Page images
PDF
EPUB

bie menschliche Klugheit in der Führung der Staaten legte, konnt er selbst in die von ihm für unverleglich gehaltene Verfassung sich Eingriffe erlauben, wo die Umstände und menschlicher Rath sie zu rechtfertigen schienen. So trug denn auch seine Staatsweisheit ein selbstsüchtigeres Gez práge, und, ohne die Weltverhältnisse einzig und engherzig nach Englands Vortheil zu berechnen, ordnet' er doch diefem, wenn er gefährdet war, selbst höhere Rücksichten unter, und fah Europa häufig nur mit den Augen eines Englanders, seltener England mit den Augen eines Weltbürgers an.

In For überwog der Weltbürgerfinn eben so sehr die selbstsüchtigere Staatsansicht, als engherzigen Nationalftolz. Die Freiheit sah er als das wahre, unverlegliche Kleinod der Menschheit an, sie als die Seele jeder guten Staatsverfassung. Er ehrte das Geses und die bestehenden Verhältnisse, sofern sie die Freiheit allenthalben sicherten; wo er aber die Freiheit, die er für sich und für andre, für England und für alle Völker suchte und vertheidigte, durch das Herkommen, oder die Verfassunz, oder selbst durch das bestehende Geseß beschränkt glaubte, hielt er sich weder an jene, noch an dieses gebunden. Weil ihm aber die Freiheit unbedingt als das Höchste in den Staaten galt, weil er auch das Gesetz, das er am meisten nach dem Grade bürgerlicher Freiheit, den es gewahrte, aus seinem Standpuncte, würdigte, dieser Freiheit unterordnete, gab er selbst gefährlicher Willkühr Raum, und verz gaß, daß nichts so völlig die Freiheit vernichtet, als Willführ und Gesehlosigkeit, daß gefeßliche Ordnung das Höchste im Staat, weil sie die einzige Bürgschaft für das Wünschenswertheste, die Freiheit, ist. So mußt' auch er, auf einem andern Wege als Pitt, mit sich selbst in Zwiespalt kommen, weil er, im Kampf für die Freiheit, selbst eine, Geses und Verfassung verlegende Eigenmacht für zuLassig hielt, die, wenn sie um sich greift, die beschwerlichste Tyrannei wird. Denn Eigenmacht, die sich vom Geses entbindet, und eben darum keine Schranken kennt, gleichviel von wem sie geübt wird, von Einem Alleinherrn oder von mehrern Gewalthabern, von Volksvertretern oder vom Bolk selbst, ist unvermeidlich das Grab der bürgerlichen Ordnung und zugleich der bürgerlichen Freiheit. So uneigennütig und hochsinnig er seinem Vaterlande und

ber Menschheit diente, so fehlte ihm doch die Demuth vor dem Gesez, und auch er war von der religiösen Unficht der Welt- und Staatsverhaltnisse nicht so durchdrungen, daß er in einer göttlichen Ordnung alle menschliche begründet und bewahrt erkannt, und selbst sein WohlwolLen jener untergeordnet hatte. Er erwog es nicht immer, daß eben so wenig, als durch Klugheit allein, nur durch Wohlwollen Staaten und Völker regiert werden. In ihm aber war jenes, das den Menschen vorzüglich liebenswürz dig macht, so mächtig, daß er in Gefahr kommen konnte, mit seinem Weltbürgersinn den Engländer fast zu vers gessen eine feltne Großherzigkeit, die aber keineswegs alle andere Tugenden des Staatsmanns entbehrlich macht.

Es ist hier nicht von einem Weltbürgerfinn die Rebe, wie er zu einer Zeit, da der Vaterlandssinn fast erstorben war, unter uns gepriesen ward, der, was an Tiefe und Innigkeit fehlte, an Ausdehnung und Umfang ersehen foute; nicht von dem, der mit der Vaterlandsliebe in Zwiespalt geráth, sondern diese selbst erhöht, — eine Aufs gabe, die nur das ächtchristliche Leben zu lösen vermag, zu beren Lösung auch der Staatsmann nur, wiefern das lez bendige Christenthum ihn beseelt, fahig ist. Gelang diese Lösung vollkommen weder in Pitt, noch in For, so stand doch dieser ihr náher, als jener, durch die Kraft seines Wohlwollens, das seinem Vaterlande sein glühendes Herz, den Fremden seine warme Theilnahme erhielt, und nicht zunächst nur das besondere Nügliche, sondern das allgez mein Löbliche und Menschliche erwog; überzeugt, daß dież ses auch dem Vaterlande nicht nachtheilig, sondern nur er sprießlich seyn könne. Sofern die Gesinnung aber auch durch die Klarheit und Tiefe der Einsicht gestarkt werden soll, wird diese bei dem Staatsmann, mehr noch als bei dem Privatmann, besonders in der Hinsicht in Anspruch genommen, als seine Gesinnung dadurch erst recht wirk sam und wohlthätig sich bezeugt, daß er die Weltverhält nisse aus einem erhabenen Standpunct ansieht, und im Wirken für seine engere Welt, (sein Vaterland), die gró ßere, durch die auch jene wesentlich bedingt ist, mit umfaffenderem Sinn würdigt. An Einsicht aber, an klarer Würdigung der Verhältnisse, wie an Strenge in der Ges schafftsführung ward Fox durch Pitt übertroffen.

