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Es liegt scheinbar nahe, Pope's berühmten ausspruch, dass das eigentliche studium der menschheit der mensch selbst sei1), zum ausgangspunkte jeder erörterung über seine weltansicht zu machen. Dies ist auch insofern durchaus berechtigt, als Pope in seinem hauptwerk, das er bescheiden einen versuch) über den menschen nennt, sich durchaus und ausdrücklich auf den menschen als gegenstand seiner betrachtungen und untersuchungen zu beschränken behauptet. Denn das studium, das sich auf den menschen richtet, ist natürlich durchaus nicht in dem sinne zu verstehen, als ob etwa die wissenschaft, die wir heute anthropologie nennen, die lösung der in dem berühmten ausspruche angedeuteten aufgabe darstellte. Pope will menschenkenntnis lehren und seine zeitgenossen zum streben nach dieser anregen. Er bewegt sich, wo er von der erkenntnis unsrer geistigen und sittlichen natur, von dem einflusse der äussern verhältnisse auf die entwicklung der charaktere und dergleichen redet, ganz in dem gedankenkreise der französischen moralisten, deren bedeutendster, Rochefoucauld, auch in England sehr bewundert wurde. