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dass solche parallelstellen für irgend einen zusammenhang sprechen, doch meint sie mit recht, es bleibe da erst noch zu untersuchen, ob identität der autoren oder nachahmung oder nur zeitliche nähe des entstehens daraus gefolgert werden müsse. Aus der eigenart der altgermanischen dichterischen produktion, die ja in ganz anderem umfange als heute erlaubte reproduktion war, wobei dem dichter der ganze schatz von poetischen wörtern und formeln, von gedanken und gedankenverbindungen zur verfügung stand, ergiebt sich für B. die überzeugung, es könnten zwar »beim gebrauch solcher allgemeinen gedankenverbindungen natürlich kleine mannerisms vorkommen«, aber der einzige anhaltspunkt bei einer verfasserschaftsfrage könne nur der sein, »dass der eine dichter diese gedanken logischer und passender einführt als der andere, dass er beim auswählen aus dem ausdrucks vorrat, bei der anordnung der formeln mehr geist und geschmack zeigt und im bau seiner verse grössere glätte und vollendung, entsprechend einem besseren verständnis und einem feineren ohr, zu stande bringt, kurz, dass er als formaler künstler und darum in diesem falle als dichter höher steht als ein anderer«.

Verf. glaubt offenbar selbst nicht, in diesem verschiedenen verhalten der dichter ein absolut sicheres und einwandfreies kriterium gefunden zu haben; sie macht sich auf den einwurf gefasst, dass gefahr vorliege, in der beurteilung solcher dinge subjektiv zu verfahren, da das sprachgefühl für eine tote sprache naturgemäss viel weniger entwickelt sei als für die eigene lebende. Angesichts des lebhaften widerstreits der meinungen wird man sich in der that erstaunt fragen, woraus verf. die zuversichtlichkeit schöpft, mit der sie s. 62 anm. 1 behauptet: »So bleibt auch in der alten germanischen poesie trotz alles formelhaften im ausdruck und des mangels an originalität in den anschauungen doch ein etwas, das die werke der verschiedenen verfasser trennt und meines erachtens die werke Cynewulf's von Andreas und beide von Beowulf scharf und deutlich unterscheidet. < Aber selbst die möglichkeit zugegeben, dass sich ein sicheres urteil und ein zuverlässiges gefühl für solche stildifferenzen in den ae. dichtungen gewinnen lasse, so bleibt doch immer noch, ebenso gut als bei der von der verf. verworfenen methode, die frage bestehen, ob ein unterschied im stil, in der metrik, in der poetischen technik wirklich auch verschiedenheit der verfasser voraussetze, ob nicht vielmehr auch da die möglichkeit einer entwicklung des gleichen dichters zuzugeben sei. Ich fürchte,

es erheben sich auch gegen ihre argumente die von Brandl, Archiv f. d. st. n. spr. 100 geltend gemachten bedenken. Denn die fälle, wo ungeschickt angewandte entlehnungen aus einem älteren gedichte nachahmung durch einen an den ersten autor sich anlehnenden jüngeren dichter sicher beweisen, sind gewiss nicht zu häufig. B. glaubt eine solche stelle in Andreas 303 a landes ne locenra bēaga gegenüber Beow. 2995 landes and locenra beaga gefunden zu haben; hier fällt im Andreas der gebrauch des genitivs auf, während er im Beowulf vollständig am platze ist; da die übereinstimmung der beiden stellen nicht auf zufall beruhen könne, anklang der einen an die andere ganz unzweifelhaft sei, so bleibe keine andere erklärung übrig, als dass der Andreas-dichter in unbeholfener weise reminiscenzen aus dem Beowulf verwerthet habe; damit sei aber Identität der beiden ausgeschlossen. An mehreren anderen beispielen sucht vf. den unterschied ihrer betrachtungsweise gegenüber der bisher üblichen klarzumachen. So passe in der mit Andr. 763 ff. mehrfach zusammenstimmenden partie des Beowulf 2711 ff. die erwähnung des drachengiftes vorzüglich in den zusammenhang, während dieselbe im Andreas gar keinen sinn habe. Andreas 182 a earmlic ylda cwealm sei der plural ylda, da nur von einem einzigen menschen vorher die rede sei, gänzlich unberechtigt und verdanke seine anwendung offenbar nur der erinnerung an Crist 1000 a ermlic ylda gedrag, wo der plural keinen anstoss errege. Bei den wörtlich gleich lautenden versen Andr. 57 f. und Juliane 233 b f. sei zu beachten, dass im Andr. der satz damit sein ende finde, während in der Jul. ein vers mit variation folge, wodurch der stil ein ganz anderes gepräge erhalte.