Die eigenthümliche, schon bei dem nordamerikani schen Freiheitskampf sichtbare Denkart beider, entwickelte fich immer mehr in den nachfolgenden Verhandlungen und Ereignissen, zunächst in Beziehung auf die neue Indias Bill, welche For vorschlug. Dieser, empört durch die vielfachen Mißhandlungen und Ungerechtigkeiten, die von der ostindischen Handelsgesellschaft verübt wurden, glaubte die Regierung und das englische Volk berechtigt, der Ges sellschaft die großen Rechte, deren sie sich durch Mißbrauch derselben verlustig gemacht habe, zu entreißen, und`empfahl daher, mit allem ihm eigenen Eifer, eine neue Ordz. nung der oftindischen Angelegenheiten, nur darauf_ab= zweckend, das schöne Land und seine leidenden Bewohner von dem schweren Drucke der Handelsgesellschaft zu bez freien. Wie er aber nicht immer mit klarer Besonnenheit die Mittel für seine Zwecke prüfte, und, wo es auf die Abstellung eines Mißbrauchs, einer Ungerechtigkeit oder ty= rannischen Gewalt ankam, mit aller Stärke seiner Seele solchen Uebeln sich entgegenwarf, ohne Alles, was dabei zu berücksichtigen war, zu erwagen; so achtet er es auch nicht, daß durch seine India- Bill, allzugewaltsam alle Diechte der, freilich schuldigen, Gesellschaft angetastet und verlest, und selbst die ehrwürdigen Geseze, die das Eigenthum aller Staatsbürger, auch bei nothwendigen Neuerungen, in besonderen Schuh nehmen, angefochten wurden. Dies war es, was Pitt, der nicht so leicht folcher gerechten Bedenklichkeiten sich überhob, gegen jene Bill einwandte. Gleichwohl sprach zu Gunsten derselben der unbestreitbare Grundsay, daß die ungesesliche Erweis terung eines Rechtes, als eine Usurpation, in jeder gue ten Berfassung durchaus verwerflich ist, und selbst eine gefehliche Beschränkung des Rechtes nothwendig und gerecht machen kann; daß es einem freien Volke wohl zustehen muß, selbst alte Vorrechte einzelner Staatsbürger oder ganzer Gesellschaften, wenn im Fortgange der Zeit erweis liche Nachtheile für das Ganze daraus entstehen, auf ge= feylichem Wege zurückzunehmen. Denn alle Borrechte werden nur bedingt, und keins ist auf ewige Zeiten in dem Sinn' ertheilt, daß es, während ringsumher die Welt sich anders gestaltet und neue Verhältnisse eintreten, allein unwandelbar bliebe; die Gerechtigkeit ist nur darin nen zu wahren, daß nicht Willkühr oder Gewaltthat, son dern allein eine erweislich höhere Nothwendigkeit,

das Gefet, dem alle sich unterwerfen müssen, über die zeite gemäße und heilsame Beschränkung oder Erweiterung entscheide, nirgend aber die Achtung vor dem Eigenthums: recht leichthin verlegt werde. Da besonders, wo eine eis genmächtige, durch keine Verjahrung zurechtfertigende, Erweiterung des ursprünglichen Rechts eingetreten ist, wird diese selbst ein Grund für die neue Prüfung und Fests Rellung des zulässigen Umfangs des anerkannten Rechtes.

