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schiednen Erscheinungen derselben, jede für sich, und alle in ihrer Nothwendigkeit zu übersehen vermag; wer endlich nicht unterscheiden will diejenigen Theilnehmer, wel= che sich ihrer aus Selbstsucht oder aus wildem Irrwahn zu bemächtigen, welche sie zu leiten und zu gestalten versuchten, von denen, welche von ihr ergriffen und fortgerissen, ihrer stürmenden Gewalt blind folgten, oder von denen endlich, welche mitten in die Revolution hineingestellt, ih= rer Wuth besonnen widerstanden, um zu retten, was allein zu retten war: das Gesez aller bürgerlichen Ordnung, Gehorsam und Freiheit in der Verfassung und durch die Verfassung, der wird alles untereinander werfen, Ursachen und Folgen, Nothwendigkeit und Willensfreiheit, Werkzeug und Theilnehmer; der wird vermischen die Nas ferei der Zerstörer mit der Anstrengung des Muths, die Thorheit der Schwärmer mit dem Aufschwung der Gemúther, und den Starrsinn der Kraft mit der Mäßigung der Besonnenheit; dem gilt es gleich, ob er verdammt Marat oder Mirabeau, Robespierre oder Condorcet, Danton oder Carnot und Fouché: Er verdammt sie alle!

Volk und Staat sollen Eins seyn, oder Eins werden. Diese Einheit ist die Aufgabe aller Regierung. Verwechs felt aber die Regierung jene Einheit mit Einerleiheit, so verkennt sie ihr eignes Wesen, und zerstört selbst ihren Zweck. In Ludwigs XIV. nur zu bekanntem Wort: Ich bin der Staat, *) liegt das Geheimniß des Ursprungs der französischen Revolution. Jenes Wort, in's Leben eingeführt, trennte zuerst Volk und Staat; es vernichtete die Einheit durch Einerleiheit. Die Nation, gebildet wie sie war, sing selbst an zu sehen und zu denken, endlich zu handeln. Da löste sie sich ab von dem Throne, der lange zuvor, ehe er zusammenbrach, auf keinem festen Boden mehr stand.

Die Revolution brach aus. Ihr furchtbares Wort: das Volk ist souverån, das Volk ist der Staat, stellte den Gegensah auf von dem, was Richelieu bezweckt und Ludwigs XIV. Cabinet vollendet hatte. Die Mána ner der Revolution handelten im Sinne dieses Worts; so schritt die Revolution vorwärts,

*) l'état; c'est moi!

Die Verständigen erkannten das Wesen aller Verfass fung: die Einheit des Volks und des Staats. Sie suchten sie wiederherzustellen in der Verfassung; ans fangs in der Monarchie von 1791; aber die entfesselte Leis denschaft zerstörte ihr Werk; dann in der Republik; aber auch diese zerstörte die Leidenschaft; endlich in der Einheit der Staatsgewalt, so entstand das Consulat; aber dieses, selbst leidenschaftlich in seinem Haupte, ging unter in der Herrschsucht.

Da kehrte man endlich zurück zur Monarchie, und die Verfassungsurkunde trat ein als Vermittler der Eins heit zwischen Volk und Staat, in der Person Ludwigs XVIII.; doch auch diese Verfassung umspinnt mit ihrem Hasse die Leidenschaft.

Wenige nur erkannten den mächtigen finstern Geist, der so seit 1791 alle Entwürfe vernichtete: den, finstern Geist der Leidenschaft. Sie versuchten ihn der Einheit zu unterwerfen, unter welcher Form auch diese sich darstellte; aber es gelang ihnen nur auf Augenblicke. Zu diesen we nigen, glauben wir, gehörte Fouché.

Als er mitten in dem Sturm der wildesten Leiden: schaft zuerst eintrat in das öffentliche Leben, war die Res publik schon aufgerichtet. Er hatte sie nicht hervorgerufen; aber er wollte, er mußte ihr gehorchen, weil sie da war. Das Zeitalter umgab ihn, wie alle, die demselben angehörten, mit eiserner Gewalt. Ludwigs XVI. Tod war das große Unglück allgemeiner Schuld.

