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so schlecht über sie, wie die meisten, und möchte ebenso gerne jeden morgen drei stunden in einen abtritt blicken, « schreibt er am 24. Juni 1730. Dabei ist er der treueste freund seiner freunde, und sein urteil über einzelne personen ist immer wohlwollend, milde und leidenschaftslos.

Seine amtspflichten versah er auf das gewissenhafteste. »Ich höre,« schreibt er am 3. Januar 1715, »man hält mich für einen tüchtigen dechanten und glaubt, dass ich gutes thun will. Meine meinung ist, dass, wenn ein mann die welt nicht bessern kann, er alte schuhe ausbessern sollte, falls er nichts besseres thun kann, und deshalb bestrebe ich mich, in dem kleinen kreise, in den ich gestellt bin, alles gute zu thun, dessen ich fähig bin.« Er verteidigte seine gerechtsame gegen übergriffe des erzbischofs, führte ein strenges regiment über sein kapitel und seinen kirchenchor, war seinen untergebenen ein etwas barscher, aber wohlwollender herr und den armen seines sprengels ein unermüdlicher und aufopfernder wohlthäter. Auch machte er gartenanlagen und bauten, besonders in seinem vikariat zu Laracor.

Oft klagt Swift in den briefen über seine gesundheit. Er litt seit seinem jünglingsalter an zeitweiliger taubheit, ohrensausen und schwindel, leiden, die mit dem alter zunahmen und schliesslich zum vollständigen verfall seiner geistigen kräfte führten. Die mittel, die er hiergegen anwandte, waren körperliche übungen, gehen, rudern und besonders reiten, enthaltsamkeit von angestrengtem denken und beschäftigung mit kleinigkeiten.

Über seinen von der legende so vielfach ausgeschmückten lebensroman, die doppelliebe zu Stella und Vanessa, erfahren wir in den briefen einiges. Sein verhältnis zu Esther Johnson, seiner Stella, die mit ihrer gesellschafterin in Dublin oder auf seinem vikariate zu Laracor wohnte, war ein ganz öffentliches. Er spricht von den frauen einmal als »den damen meiner bekanntschaft << (20. Oktober 1714) und erwähnt Stella noch einmal im jahre 1726 als »eine dame meiner alten bekanntschaft, die sehr krank war«. Zu der frage, ob Swift und Stella verheiratet gewesen sind, liefern die briefe den einen beitrag, dass er sich ausdrücklich als jemanden bezeichnet, der die ehe nie gekannt habe (12. Februar 1730). Im grunde ist es nicht von grosser wichtigkeit, ob die ceremonie vollführt worden ist; jedenfalls hat Swift immer als junggeselle gelebt. Seine beziehungen zu Miss Hester Vanhomrigh, der Vanessa der Swift-legende, die Swift ebenfalls nach Irland gefolgt

war, und mit einer schwester erst in Dublin und dann auf dem lande in Celbridge wohnte, hält er auch vor Chetwode geheim. Doch scheint dieser dahinter gekommen zu sein. Swift schreibt ihm am 17. Dezember 1715: »Sie haben mich in meiner kleinen privatbekanntschaft ausgespürt, aber das muss entre nous bleiben. Das beste an der sache ist, dass Sie sie nicht alle auffinden können.<< Von der tragischen katastrophe, die durch die eifersucht und leidenschaft Vanessa's im jahre 1723 herbeigeführt wurde, und die so oft mit romanhafter ausschmückung erzählt worden ist, hören wir in den briefen nichts. Dagegen wird die sache noch einmal erwähnt, als im jahre 1726 das gedicht Cadenus and Vanessa, welches handschriftlich schon einige jahre kursiert hatte, ohne Swift's wissen gedruckt worden war. Swift thut, als ob die sache ihm ziemlich gleichgültig wäre. »Es ist mir einerlei,« schreibt er, »>was damit geschieht, denn der druck kann es nicht bekannter machen, als es ist, und, was mich angeht, so habe ich vergessen, was darin steht, aber ich glaube, es ist nur eine galanterie (a cavalier business), und die, welche keine nachsicht üben wollen, mögen es thun, und wenn sie mich damit kränken wollen, so werden sie enttäuscht werden, denn das habe ich lange erwartet. << Er fügt hinzu, dass er das gedicht selbst, seit er es geschrieben, nie gesehen habe, und dass auch der ernsteste charakter nicht verantwortlich gemacht werden könne für ein privates launiges ding, das durch einen unvermeidlichen zufall und die gemeinheit besonderer bosheit veröffentlicht worden sei, und will weiter nicht mit berichten darüber belästigt sein, »wo es doch nichts hilft und mir nur die undankbare aufgabe giebt, über die gemeinheit der menschen nachzudenken, die ich schon vorher genügend kannte« (19. April 1726). Zunächst geht hieraus hervor, dass das gedicht Cadenus and Vanessa nicht, wie man bisher annahm, im jahre 1723, sondern erst 1726 gedruckt worden ist, und dass Swift es seit der abfassung nicht gesehen hatte. Der kavaliermässige ton, in dem Swift von dem ganzen verhältnis spricht, kann auf seinen stolz und jene eigenschaft, die Bolingbroke seine umgekehrte heuchelei« (inverted hypocrisy) nannte, zurückgeführt werden, aber es scheint doch wohl daraus hervorzugehen, dass das verhältnis kein platonisches und ideales war, wie die meisten biographen angenommen haben. Dieser ansicht scheint auch Chetwode gewesen zu sein, der in seinem letzten briefe, um Swift zu ärgern, noch einmal auf dasselbe an