Man sieht schon aus diesen proben, wie gewagt die schlüsse der verf. zum teil sind: während sie zuerst hervorhebt, dass alle dichter aus dem gemeinsamen formelschatz schöpfen, müssen nun auf einmal wörtliche übereinstimmungen zwischen zwei gedichten enge beziehungen zwischen denselben beweisen; die vorher zugestandene möglichkeit eines zufälligen zusammentreffens wird nun ausser acht gelassen. Ferner rechnet die verf. nicht genügend mit dem umstand, dass selbst guten dichtern nicht immer alles gleich gut gelingt, dass auch bei ihnen stimmung und schöpferische kraft einem wechsel unterworfen sind, der ganz erhebliche differenzen in der qualität ihrer werke zur folge hat. Endlich findet sie, wenigstens in einem teile der erwähnten beispiele, im Andreas fehler, wo keine vorhanden sind: And. 182 a wird sich der plural

ylda infolge eines wechsels der konstruktion nach dem sinn begreifen lassen und And. 57 f. passt mindestens ebenso gut in den zusammenhang als Juliane 233 b f., ja vielleicht noch besser. Dass der stil der Juliane durch den zusatz der variation einen anderen charakter erhält, ist freilich richtig, aber darauf kommt es zunächst für die verf. nicht an. Mit der betonung dieses gegensatzes springt sie unvermittelt auf ein anderes kriterium über, ohne auch nur den versuch einer konsequenten anwendung des ersten gemacht zu haben; während man nach allen vorhergehenden ausführungen eine genaue abwägung aller der mit andern gedichten übereinstimmenden stellen des Andreas unter dem gesichtspunkt der besseren einfügung in den zusammenhang erwartet, bricht verf. mit der kurzen anführung jener wenigen beispiele das zweite kapitel ab und wendet sich im dritten, s. 66—86, einer besprechung des stilistischen mittels der variation zu, das von verschiedenen dichtern in verschiedener weise verwendet wird.

Der gedankengang in diesem dritten kapitel ist ungefähr folgender, In den mustergültigen erzeugnissen der ae. litteratur (was ist mustergültig? eine einigung scheint auch für die ästhetische würdigung der ae. dichtungen noch in weiter ferne zu liegen; gerade über den poetischen wert des Andreas lauten ja die urteile so verschieden) wird die variation sinngemäss angewandt, d. h. die wichtigsten begriffe und gedanken werden in anderen worten wiederholt. Es zeigt sich dabei das bestreben, diese variationen so abwechslungsvoll als möglich zu gestalten; hat z. b. eine variation des ersten halbverses die form verb + nomen, so wird die des folgenden die umgekehrte anordnung zeigen u. s. w. Die variationen und schweren formeln finden ihren platz meistens im ersten halbvers; dies hängt zusammen mit dem deutlich warnehmbaren prinzip, neue gedanken oder sätze mit dem zweiten halbvers anfangen, satz- und versende nicht zusammenfallen zu lassen. Es ergiebt sich daraus für den vortrag die regel, dass der bau der sätze dem typus crescendo decrescendo entspricht.

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Die auf niedrigerer künstlerischer stufe stehenden dichtungen weichen von diesen grundsätzen sehr oft ab. Zu den häufigsten fehlern sind zu rechnen der mangel einer variation, wodurch die auffassung eines schweren begriffs nicht genügend erleichtert wird; die zu grosse häufung von nominalen variationen direkt hintereinander; der häufige zusammenfall von satz- und versschluss;

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die unterbringung neuer gedanken am ende des satzes; endlich die stolpernde, unebene ineinanderfügung der satzteile.

