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seines gedichtes etwa so schliesse: Wer annimmt, dass Gott die welt regiere, muss im hinblick auf das übel in der welt annehmen, dass er sie schlecht regiert; daher ist anzunehmen, dass er sie gar nicht regiert. Pope sagt: Gott regiert die welt gut, weil er Gott ist, und wer das annimmt, muss annehmen, dass das übel in der welt von der guten weltregierung Gottes bedingt werde. Essay on man IV 35 ff. sagt er:

>Remember, man, the Universal Cause Acts not by partial, but by general laws'; And makes what happiness we justly call, Subsist, not in the good of one, but all. « Und Essay on man IV 113 f. heisst es:

>God sends not ill, if rightly understood,

Or partial ill is universal good, . . .«

Die durchführung dieser gedanken, wie sie von Pope im IV. briefe des Essay on man gegeben wird, konnte freilich denkern von der tiefe und dem scharfsinn eines Spinoza und eines Kant nicht genügen, aber das that ihrer popularität und ihrer raschen verbreitung seiner zeit nichts weniger als abbruch, ebenso wenig wie der umstand, dass ein gelehrter dominikaner leicht ein paar dutzend erzketzereien darin hatte finden können, oder der, dass seine ausführungen, wenn sie sich in einer philosophischen examenarbeit von heute darstellten, ihm nicht mit unrecht einen tadel der disposition seines elaborats würden zugezogen haben.

Wenn man aber Pope's Universal prayer das deistengebet genannt hat, so war das angesichts seiner äusserungen über das verhältnis Gottes zur welt von seinen zeitgenossen ungerecht, und es wäre von uns unrichtig, ihn zu der deistischen gruppe der aufklärer zu zählen, weil dadurch seine stellung zu dem geiste seiner zeit falsch und ungenau bezeichnet werden würde. Es kann vielmehr kein zweifel darüber herrschen, dass Pope in seinen vorstellungen von Gott und dessen beziehungen zur welt sich bei nicht unbeträchtlichen abweichungen in einzelheiten am nächsten mit der denkart der späterhin besonders in Deutschland vorwaltenden aufklärer berührt, die sich Gott als das von der vernunft des menschen begreifliche höchste persönliche wesen dachten. Es liegt kein grund vor, zu bestreiten, dass er sich in den hauptsachen mit Nathan's des weisen vernunftreligion ganz einverstanden erklärt haben würde. Jeden

falls hat er durch seinen Essay on man dem poetischen glaubensbekenntnisse Lessing's den boden bereiten helfen und verdankt seinen ruhm in Deutschland wesentlich der geistesverwandtschaft mit den dort ein menschenalter später führenden

männern.

Weniger deutlich, weil weniger einfach ist Pope's verhältnis zur aufklärung in der lehre von der moralischen und intellectuellen natur des menschen, gerade weil er in diesem capitel recht eingehende betrachtungen anstellt, und weil hier der satirische dichter neben dem philosophen das wort ergreift.

Was zunächst den fundamentalbegriff aller moralphilosophie anlangt, den namentlich die gesamte deutsche aufklärung be tonte, die moralische zurechnungsfähigkeit des mit freiem willen ausgestatteten menschen, so findet sich allerdings im Essay on man eine stelle, die an Schiller's Und die tugend, sie ist kein leerer schall< erinnert. Dort (II 211 ff.) heisst es:

>>Fools! who from hence into the notion fall,

That vice or virtue there is none at all.

If white and black blend, soften and unite

A thousand ways, is there no black or white?<

Aber in welchem zusammenhange sagt das der dichter? Er ist nach dem, was er vorher gesagt hat, genötigt, dem leser zu versichern, er wolle durchaus nicht lehren, dass gut und böse eigentlich nichts seien, denn ganz so klingen die worte, die vorangehen. Selbstliebe und vernunft sind die mo mente, welche alle handlungen des menschen bedingen. Sehen wir genau zu, so fasst Pope die selbstliebe als das begehrungsvermögen überhaupt; die vernunft ist ihm einfach der verstand, das denkvermögen. Einen andern antrieb zum handeln, einen andern inhalt des willens als selbstliebe kennt er nicht, und der mensch handelt deshalb nicht wie eine bestie oder ein teufel, weil er denken kann und einsieht, dass er mit verständigem handeln am besten fährt. So ist auch die menschenliebe und der geselligkeitstrieb, wie wir schon an einer andern stelle') gesehen haben, nur eine durch die vernunft modifizierte selbstliebe, und die sittlichkeit beschränkt sich auf die eindämmung und zähmung des egoismus und des glückseligkeitstriebes durch klugheit.

