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und Stickel, spåter der Staatsrath von Mulzer, Antheil. Für Nassau war Almendingen der einzige Commissarius.

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Unkundige, Verehrer des Code Napoleon meinten, der Code Civil laffe sich ohne Weiteres auf Deutschland über: tragen, und könne neben den bisherigen deutschen, administrativen Einrichtungen und neben der bisherigen Gerichtsver fassung einen bequemen Plaß finden. Diese Ansicht bekämpfte Almendingen. Er wollte nur eine modificirte Aufnahme des Code Napoleon, und nicht dessen isolirte Reception, sondern auch die Einführung seiner organischen Umgebungen, öffentliches Verfahren, Notariat, eine angemessene Ümånderung der Administration, Alles in solcher Art, wie es dem deutschen Charakter und dem jeßigen Bedürfnisse des deutschen Bolkes zusagte. Er wollte ferner die Einführung der französischen Gerichtsverfassung benuben, um für Deutschland durch einen deutschen Caffationshof einen Centralpunkt, den Anfang einer Constitution des rheinischen Bundes, herbeizuführen.spera

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rameGegen die unbedingte Einführung des Code Napoleon äußert er sich aus folgenden Gründen:

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Jede Gesezgebung gehört, als Product des Geistes, den Individuen der Nation und dem Zeitalter an, welchem sie ihr Dasein verdankt. Sie ist aus einer bestimmten Verfassung entstanden; sie seht einen individuell gestatteten Culturzustand vorauss mag sie der Kopf eines Ein: zigen aufgefaßt, mag sie der Zusammentritt Vieler ausgesprochen ha ben, immer ist sie der Refler eines eignen Nationalsinnes, der Dolmet: scher eigner Nationalbedürfnisse. Beide kann die Macht des Genies be herrschen und lenken, aber weder schaffen noch vernichten. Sei daher die Gesezgebung noch so autokratisch, so ist doch ihr Inhalt eben so sehr bedingt und individualisirt durch das Zeitalter und durch den Zustand des Volks, in welchem und für welches sie aufgestellt worden ist, als jener Zustand wieder rückwirkend durch die neue Legislation bedingt und individualifirt wird.

Wenn Moses als Theokrat die gedrückten Hebråer zu einem selbständigen Volk gestaltet, so borgt er von seinen Drückern selbst die Lehren der Weisheit, durch welche er seine Bråder zum Widerstand stählt, und von allen Völkern der Welt trennt. In der mosaischen weht der Geist der ägyptischen Geseggebung. Das unvollkommene Geseg der zwölf Tafeln, entsprechend dem Zustand eines rohen, kriegerischen und ackerbauenden Volks, wurde vergeblich durch eine Volkstradition zum Nachhall solon'scher Weisheit geadelt. Sein Inhalt und das Schweiz gen der griechischen Geschichte läßt sich mit jener beurkundeten Sage in keinen Einklang bringen. Rom sprach in dem Zwölftafelgeses seine eignen Sitten aus. Das Geschäft der Decemvirn war wahrscheinlich weder edler noch unedler als das Geschäft der Männer, welche unter Kart VII. von Frankreich die usages und styles des Königreichs Frankreich, in schriftlichen coutumes abfaßten.

Der theodosianische und justinianeische Goder, die Partidas von Kastilien, das preußische Landrecht sind so wenig als die heiligen Bücher. der Hindus, der Parsen und der Moslems, die Zendavesta und der Ko: ran selbständige Geburten ihrer Urheber. Die göttlichen und menschlichen Gesezgeber, die Schöpfer von Religionen und Constitutionen gehören der Spanne Erde und Zeit an, wo sie geboren und erzogen. wurden. Sollten sie eingreifen in den Zustand des Volks, so mußten sie aus dem Volk hervorgehen. Auf Scandinaviens beeisten Fluren wåre Manko Kapack, unter Peru's heißer Zone wäre Odin, thaten: los vom Schauplah der Weltgeschichte abgetreten. Nur durch den Nationalfinn wirkt man auf den Nationalfinn."

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Scheinbar treten Legislatoren und Theokraten in der Geschichte als Meteore auf. Alles steht indessen an seiner Stelle als bestimmtes Glied in der großen Kette. Nur ein Glied weggerückt, und d das Ganze zerfällt in Chaos und Urnacht, oder gestaltet sich zu einer ganz andern Reihe von Erscheinungen." In der Geschichte der Natur und des Menschen gibt es keine wahre Revolutionen, sondern nur Evolutionen. Der seltenes Sterbliche, beffen Genius, gleich einer regenerirenden Flamme, Zeitalter und Welttheile reinigt und umbildet, ist doch selbst nur Repräsentant des Zeit- und Weltgeistes, der ihn selbst erst mächtig er griffen hat.'

