedrückt wird: ni hvashun ÞiuÞeigs alja áins guÞ, aber ags. nis nån man gôd buton god âna.

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