Essay on man III 269 ff., citirt oben seite 39.

Wir sehen den philosophierenden dichter auf dem gebiete der moral in einem widerspruch mit sich selbst geraten, der ihm allerdings selbst wenig kummer gemacht und auch in den augen seiner zeitgenossen nicht viel geschadet zu haben scheint, wenn er auch hie und da bemerkt worden ist, und der sich, wie manches auffällige, aus seinem charakter und seinen persönlichen verhältnissen wohl erklären lässt. Auf der einen seite weiss er nicht genug zu betonen, wie sehr die grenzen zwischen gut und böse, tugend und laster verschwimmen, und zeigt sich bereit, die fehler der menschen aus ihren natürlichen anlagen und den empfangenen einwirkungen zu erklären, so dass das mass der verantwortlichkeit sich auf ein minimum beschränkt. Anders aber erscheint sein moralsystem, wenn er die handlungsweise seiner feinde analysiert und auf ihre motive zurückführt. Mit dem tout comprendre c'est tout pardonner des philosophen kann eben der satirische dichter nicht viel anfangen, denn woher nimmt er die berechtigung, die fehler seiner feinde anzugreifen, wenn er sie erklärlich und deshalb entschuldbar findet? Daran denkt freilich der satiriker Pope gar nicht; bei ihm verschwindet jede milde in der beurteilung; die gründe, aus denen man ihn tadelt oder angreift, sind nicht nur nicht harmlos, sondern meist moralisch abscheulich. Bestechlichkeit, neid, ungerechtigkeit, gewissenlosigkeit, ehrlosigkeit, wogegen er selbst in glänzendem lichte erscheint und alles nur aus wahrheitsliebe und sonst den edelsten beweggründen und absichten sagt und thut. Es sei ferne von uns, ihn zu beschuldigen, er habe die grosse menge des publikums, besonders des vornehmen, durch milde der menschenbeurteilung im allgemeinen gewinnen wollen, sich aber für die auserwählten, auf die er die schale seines zornes ausgiessen wollte, ein anderes system zurechtgemacht, aber wir können seine widersacher, namentlich die klügeren derselben unter der katholischen und protestantischen geistlichkeit, die merkten, wie gering er von ihnen und ihrer sache dachte, nicht allzusehr tadeln, wenn sie auf solche gedanken verfielen. Was Pope's ansichten über die intellektuelle natur des menschen anlangt, so hat er von dem masse des verstandes der überwiegenden mehrheit seiner nebenmenschen keine sehr hohe meinung; das ist aber wohl bei einem sehr begabten und geistvollen manne nur ganz natür

J. Hoops, Englische Studien. 29. 1.

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lich, während nicht weiter hervorragende geister nur durch be sonders günstige gelegenheit, z. b. durch jahrelange thätigkeit als ärzte oder pädagogen, sich gewöhnen, einen ausserordentlich bescheidenen massstab an die intelligenz der menschen anzulegen. Die wenig schmeichelhafte anrede fool ist bei Pope sehr gebräuchlich, wenn er sich an die menschheit im ganzen oder an den menschen an sich wendet. Auch ist der begriff der narrheit bei ihm aus reicher erfahrung geschöpft und frei in verschiedene arten und unterarten gegliedert. Die glänzendsten abschnitte in seinen satirischen gedichten sind die, wo er die arten der narrheit als geiz und verschwendung, eitelkeit, geschmacklosigkeit, sammelwut, launenhaftigkeit u. s. w. anschaulich und witzig schildert. Auch hier, so sehr er auf eigenen wegen geht und sich mit darlegung von allgemeinen regeln nicht viel aufhält, hat er seine berührungspunkte mit dem zeitgeiste, namentlich indem er den gesunden sinn, gesunden menschenverstand im weitesten sinne (good sense) der mannigfaltigen menschlichen thorheit entgegenstellt. Bezeichnend für den Engländer ist die vorliebe, mit der er auf die beziehungen des gebildeten oder sich gebildet dünkenden menschen zum gelde eingeht, bei dessen erwerbung er sich, wenn er auch oft vom pelf (schund) redet, sehr praktisch, bei dessen verwendung er sich musterhaft gezeigt hat.