So offenbart sich auch in der Sittengeschichte der Nationen ein unsichtbares Universum in lauter Individualitätén. Nur das Uebersinnliche ist ohne Bedingungen der Zeit und des Raums ewig, universell, objectiv, Für den Menschen als Erscheinung sind Verfassungen und Gefeßgebungen auch Erscheinungen. Ob sie sich gleich im Raum und in der Zeit an einander reihen und aus einander entstehen, so ist doch jede von der andern bestimmt verschieden. Nur die Quelle, aus der sie alle hervorgehn, in welche sie alle zurückströmen, ist im eigentlichen Sinne des Worts eine göttliche Quelle, die in Allen wirkt, und die Keiner fieht.

Die oben bemerkten Conferenzen über die Art der Einführung des Code Napoleon dauerten vom Sept. 1809 bis Anfang April 1810. Es wurde nach vorgängigen Verhandlungen und Discuffionen über allgemeine Ansichten und daraus hervorgehende leitende Principien, alle Theile und einzelne Artikel des Code Napoleon, theils mündlich, theils in schriftlichen Vorträgen zergliedert und angepaßt; die wichtigs ften Bestimmungen des französischen Civilgesetzbuchs mit der bestehenden Verfassung und Gesetzgebung verglichen. Man suchte sich über die Art der Einführung öffentlicher, der französischen Civilgesetzgebung eigenthümlich angehörender Anstalten zu vereinigen. Man suchte derselben bereits vorhandene deutsche Institute zu substituiren; die Doctrin des fran zösischen Rechts, in sofern sie deutschen Sitten und deut schem Nationalfinn zu widersprechen schien, mit beiden in Einklang zu sehen. Man benußte die in der Gesetzgebung von Baden und Baiern bereits vorhandenen Vorarbeiten.

Alle Commissarien betrachteten den Code Napoleon als ein organisches und doctrinelles, mit öffentlichen, Frankreich durchaus eignen Anstalten innig verwebtes, durch Frankreichs Staatsverfassung, durch seine Administrations-, Finanz- und Gerichtsverfassung bedingtes Ganze. Deshalb müsse der deutsche Staat, der das französische Civilgesetzbuch unbedingt recipiren wolle, diejenigen Organisationsveränderungen vorneh men, die der Code Napoleon als bestehend voraussebe. Die Aufnahme der Personenstandsbeamten, des Notariats, des Huiffiers, des öffentlichen Ministeriums, der öffentlichen Gerichtsverhandlung, des Familienraths, endlich des Enregistrements, die Trennung der Justiz von der Verwaltung und der freiwilligen Gerichtsbarkeit sei unausweichlich geboten.

Soweit und über die Nothwendigkeit eines die Aufnah mé des Code Napoleon begleitenden Gesezes waren die Commissarien einverstanden. Nur die großherzoglich hefsischen Commissarien wichen darin von Obigem ab, daß fie die Einführung der französischen Gerichtsverfassung zwar für wünschenswürdig, aber nicht für wesentlich nothwendig, hielten. Dagegen meinten sie, die Aufnahme des Instituts des öffentlichen Ministeriums, der Personenstandsbeamten, des Notariats und des französischen Hypothekenwesens nicht umgehen zu können. Die Function des Caffationshofs wollten fie mit dem Oberappellationsgerichte verbinden, den. Oberge richten die ganze erste Instanz, jedoch mit Beibehaltung des schriftlichen Verfahrens einräumen. An der Doctrin des Code Napoleon wollten die hessischen Commissarien nichts geåndert wissen, nur die Lücken des Code, wo man sie finde, ausfüllen, dagegen alle bestehende Particularrechte, sogar das Institut der Zehnten, Frohnden, Grundzinsen, Bannrechte, so wie alle Eigenthumsbeschränkungen durch ihn zerstören lassen, selbst nicht das römische und kanonische Recht als Subsidiarrecht dulden. Die frankfurtischen Commissarien wollten ebenfalls an der Doctrin des Code nichts ändern, dagegen aber die kirchlichen, administrativen und gerichtlichen Verfas fungen ihres Landes beibehalten. Die civilrechtlichen, vaterländischen Institute wünschten sie, wenigstens provisorisch, bestehen zu lassen. Die Fortdauer vom getheilten Eigenthum, Fideicommisgütern und Lehen 2c. wollten sie deshalb durch eigne Verfügungen sichern. Den organischen Umgebungen des Code wollten sie möglichst analoge deutsche Anstalten substituiren, die Lücken des Code, so wie der hessischen Commiffarien, zu ergänzen suchen. Hinsichtlich der successiven

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Einführung des Code waren die frankfurtischen Commiffarien mit dem nassauischen, Herrn von Almendingen, einverstanden.

Die nassauische Commission trug nämlich (ich bediene mich hierbei der eignen Worte des Herrn v. Ulm.) auf eine successive Aufnahme der französischen Civilgesetzgebung, auf eine progressive Annäherung an Frankreichs eigenthümliche Institute an. Sie hielt diejenigen doctrinellen Bestimmungen des Code Napoleon, welche seine Verfasser aus eben der Quelle gefchöpft hatten, aus welcher deutsche Gerichtshöfe ihre Entscheidungen zu schöpfen gewohnt sind, vor allen andern zu einer sofort zu bewirkenden Aufnahme geeignet.!!

