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Fox und Pitt.

Die Geschichte vereinigt das Leben zweier Männer, die durch Eine Zeit, Ein Vaterland und gleiche Liebe für dasselbe verbunden, einander doch feindlich entgegenstanden, und weniger durch die Gesinnung als durch die Meinung und die Verhältnisse geschieden, nur als streitende Kräfte auftraten. Beide werden nur dann richtig und vollständig erkannt, wenn das Bild ihres Lebens Jeden in seiner ganzen Eigenthümlichkeit lebendig auffaßt, und beide zugleich, in ihrer rechten Beziehung zu einander, klar und treulich darstellt. Der Kampf selbst, den sie gegen einander kampften, beurkundet, was sie waren, und griff so tief und machtig in ihr Daseyn und Wirken ein, daß er uns eine gegenseitige höhere Berwandtschaft bezeugt, die freilich nicht zu wirklicher Befreundung sich vollenden konnte, aber merkwürdige Beziehungen in dem Leben beider enthüllt.

Man sagt, daß ungemeine Geister, über ihre Zeit er haben, derselben voraneilen. Es gibt solche außerors dentliche Menschen, die gleichsam außer ihrer Zeit zu stehen, mehr einem Geschlecht der Vorwelt, oder der Zukunft anzugehören scheinen. Aber es gibt auch sehr ungemeine Kräfte, die recht eigentlich und völlig ihrer Zeit angehö ren, dergestalt, daß sie nicht nur das Gepräge derselben tragen, sondern auch mit ihrem ganzen Wesen in ihr les ben und auf sie einwirken. Das sind seltene Naturen, die fich nur wenig von der Eigenthümlichkeit ihrer Zeit berüh ren lafen, und man fell dies ja nicht zur allgemeinern Res

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gel machen wollen. Vielmehr spricht Geschichte und En fahrung dafür, daß die größten Menschen auch durch ihre Zeit, oder durch den in derselben vorwaltenden Geist des Menschenlebens erzogen wurden, und nicht sowohl da durch, daß sie sich von ihr abwendeten, als dadurch, daß fie mit höherer Kraft, als Bürger der Zeit, diese selbst ers griffen, auch so groß in ihrer Wirksamkeit wurden.

For und Pitt tragen in dem, was sie waren und was sie thaten, die Zeichen ihrer Zeit; feiner war von derselben unabhängig. Vieles in ihnen gestaltete sich ges rade so, und nicht anders, weil ihr Zeitalter sie mit bestimmte; aber sie selbst wurden so starke Glieder in demselben, weil sie, ohne seinem Einfluß sich nur leidend hinzugeben, oder von ihm sich ganz entbinden zu wollen, gerade die Kräfte ausbildeten und übten, die von der Gegenz wart am dringendsten in Anspruch genommen wurden, und den Ansichten folgten, die derselben am meisten sich zú eignen schienen.

Auf beider Ansichten und auf ihr ganzes öffentliches Leben wirkte folgereich der Befreiungskampf der nordamerikanischen Colonieen gegen das Mutterland ein. For war, nach seiner Entlassung von der hohen Stelle, zu der man den Jüngling erhoven hatte, schon auf die Seite der Opposition getreten, als jener Kampf begann., Sein Geist und feine Gesinnung neigte sich zu denen, die für ihre Freiheit stritten; den Krieg gegen dieselben hielt er für so ungerecht, als unflug, und kraftig widersehte er fich den Ministern, die Alles aufboten, zwar nicht jene, schon früher von England zugestandene Freiheit der repub licanisch verwalteten Colonieen Nordamerika's, aber ihre Unabhängigkeit wieder zu vernichten. Auch als er auf's neue Mitglied des Cabinets geworden, ließ er nicht ab, gegen den Krieg zu sprechen, und seines Amts wieder ents Lassen, sucht' er auch als Parlamentsglied den Frieden zu befördern.

Pitt trat zuerst im Parlament auf, als derselbe nordamerikanische Krieg noch die Gemüther bewegte. Selbststandig, keiner Parthei angehörig, aus Ueberzeugung sprach auch er entschieden gegen den Krieg. Als er Kanz

ler der Schatzkammer geworden; eilt' er, den Frieden zu bewirken, und es gelang.

Seitdem waren For und Pitt in ihrem öffentlichen Leben völlig entzweit. Denn die Bedingungen des Fries dens, den jener erst selbst gefordert, diefer bewirkt hatte, wurden nun von der Partei, zu der sich For bekannte, in deren Geist er sprach, heftig angegriffen. Es scheiden fich ihre Wege; aber in dieser Scheidung schon hat sich die Eigenthümlichkeit beider enthüllt, und entwickelt sich immer mehr in der besondern Richtung, der Jeder, nach der Anlage und Kraft seiner Natur, sich hingibt.