Wer nie kannte das verhängnißvolle Drången jener unglückseligen Zeit, wo Wuth im Innern, Krieg von Aus ßen war, nur der wagt es diejenigen zu verurtheilen, wel che von ihren Umgebungen beherrscht, den Aufruhr der öf fentlichen Meinung nicht eher zügeln konnten, als bis sie mit der Gefahr vertraut, stark und frei genug sich fühlten.

Die Noth hörte nicht auf. Sie wechselte nur die Gestalt. Hier stand Fouché zwölf Jahre auf einem Poz sten, der Niemandem gefällt, auch wenn Ruhe ist, weil er Alles bewacht.

Seine Handlungen wågt die Zeit; Vieles darin ist noch dunkel; Anderes kann nur eine umständliche Entwicklung in fein volles Licht stellen. Diese werden seine Zeits genossen und die Nachwelt in den Denkwürdigkei ten seines Lebens" finden, mit deren Abfassung der Herzog von Stranto, wie wir gehört haben, sich gegens wärtig beschäfftigt.

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Wir übergeben hier der öffentlichen Meinung einen gedrängten Abriß seines öffentlichen Lebens. Dieser Abriß enthält nicht, was im Laufe deffelben durch ihn geschehen ist, sondern er stellt den Mann selbst dar: sein Inneres, aus welchem sein äußeres Leben hervorging; die Grundfäße, welche ihn leiteten in den verschiedensten Lagen und Zeiten, und zu denen er sich offen bekannte, vor wem er auch stand, und wie hoch oder wie tief er stand!

Er hat sich selbst ausgesprochen in den zehn Urkunden feines Lebens, die den Hauptinhalt dieser Schrift ausz machen. Sie sind ácht, und, bis auf den Brief an den Kaiser Napoleon vom 23. April 1814*), und einige uns vollständig, oder entstelt bekannt gewordne, hier zuerst genau mitgetheilte Actenstücke, noch nicht im Druck era schienen. Der Umstand, daß die Zeugen, an welche sie gerichtet waren, den einzigen Mürat ausgenommen, noch leben, muß ihre Rechtheit verbürgen. Die Geschichte aber wird in ihnen das treue Bild des Mannes erkennen, der fiebenzehn Jahre lang sich selbst treu blieb: denn wie er im I. 1799 dachte, sprach und handelte, so handelte, sprach und dachte er im J. 1815 und in der Zwischenzeit. Erwägt man den Sinn und den Ausdruck der Umlaufs schreiben an die Bischöfe und Präfecte aus dem ersten Jahr des Consulats, und vergleicht sie mit spátern Schreiben des Herzogs von Otranto, so werden selbst seine Feinde getroffen von der Sprache des Bewußtseyns der Wahrheit, der Mäßigung, der Gelassenheit und Würde, die sich dara in ausspricht. Eine Ruhe, wie wir sie fast nur an den großen Männern des Alterthums wahrnehmen, führt ihn selbstständig, besonnen und sicher durch die heftigsten Erá

: *) Er ist entlehnt aus dem Moniteur Nr. 525 vom 12. Sept. 1815, und seine Aechtheit wird verbürgt,

schütterungen hin, unter denen selbst der Boden schwankte, auf dem er stand, nur nicht sein Herz und fein Entschluß!

Er hat Napoleon gedient, vor dem Frankreich und halb Europa fich beugten; aber er hat stets wahr zu ihm geredet, und furchtlos die Zukunft vor ihm enthüllt. Die Stimme freimüthiger Warnung ward nicht gehört. Der Herzog von Otranto wurde mehrmals verstoßen und zurudberufen. Er blieb derselbe. Wäre er je Werkzeug gewesen, so hatte man ihn weggeworfen, oder zerbrochen. Måre er nur für sich, nicht für die Erhaltung des Gese= hes und für die Einheit des Volks und des Staats, das ist: für die Sache Frankreichs, selbstständig und fest ge= wesen, so håtte man ihn verachtet und vergessen.