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Sie bemühte sich, diese Bestimmungen abzusondern und nach Titeln, Kapiteln, Artikeln und Paragraphen abzugeben. Wo die nämlichen Bestimmungen öffentliche, Frankreich eigenthümliche Anstalten berührten, suchte sie provisorisch deutfche öffentliche Anstalten zu substituiren. Sie suchte auf diesem Wege die Möglichkeit zu zeigen, 1036 Artikel des französischen Civilgesehbuchs, mithin beinahe die Hälfte desselben, ohne irgend eine wesentliche Veränderung in öffentlichen Einrichtungen anwendbar zu machen. Sie nahm dabei auf die vaterländischen Institute Rücksicht, bezeichnete die sie stillschweigend oder ausdrücklich untergrabenden Verfügungen des Code Napoleon, und trug auf Modificationen an, durch welche sie provisorisch oder definitiv könnten gerettet werden. Sie betrachtete die Doctrin des Code Napoleon als Gegenstand einer vernünftigen Prüfung; ihre Weisheit und Consequenz nicht miskennend, bezeichnete sie die Freimüthigkeit, die Mángel und Fehler, welche sie daran wahrzunehmen glaubte. Sie hielt keineswegs dafür, daß man bei der bloßen Doctrin stehen bleiben, oder blos mit Substitutionen sich behelfen könne; sie war auf Vorschläge zur successiven Einführung von Instituten bedacht, welche, den Instituten Frankreichs nachgebildet, den Vorschriften des Code Napoleon buchstäbliche und materielle Anwendbarkeit verschaffen könnten.

So schlug sie die successive Einführung des Notariats, des Enregistrement, der Bureaux conservateurs des hypothèques, der Officiers de l'état civil, der Officiers ministériels überhaupt, und das Ministère public vor. Sie glaubte, daß man den Friedensgerichten deutsche Aemter, dem Tribunal de première instance deutsche Obergerichte, dem Cour d'appel das Oberappellationsgericht, dem durch eigne Attribute ausgezeichneten Président du tribunal de première instance et d'appel die Directoren der deutschen Gerichtshöfe, und dem Officier de l'état civil der deutschen

Pfarrer substituiren könne. Die Einführung eines Cassationshofs hielt sie für unmöglich, die Einführung einer Cassationsbehörde, dagegen für bedenklich und unwesentlich...

Sie suchte den Punkt zu bezeichnen, wo die Reformen in der Organisation stillstehen, und von der Hand der Zeit und dem Ruf des Weltgeistes einen neuen Schwung erwar ten müßten. Sie glaubte diesen Punkt in dem Scheidewege wahrzunehmen, wo die Eigenthümlichkeiten des deutschen gerichtlichen Verfahrens von den Eigenthümlichkeiten des französischen gerichtlichen Verfahrens in unverkennbaren Contrasten sich trennen. Sie suchte der kirchlichen, Gefehgebung die Ehe, weil sie in ihr ein rein religiöses, vom bürgerlichen Geset beherrschtes, aber keineswegs geschaffenes Institut erkannte, zurückzugeben, überzeugt, daß Frankreichs künftige, von allen Einflüssen einer excentrischen Revolution, gereinigte Gefeßgebung diesem Rückschritt zur Civilisation und Humanitát nicht würde ausweichen können und wollen. Sie schlug die Beibehaltung des römischen, kanonischen und vaterländischen Rechts, in sofern die Verfügungen desselben von der neuen Legislation nicht ausdrücklich oder stillschweigend aufgehoben würden, mit Nothwendigkeit der Befolgung für den Richter so lange vor, bis das Gefühl des Bedürfnisses, oder der Ruf des Protectors alle deutsche Souveraine zur Abfaffung eines gemeinschaftlichen, auf den deutschen Nationalcharakter berechneten, dem Code Rapoleon nachgebildeten, vollständigen Gesetzbuchs zusammenrufen würde. Sie suchte dadurch der Richterwillkür in allen den Fällen vorzubeugen, wo der Code Napoleon stillschweigend den Richter an die bloße Menschenvernunft verweist, welche in jedem Richterindividuum, durch Gefühle, vorgefaßte Meinungen und Geiftesbeschränkungen beherrscht, eine andere Sprache zu führen scheint.

So suchte sie durch sparsame, aber selbständige Verånderungen der Doctrin, durch Substitutionen, durch Institute, die dem Territorialumfang, der Bevölkerung, den Einkünften eines deutschen Herzogthums angemessen sein könnten, die Selbständigkeit der Gesetzgebung des Souverains zu retten, dessen Aufträge sie zu vollziehen hatte *).

Jede der verschiedenen Commissionen beharrte auf ihrer Ansicht. Am 28. März 1810 beschlossen deshalb die Commissarien, die Conferenzen auf unbestimmte Zeit zu_prorogiren.

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*) S. Vorträge über den Code Napoleon S. 9: bis 13, 3. Bd..

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