Auf eine diese punkte berücksichtigende, daneben aber auch das im zweiten kapitel behandelte kriterium verwertende prüfung der ersten 160 verse des Andreas begründet B. das urteil, dass der stil des Andreas schwerfällig, geschmacklos, eintönig, unbeholfen, uneben sei, d. h. alle jene fehler enthalte, von denen die guten erzeugnisse der ae. dichtkunst, unter ihnen die werke Cynewulf's, sich frei erweisen. Die verf. schliesst den ersten teil ihrer untersuchung eine kritik der übrigen teile des gedichtes, zu welcher sie das material vollständig gesammelt hat, soll später folgen mit dem satze: »Schon aus dem beendeten teil scheint mir mit sicherheit hervorzugehen, dass der And. nicht ein werk des dichters Cynewulf ist, denn es spricht nichts positives dafür, und es spricht vieles und wichtiges dagegen. Die parallelstellen, welche öfters als beweis für Cynewulf's autorschaft herangezogen wurden, sind, wie diese untersuchung zeigt, ein starker beweis für die gegenannahme; der stil, verglichen mit dem stil der echt Cynewulf'schen werke, zeigt mannigfaltige unterschiede, zugleich subtil und auffällig, und spricht für eine ganz andere dichterische individualität. «

Dass unterschiede im stil des Andreas und der Cynewulf'schen dichtungen bestehen, hat verf. unzweifelhaft nachgewiesen. Ihre argumentation wäre vielleicht noch überzeugender gewesen, wenn nicht hin und wieder die unparteilichkeit des verfahrens unter dem offenbaren bestreben gelitten hätte, am stil des Andreas nichts als unvollkommenheiten zu entdecken, die gleichen bei Cynewulf vorkommenden fehler aber abzuschwächen und nachsichtig zu entschuldigen, und wenn ferner die verf. den ganz bedeutenden und auffallenden übereinstimmungen mit Cynewulf'schen werken, namentlich Juliana (vielleicht auch Guthlac ?), eine gleich gründliche erörterung gewidmet hätte wie den abweichungen. Nach dem weiter oben gesagten halte ich aber diese keineswegs neue, nur im einzelnen besser gestützte feststellung der unterschiede im stil allein nicht für ausreichend, um damit einen negativen entscheid über die frage, ob der Andreas zu den Cynewulf'schen werken gezählt werden dürfe oder nicht, zu begründen. Dazu sind merkmale sprachlicher natur, wie die von Sievers, Beitr. 10, 483, gegebene konstatierung dialektischer unterschiede zwischen And, und Cynewulf, besser, vielleicht ausschliesslich geeignet. Für die geplante fortJ. Hoops, Englische Studien. 29. 1.

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setzung der untersuchung würde sich jedenfalls eine schärfere trennung der beiden von der verf. zur anwendung gebrachten kriterien und stärkere betonung des ersten empfehlen.

Basel, 16. April 1900.

Gustav Binz.

Andreas: The Legend of St. Andrew translated from the Old English by Robert Kilburn Root (Yale Studies in English, Albert S. Cook, editor. VII). New York, Henry Holt & Co., 1899. XIII, 58 ss. 8°. Preis $ 0,50.

Da der Andreas, der bisher nur in der wörtlichen und nicht immer zutreffenden, heute vergriffenen übersetzung von Kemble dem englischen publikum zugänglich war, nach Root's ansicht als eines der besten erzeugnisse der ae. dichtkunst besonders geeignet ist, zur ausbreitung des interesses für diese beizutragen, hat verf. eine neue übersetzung desselben unternommen. Wie verschiedene andere vor ihm so erachtet auch er den blankvers mit gelegentlicher anwendung des stabreimes als die passendste form für eine solche übertragung; die genaue nachahmung des allitterierenden versmasses verwirft er als ein für modernes empfinden ungeniessbares zwitterding, bei dem über der ängstlichen nachbildung der äusseren form des originals die künstlerische wirkung desselben völlig verloren zu gehen pflegt. Mit vollem recht vermeidet er deshalb auch die verwendung von ganz veralteten, dem nicht philologisch geschulten leser unverständlichen ausdrücken und wortzusammensetzungen. Das schliesst natürlich eine massvolle, schon zum charakter der poetischen sprache gegenüber der prosaischen gehörige aufnahme von archaismen nicht aus; fast selbstverständlich dient ihm als vorbild in dieser hinsicht das markige, edle englisch der bibel. Ueberall bestrebt, den sinn des originals möglichst getreu wiederzugeben, hat der verf. sich doch freiheiten erlaubt, wo ihm die lesbarkeit und verständlichkeit dies zu verlangen schien; er hat sich also nicht gescheut, eine passive konstruktion in eine active, ein zusammengesetztes adjektiv in einen ganzen satz zu verwandeln. Die meisten abweichungen im stil zeigt er bei der wiedergabe der variationen; eine genaue reproduktion des originals hätte auf den heutigen leser einen unruhigeren, zerrisseneren eindruck gemacht, als ihn der kenner des ae. bei der lectüre der dichtung empfängt; durch auslassungen, umstellungen,

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