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VORREDE.

Wenn ich das entsprossene reis deutscher mythologie jetzt schon ins zweite laub liefern kann, so geschieht es mit desto stärkerer zuversicht auf sein ungehemmt vorschreitendes wachsthum. nachdem die erste schüchternheit einmal überwunden war, trafen suchen und finden schneller zusammen, und die thatsachen gegen den verzärtelten zweifel an der statthaftigkeit wissenschaftlicher entdeckungen auf einem öde geglaubten felde erhoben sich allenthalben, so dafs sie klecken werden. Nun habe ich haft und band gewonnen, manchen strich gezogen, manche falte gelegt, und mich doch gehütet es auf einen schlufs der ergebnisse abzusehn; denn wer mag das, solange bald der stof gebricht, bald die hände des herbeiholens voll sind? ich will wol deuten was ich kann, aber ich kann lange nicht alles deuten was ich will.

Die critik, der es auf fremden gebieten oft glänzend gelingt, hatte sich an dem heimatlichen alterthum versündigt und ihre meisten mittel misbraucht. durch eines Römers unsterbliche schrift war ein morgenroth in die geschichte Deutschlands gestellt worden, um das uns andere völker zu beneiden haben; nicht genug dafs man die echtheit des buchs (als wäre das gesamte mittelalter solcher hervorbringungen fähig gewesen) verdächtigte, wurden seine aus edler wahrheitsliebe entsprungnen meldungen herunter gezogen und die unsern vorfahren darin beigelegten götter aus aufgedrungnen römischen vorstellungen hergeleitet. statt den gehalt so kostbarer angaben mit den sonst zerstreuten überbleibseln unsers heidenthums emsig zu vergleichen, hatte man nichts angelegneres als auch den werth dieser wenigen trümmer zu schmälern und sie für ersonnen, erborgt und abgeschmackt zu erklären. was von besondern göttern unangetastet blieb, pflegte man, um ihrer nur bald los zu werden, als gallische oder slavische zu betrachten, wie landstreicher auf schub weiter geschickt werden, mag der nachbar zusehn, was er mit dem gesindel anfange. Die nordische edda, deren anlage, gestalt und gehalt entlegenste vorzeit athmet, deren lieder ganz anders an unser

herz greifen als die im überschwank bewunderte ossianische dichtung, brachte man auf christlichen und angelsächsischen einfluss zurück, übersah blind oder geflissentlich ihren zusammenhang mit den spuren des innern deutschen alterthums, und meinte sie zu, den ammen und spinnerinnen zu verweisen, deren blofser name allen mit dem wesen der volksdichtung unvertrauten den tiefsten ton der verachtung anzugeben schien. sie haben dafür rache genommen, die nornen und spindelträgerinnen.

Man darf sagen, den wirklichen bestand dieser mythologie leugnen, heifse ungefähr auch das hohe alter und die andauer unsrer sprache in abrede stellen: jedem volk ist glaube an götter nothwendig wie die sprache. niemand kann aus abgang oder armut an denkmälern folgern, dafs unsre vorfahren in bestimmter zeit ihre sprache nicht geübt, nicht fortgepflanzt hatten; bedachtlos wird mangel oder sparsamkeit der nachrichten vorgeschützt, um unser der bekehrung vorausgegangnes heidenthum gleichsam alles seines inhalts zu berauben. die geschichte lehrt in der sprache, je weiter hinauf wir ihr zu folgen vermögen, sinnliche vollendung gewahren, die mit dem steigen der bildung sinkt; da die formen des dreizehnten jahrhunderts den heutigen überlegen sind, die des neunten und fünften noch höhere stufe einnehmen, darf vorausgesetzt werden, dafs ganz unbezeugt gebliebne deutsche völkerschaften der drei ersten jahrhunderte unserer zeitrechnung selbst den gothischen sprachstand hinter sich werden gelassen haben. gelten also in der sprache schlüsse auf das was abhanden ist, zuckt ihre gegenwärtige beschaffenheit noch weit zurück in die ältere und älteste; so mufs auch in der mythologie ein ähnliches verfahren sich rechtfertigen und aus ihrem versiegenden wasser die quelle, aus den stehngebliebnen sümpfen der alte strom geahnt werden. die völker hängen und halten fest am hergebrachten, wir werden ihre überlieferung, ihren aberglauben niemals fassen, wenn wir ihm nicht ein bett noch auf heidnischem grund und boden unterbreiten.