Seine Ansichten sind nicht die Ansichten Aller; seine Grundsäße vielleicht eben so wenig. Über er darf sich nicht scheuen, sich zu denselben zu bekennen; bei einem folchen Mann ist auch der Irrthum lehrreich.

Die Weltgeschichte wird in der französischen Revolu= tion Fouché's Leben nie übersehen. Aus demselben wird klar die große Bedeutung jenes Volks- und RegierungsZerwürfnisses für die Nachwelt. Denn nicht zweck noch Spurlos wird sie vorübergegangen seyn in den Jahrhun= derten der Menschheit. Auch ihr hat die Vorsehung eine Stelle angewiesen in der Entwicklung der allgemeinen fittlichen Ordnung. Es ist ein thörichtes Beginnen der Leidenschaft, ihre Folgen vernichten, fie selbst gleichsam aus dem Schooße der Zeit herausreißen zu wollen. Eine Regierung die dies wagte, würde nur Revolutionen ans derer Art vorbereiten. Ein richtiger Blick auf Fouché's Leben ist daher ein tiefer Blick in das Geheimniß aller Revolutionen. Sie sind da, ehe man sie sieht; sie bleiz ben da, wenn man sie vorübergegangen glaubt.

Nicht der Staatsmann schüßt die Völker vor dem Aufruhr, der ihre Einheit mit dem Staate zerreißt; fon= dern wer diese Einheit zurückführt und befestigt. Nicht der warnt vor den Gefahren der Leidenschaft, welcher fie verdammt, sondern wer durch die Vernunft måßigt, durch das, was ewig wahr ist, nicht was zufällig und eine Zeit lang rechtmäßig seyn kann.

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Darauf weist das Leben des Herzogs von Stranto hin. In einem der furchtbarsten Augenblicke, die es für große Völker geben kann, wo der Untergang der Hauptstadt, wo der Bürgerkrieg, wo alle Gråuel des Schreckens und einer Heeres - Dictatur die Verzweiflung selbst zu bewaffnen drohten, um das Ausland abzuhalten von Frank treich: in diesem Augenblick stellte der von Buonaparte, als er abdankte, eingesette Staatsverwaltungsrath, in welchem auch Carnot saß, den Herzog von Otranto an die Spize der Zwischen - Regierung; ein Vertrauen, das alLein schon den Werth dieses Manns bewiese, wenn man auch nicht wüßte, daß er drei und zwanzig Jahre hindurch in dem wechselvollen Sturm der Revolution sich aufrecht erhalten durch die eigne Kraft.

So viel über ihn und seine Geschichte geschrieben wor den ist, so hat man dennoch, bevor er selbst sprechen wird, nichts Zuverlässiges aus seinem innern Leben gewußt. Der Haß aller Parteien hat ihn verläumdet; und wie sollt er dies nicht, da der Herzog von Otrantó zu keiner ges hörte, da er keine je gegen die andre bewaffnete, alle vielz mehr unter einander auszusöhnen bemüht war?

Was jeder Gemäßigte, der zwischen den Parteimånnern mitten inne stand, erfahren hat, das hat auch Fouché erfahren. Wie so viele, die das blinde Urtheil der Menge verfolgt, kann auch er sagen:

In moderation placing all my glory,

While Tories call me Whig, and Whigs a Tory.

Was öffentliche Zeitschriften über ihn gesagt haben, ist zum Theil aus trüben oder unreinen Quellen geflossen. Selbst der Moniteur war in der Gewalt der Parteien nichts als ihr Sprachrohr. Die Häuptlinge ließen darin jeden Mann von Bedeutung reden oder schreiben, wie es jedesmal in ihrem Sinne war.

Unter den vielen Nachrichten über den Herzog von Otranto ist eine in Wien *) bekannt gemachte unacht und

*). No. 19. du Novelliste français, rédigé par Henry et Richard à Vienne; extrait d'un ouvrage: Souvenirs de ma vie, par J...

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