For erscheint nun als der für große Ansichten und für. alles Erhabene empfängliche, für alles Menschenwürdige begeisterte, aber auch leichtbewegliche, darum in seinen Meinungen wechselnde, und in seinem öffentlichen Leben nicht durchaus folgerechte Mann; im kühnen und freien Kampf gegen die Verhältnisse, doch von den Verhältnissen, mehr als es scheint, abhängig; Pitt, als der für das Große und Erhabene nie unempfängliche, für alles Menschenwürdige recht wohlwollend thatiger doch minder reizbare und bewegliche Mann, klar und besonnen, darum in seinen Meinungen, wie in seinem Wirken beharrlich, in seinem öffentlichen Leben mit sich übereinstimmend und sich selbst gleich, die Verhältnisse sorgfältig beachtend und ftreng würdigend, darum von ihnen unabhängiger. - InFor ist die geniale, aber willkührliche, in Pitt die ge= megnere, aber in Gesehmäßigkeit sich bewegende Kraft; in jenem das Gemüth und der Eifer, in diesem der klare Ver stand und der feste Wille vorherrschend. In der Aufrichs tigkeit und Treue der Gesinnung, so weit sie sich in dem öffentlichen Leben bewährt, stand keiner dem Andern nach; aber großherziger und rücksichtsloser huldigt For allen ed leren Bestrebungen, wo Pitt zurückhaltender und bedäch tiger sie prüft, und am meisten das Zeitgemäße erwägt.

Beide waren zur Vaterlandsliebe und für den Staatsdienst gebildet; der Geist der Griechen und Römer hatte ihrem Geist einen höheren Schwung gegeben, die Berfassung Englands sie mit Freiheitssinn, das rasche und kraftige Wachsthum der englischen Macht mit höherem

Selbstgefühl und Stolz erfüllt. Aber der umfassendere Geist For's gefiel sich darinnen, das Glück einer freien Verfassung und eines festbegründeten Woolstandes, wie England sich desselben freute, mit freigebiger Hand auch andern Nationen zu gewähren, und auch dadurch Englands Würde und Ruhm zu verherrlichen; Pitt's ruhigerer und mehr sich selbst beschränkender Geist sann darauf, Englands Glück noch fester zu begründen, weiter zu enthalten, sichrer zu wahren, und ohne die Freiheit Ande rer beschränken zu wollen, doch die eigne Macht so zu steis gern, daß sie, selber unantastbar, sich um so wohlthäti ger ihres überwiegenden Einflusses allenthalben bedienen könne. Jener woute die Ansprüche, die England behauptete, zur Ehre Englands, allenthalben geltend machen; dieser fand in dem, was England schon war, einen hinreichenden Grund für das, was es noch werden konnte, und raumte andern Völkern gleiche Rechte nur in so, fern ein, als sie gleiche Ansprüche schon gewonnen hatten, die Macht Englands aber nicht gefährdeten.

In Pitt's Seele war überwiegend die Ehrfurcht vor der alten wohlbegründeten Ordnung der Dinge, und vor dem Gesch, auf dessen Unverleylichkeit das Wohl des Staats und der Einzelnen beruht. Er ehrte und liebte gez fehliche Freiheit, widerstrebte aber um so entschloßner jeder Freiheit, die mit Berlegung des Gesetzes, durch irs gend eine Handlung der Willkühr, sich begründen wollte. Es konnte nicht fehlen, daß er, auch bei seinem klaren Geiste, hinsichtlich seiner Ansichten von Verfassung und Gesez, zu Zeiten mit sich selbst in Zwiespalt gerieth, weil er Herkommen und Gesch nicht immer streng unterschied, bisweilen auch das Herkömmliche, blos als solches, für gefehlich achtete, bisweilen jenes, wenn er durch ein höhe res Gesez sich genöthigt glaubte, selbst überschritt. Dazu maß er dem gegebenen menschlichen, darum bedingten Geset, unter manchen Umständen dieselbe Unbedingtheit bei, die nur dem höchsten, göttlichen Geseß eignet, und konnt' es vergessen, daß alle bestehende gesetzliche Verfassung durch eine höhere Ordnung der Dinge, durch das göttliche Gesetz in der Menschheit begründet, und davon abhängig ist. Ohne selbst irreligiós zu seyn, entbehrte er doch der wahren religiósen Ansicht der Staatskunst und der Verhaituisje, und weil er denn ein übergroßes Gewicht auf

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