Doch war damit For's India-Bill nicht zu rechtferti gen. Denn sie erschien als ein Gewaltstreich, der ein für das Privateigenthum sehr gefährliches Beispiel gab, und um so unzulässiger, als hier eine Willkühr durch eine ane dere verdrängt werden sollte. Denn die fast ungemessene Gewalt, welche durch die Bill der Regierung eingeräumt ward, stand selbst mit der freien Verfassung Englands, von der die ostindischen Befihungen nicht ausgeschlossen seyn sollten, im Widerspruch, und konnte von den Volksvertretern nicht gebilligt werden. Darum bekämpfte auch Pitt, zum Zeugniß seiner Liebe für Freiheit und Geset, die Bill auch dann, als sie im Unterhaus durchgegangen war. Dieselbe Gesinnung leitete ihn in der von ihm vorgeschlagenen neuen India-Bill, welche die Rechte der ostindischen Handelsgesellschaft schüste, aber den Mißbrauch möglichst verhütete. Wenn dadurch auch nicht das Uebel in der Wurzel zerstört werden konnte, so ward es doch bez deutend vermindert, und For hatte, wenn er in diesem Kampfe weniger befangen gewesen wäre, seinen eigenen Grundsägen treu, Pitt's India-Sill nicht außer Wirkjams keit sehen können.

Wie leicht im Eifer für die Freiheit auch ein wohl wollender Sinn verblendet und vom Irrthum hingerisen werden kann, das wird in For's Beispiel recht anschaus lich. Nachdem im Oberhaus seine India - Bill verwors fen worden, schmiedet er selbst einen Plan, der die ges sehliche Verfassung und Freiheit gefährdete, da er im unterhaus vorschlug, die Rechte der Pairs, gerade in einer, dem Ganzen sehr heilsamen Beziehung, zu beschränken; drauf aber, als er mit diesem Vorschlag, der die Regierung nur ungebundener gemacht hätte, nicht durchdrang, felbst den Angriffen auf die Rechte der Krone beitrat, und so auf's neue die Verfassung verlegte. Pitt dagegen

[ocr errors]

schüste sie in beiden Fällen, und blieb sich selber treu, da er gegen for die Rechte der Pairs, dann die Rechte der Krone vertheidigte, und hier und dort mit dem Gesez die Willkühr bestritt.

Um For und Pitt recht zu würdigen, ist von nun an besonders zu erwägen, daß dieser als Minister, jener als Bolksvertreter handelt. Der Minister aber hat, bei der innigsten Liebe für das Volk und dem redlichsten Eifer für dessen Rechte, noch andre Rücksichten, und darf es nie vergessen, daß er zugleich zum Beschüßer der Verfassung und zum Bertheidiger der Krone berufen ist, ohne dadurch nothwendig ein Gegner der Volksfreiheit zu werden. Man stellt, auf eine unziemliche Weise, Fürst und Bolk einan der entgegen, wenn man die Verfechtung der Rechte der Krone als einen Angriff auf die Rechte des Folks erklärt, eine Ansicht, die in einer wohlgeordneten Verfassung nur Verderben ausfäet. Zumal in Staaten, die das Glück einer achten Volksvertretung genießen, soll der Minister, der über die Kronrechte wacht, nicht schlechthin für einen Feind der Freiheit gehalten werden. Das war Pitt am wenigsten, der, selbst als Minister, die Rechte des Parlaments, des Volks ehrte, und in mehr als einem Falle vers theidigte. Auch For war es nicht, auch dann nicht, wenn er zu bedenklichern Maaßregeln, die an Willkühr und Ges waltthat granzten, rieth, weil er dann häufig nur als Glied der Spposition sprach, deren Stellung, in der Vers fassung Englands begründet, nur dazu dient, durch Widerspruch auch empfehlungswerthe Vorschläge und Pläne der allseitigsten Prüfung zu unterwerfen, das beabsichtigte Gute um so mehr zu begründen, mit den strengsten Ansprüchen der Verfassung in Einklang zu bringen, dem überwiegenden Einfluß einzelner aber Schranken zu sehen.

Das Leben beider großen Männer fällt in die Zeit der neuen Anerkennung der Menschen- und Volksrechte, des allgemeinern Strebens, diese Rechte in allen Verhältnissen geltend zu machen und die Freiheit zu erringen. Das Berhalten beider, in Beziehung auf diesen Geist der Zeit, enthüllt ihren Charakter, richtet über ihre Gesinnung.

Die wichtigsten Angelegenheiten der Menschheit kas men damals in England zur Sprache; die Rechte der Zeitgenossen L

4

« PreviousContinue »