In genauer zu bestimmende beziehungen tritt Pope zu einem andern hauptpunkte, der in der aufklärungszeit mit im vordergrunde des interesses stand, nämlich zu der lehre von der fortdauer der menschlichen persönlichkeit nach dem tode. Man kann nicht sagen, dass die stellung, welche er zu dieser seit jahrtausenden die menschheit beschäftigenden frage ein nimmt, viel anziehendes hätte. Wenn wir Deutschen nehr nationale eitelkeit besässen, so könnten wir im hinblick auf das, was unsere aufklärer darüber vorgebracht haben, uns sehr vortrefflich dünken im vergleich zu den berühmtesten vertretern dieser richtung unter den Engländern. Denn mag man auch den ansichten Lessing's, Mendelssohn's und Kant's weder nach ihrem inhalte noch nach ihrer begründung beistimmen, man muss doch den ernst, mit dem diese männer die sache auf fassten, und die tiefe ihrer gedanken anerkennen.

Pope's mehrfach deutlich genug ausgesprochene grundansicht ist, dass wir nur von dem menschen im diesseits etwas

wissen, dass das menschliche erdenleben für sich allein als eine abgeschlossene sache zu betrachten ist, dass wir über das jenseits ganz im dunkeln tappen. So sicher nun auch hieraus der schluss zu ziehen wäre, dass wir das jenseitige leben in rücksicht auf die beweggründe unserer handlungen und unser urteil über die natur und die bestimmung der menschen gänzlich ausser der rechnung zu lassen hätten, so gewiss wird doch jeder kenner Pope's annehmen, dass er diesen schluss nicht ausdrücklich gezogen haben wird. Das hatte er auch gar nicht nötig; um seinen gedanken eingang zu verschaffen, brauchte er nur nicht das gegenteil zu sagen. Pope wäre auch nicht Pope gewesen, wenn er anders als gelegentlich und im vorbei. gehen auf die in rede stehende sache zu sprechen gekommen wäre. Er thut dies auch wirklich, und die wenigen stellen, wo er der unsterblichkeit der seele erwähnt, sind so merkwürdig und in verschiedener hinsicht so charakteristisch, dass es sich verlohnt, sie etwas genauer zu betrachten.

Der dritte abschnitt des ersten briefes des Essay on man hebt mit dem gedanken an, dass dem menschen zu seinem glücke die kenntnis eines jenseitigen zustandes versagt sei. Von v. 91 an heisst es dann weiter:

>Hope humbly then; with trembling pinious soar;
Wait the great techer death, and God adore.
What future bliss he gives not thee to know,
But gives that hope to be thy blessing now.
Hope springs eternal in the human breast;
Man never is, bud always to be blessed.
The soul, uneasy, and confined from home,.
Rests and expatiates in a life to come.<<

Die letzten worte dieser schönen stelle scheinen in der that keinen zweifel daran übrig zu lassen, dass Pope der menschlichen seele nicht allein unsterblichkeit zuschreibt, sondern sogar ihr eigentliches vaterland in das jenseits verlegt. Der scharf nachdenkende leser wird nicht wenig überrascht durch dieses bekenntnis der lehre, die, schon vor Plato vorhanden, doch von diesem am geistreichsten vorgetragen, von philosophen und theologen mit dem namen präexistenzianismus bezeichnet wird. Ist der leser aber auch etwas philologe und fragt auch bei schönen und erhabenen worten eines ihm vor

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