spielt. Durch Swift's charakter ging eben bei aller mannhaftigkeit und grösse doch ein zug von brutalität und cynismus.

Was das öffentliche leben Swift's angeht, so hielt er sich während der ersten sechs jahre seines aufenthaltes in Irland ganz von der politik fern. >> Ich bin der einzige mann in diesem königreiche, schreibt er (2. September 1718), «der kein politiker ist. << « In der that waren die umstände auch wenig günstig. Der herzog von Ormond und Lord Bolingbroke waren des hochverrats angeklagt und nach Frankreich geflohen, der graf von Oxford schmachtete im strengsten gewahrsam im Tower. Die Tories wurden ihrer ehrenstellen und ämter beraubt, und jede post brachte nachrichten von verfolgungen und belästigungen der freunde Swift's. Die regierung fürchtete besonders jakobitische verschwörungen und umtriebe, nicht ohne grund, wie der aufstand des grafen von Mar und die landung des prätendenten in Schottland im jahre 1715 bewiesen. Swift selbst, der vertraute und die rechte hand der gestürzten minister, wurde verdächtigt, seine briefe geöffnet, und seine freiheit und sicherheit bedroht. Doch blieb er, schon als strammer Anglikaner, allen jakobitischen verschwörungen fern, während sein freund Chetwode allerdings in eine solche verwickelt gewesen zu sein scheint. Er leistete auch den geforderten »eid der abschwörung« und riet seinen freunden dazu, da das wort > gesetzlich bedeute nach den gegenwärtig geltenden gesetzen«, und jeder diesen gehorsam schuldig sei, vorausgesetzt, dass sie nicht gegen den glauben oder die moral verstiessen (29. April 1721).

Vom jahre 1720 an trat er wieder politisch auf, und zwar als vorkämpfer des geknechteten Irland, dessen leiden sein gerechtigkeitsgefühl und sein mitleid tief erregt hatten. Auf seinen häufigen reisen im lande sah er die entsetzliche armut und das elend der eingeborenen keltischen bevölkerung, die zu dieben und bettlern herabgesunken war, und die zunehmende verarmung der englischen kolonisten, deren handel und industrie durch ausfuhrverbote und zölle im interesse Englands systematisch vernichtet wurde. Hierüber schrieb er eine grosse anzahl politischer pamphlete und balladen, durch das feuer seiner entrüstung auch die gedrückten Iren zum widerstande entflammend. Die wichtigsten unter diesen schriften, von denen auch in diesen briefen die rede ist, sind der »>vorschlag nur irische fabrikate zu gebrauchen« (1720), eine abwehr gegen die englische handelspolitik und besonders » die briefe eines tuchJ. Hoops, Englische Studien. 29. 3.

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händlers«<, die von 1724 an erschienen und sich gegen die verleihung eines patentes für die prägung von kupfermünzen an einen gewissen Wood richteten. Wir hören, dass ein preis von 300 auf die entdeckung des verfassers innerhalb sechs monate gesetzt wurde, den aber keiner verdienen wollte, obgleich es allgemein bekannt war, dass Swift der verfasser der briefe sei. Swift, vorher so verhasst, wird der abgott des volkes; eine legende bildet sich um ihn, unzählige geschichten werden von ihm und seinem auftreten für das volkswohl erzählt, die er aber selbst als thörichte erfindungen bezeichnet (18. Januar 1725). Mitten während des sturmes, den er erregt hatte, zog er sich für einige monate in das in einsamer haide gelegene haus seines freundes dr. Sheridan zu Quilca zurück, wo er ländliche arbeiten vornahm, seinen finsteren gedanken nachhing und Gulliver's reisen verfasste.