Diese verhältnisse bestätigen sich auch durch die bewandtnis, die es um poesie und sage hat. war den Heiden schon eine feingegliederte sprache eigen und wird ihnen eine fülle von glaubensmythen zugestanden, so kann es nicht fehlen, dafs in sie lieder und dichtungen eingriffen und sich den gebräuchen verwebten. das versichert uns schon Tacitus, und die zeugnisse bei Jornandes und Eginhart lassen auch für den verlauf der späteren zeit

nicht den geringsten zweifel übrig. die uralten gesänge auf Tuisco, Mannus und dessen stammsöhne hallen lange nach in den genealogien von Ingo, Iscio, Hermino, wie der Hygelâc des Beovulfliedes, den eine eben erst emportauchende sage des zehnten jh. Huglacus magnus nennt, zum beweis dafs auch die dichtung begegnen könne der geschichte, wiedergefunden ist im Chochilaichus des Gregor von Tours. Wenn im zwölften, dreizehnten jahrhundert die einheimische heldensage zum letztenmal aufleuchtete, mufs sie doch lange vorher fortgesungen worden sein, wie das gerettete bruchstück von Hildebrand oder die lateinischen fassungen des Rudlieb und Waltharius klar machen, und ganz verschollen sind die niederdeutschen lieder und sagen, aus welchen Vilkinasaga hervorgieng, die sie widerspiegelt. ohne grund und noth hat man auch die erweckung der höfischen dichtkunst auf die kreuzzüge zurückgeführt; sollen übergänge aus dem morgenland angenommen werden, so lassen sich solche bequemer von dem ruhigeren, älteren verkehr der Gothen und Nordmänner mit dem griechischen reiche leiten, wenn es nicht gerathen ist fast alle ähnlichkeiten, die uns überraschen, auf rechnung einer gründlichen urgemeinschaft der europäischen völker insgemein zu bringen, deren mächtige wirkung gleich stark in sprache, sage und religion lange zeiten hindurch gespürt wird.

Mir widersteht die hoffärtige ansicht, das leben ganzer jahrhunderte sei durchdrungen gewesen von dumpfer, unerfreuender barbarei; schon der liebreichen güte gottes wäre das entgegen, der allen zeiten seine sonne leuchten liefs, und den menschen, wie er sie ausgerüstet hatte mit gaben des leibs und der seele, bewustsein einer höheren lenkung eingofs: in alle, auch die verschriensten weltalter wird ein segen von glück und heil gefallen sein, der edelgearteten völkern ihre sitte und ihr recht bewahrte. Man braucht nur die milde und tüchtige gesinnung unseres höheren alterthums in der reinheit and kraft der volksgesetze, oder die angestammte fähigkeit des dreizehnten jahrhunderts in seinen sprachgewaltigen, beseelten dichtungen zu empfinden, um für sage und mythe, die in ihnen noch wurzel geschlagen hatten, gerecht gestimmt zu sein.

Diese gerechtigkeit mufs aber der untersuchung im grofsen wie im kleinen angedeihen. die naturforscher bezeugen uns, dafs das kleinste auch das gröfste mit erweisen kann, und die ursache ist einzusehn, warum in unserm alterthum, während seine hauptzüge getilgt wurden, kleinliche und scheinbar zufällige geborgen blieben. leise ana

logien, wie die zwischen Bregovine, Freávine und gotes friunt (s. 1203), lasse ich mir nicht gern vorbeigehn.

Meinem anfänglichen vorsatz treu habe ich die nordische mythologie auch diesmal nur zum einschlag, nicht zum zettel genommen, sie liegt uns nah wie die nordische sprache, deren länger ungestört gebliebne aufrechthaltung reichen blick in die natur der deutschen gestattet, ohne dafs beide vollständig in einander aufgiengen, oder dafs einzelne tugenden der deutschen sprache und die beiden zusammen überlegne kraft der gothischen könnten geleugnet werden. auch die nordischen götterverhältnisse dürfen die deutschen vielfach läutern und vervollständigen, aber nicht alleinige richtschnur für sie geben, da sich, wie in der sprache, einzelne abweichungen des deutschen von dem nordischen typus ergeben, die jedem derselben bald zum vorzug bald zum nachtheil gereichen. hätte ich den vollen nordischen reichthum der untersuchung zum grund gelegt, so würde von ihm die deutsche besonderheit gefährlich überwuchert worden sein, die vielmehr aus sich selbst entfaltet werden soll und zwar jenem oft zusagt, in vielem aber auch gegenüber steht. Die lage der dinge scheint also die zu sein, dafs bei fortschreitendem betrieb wir der nordischen grenze entgegen rücken und endlich der punct erscheinen wird, auf dem der wall zu durchstechen ist und beide mythologien zusammenrinnen können in ein grösseres ganzes. sind gegenwärtig schon mehr anknüpfungen statthaft geworden, so haben sich auch bedeutendere verschiedenheiten erwiesen. den nordischen alterthumsforschern, hoffe ich, wird mein verfahren gerade willkommen sein: wie wir ihnen für empfangnes gern wieder geben, sollen sie nicht allein geben sondern auch empfangen. denkmäler sind ärmlicher aber älter, die ihrigen jünger und reiner; zweierlei festzuhalten, daran war es hier gelegen: dafs die nordische mythologie echt sei, folglich auch die deutsche, und dafs die deutsche alt sei, folglich auch die nordische.

unsere

Auf uns ist keine edda gebracht worden und kein einziger schriftsteller unsrer vorzeit hat es versucht die überreste des heidnischen glaubens zu sammeln. Wer unter den Christen auch noch deutsche milch gesogen hatte, wurde in römischer schule bald den erinnerungen des vaterlandes abgewandt und trachtete die letzten eindrücke des verhafsten heidenthums zu tilgen statt zu bewahren. Jornandes und Paulus Diaconus, denen gewis noch viel heidnische sagen zugänglich waren, machten eingeschränkten

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