Teils um dieses werk drucken zu lassen, teils um wieder fühlung mit seinen englischen freunden zu gewinnen, ging er im jahre 1726 nach England. Er wurde ausserordentlich gefeiert, am hofe der prinzessin von Wales mit auszeichnung empfangen und von dem premierminister Walpole über irische angelegenheiten zu rate gezogen. >> Ich würde gerne hier wohnen bleiben,< schreibt er (19. April 1721), »aber die unbequemlichkeit und die kosten, nur ein besucher zu sein, sind nicht so angenehm wie ein leidliches heim; und das aufheben, das die leute mit mir machen, gewährt mir weder befriedigung noch vergnügen.« Er fand, dass seine anschauungen sehr wenigen leuten mehr gefielen, und kehrte leshalb, wenn auch ungern, nach Irland zurück. Gulliver's reisen erschienen unterdessen und machten ungeheures aufsehen. » Was kapitän Gulliver angeht, schreibt er, so finde ich, dass sein buch in diesem königreich, das an ausgezeichneten beurteilern reich ist (ironisch zu verstehen!), sehr getadelt wird, aber in England, höre ich, hat es einen buchhändler fast reich genug gemacht, ein Aldermann zu sein« (14. Februar 1727). Er beklagt sich, dass es beim drucke verstümmelt sei, indem der verleger aus furcht vor verfolgung viele satirische anspielungen ausgelassen und gemildert habe. Im jahre 1727 ging Swift noch einmal nach London. Der tod des königs und die freundschaftlichen beziehungen zu dem hofe seines nachfolgers liessen ihn auf gunst und beförderung hoffen, und gar zu gerne hätte er Irland verlassen, das er als > einen schmutzigen, dunkelen winkel der welt, ein »elendes hundeloch und gefängnis « betrachtete. Aber er wurde enttäuscht.

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>> Wenn sie dachten, schreibt er nach seiner rückkehr an Chetwode (23. November 1727), »dass ich gunst bei hofe hätte, so irrten sie sich und waren falsch berichtet. Es verhält sich ganz anders, wenigstens was das ministerium angeht. Ich bin auch nie an den hof gegangen, ausser wenn man nach mir schickte und dann nicht immer. Bei seiner rückkehr fand Swift seine Stella schwer krank, sie starb im anfange des folgenden jahres und liess den einsamen, vergrämten mann noch einsamer und verbitterter zurück.

Während des grössten teiles des jahres 1729 weilt er in Market Hill bei seinem freunde Sir Arthur Acheson. Klagen über körperliche leiden, über die schlechtigkeit und bosheit der menschen, über die wachsende verarmung des landes und eigenen mangel an geld füllen die nächsten briefe aus. Dann ging die freundschaft auseinander, hauptsächlich wohl, wie so viele freundschaften, infolge einer weigerung Swift's, dem freunde, der sich verbaut hatte, mit einem darlehn auszuhelfen. Der letzte brief Swift's vom 8. Mai 1731 und die antwort Chetwode's enthalten vorwürfe, bissige anspielungen und anklagen..

So schliesst dieser briefwechsel, der zwar nicht viele neue thatsachen über das leben Swift's bringt und auch keineswegs an litterarischem werte den übrigen briefen Swift's an Stella, an Gay, Pope, Arbuthnot und Bolingbroke gleichsteht, der aber doch auf das leben und den charakter dieses merkwürdigen mannes und die verhältnisse, in denen er lebte, ein volleres und helleres licht wirft. Berlin, April 1899. Ph. Aronstein.

Fielding's Tom Thumb. Mit einleitung herausgegeben von Felix Lindner. (Englische textbibliothek herausgegeben von Johannes Hoops.) Heft 4. Berlin, Felber, 1899. VIII + 1II SS. 8°. Preis M. 1,60.

F. Lindner, der sich schon längere zeit eingehend mit den dramen Fielding's beschäftigt hat, bietet in dem vorliegenden buche eine kritische ausgabe der litterarisch-satirischen posse Tom Thumb, die sich, wenn sie uns auch als ein buchdrama wie etwa Tieck's Gestiefelter kater erscheint, doch auf der bühne geltung zu verschaffen gewusst hat. Man sieht leicht, dass dies nur durch ihren durchaus burlesken inhalt und durch die genaue bekanntschaft des Londoner theaterpublikums mit der heroischen tragödie nach Dryden's geschmack möglich war. Denn dem

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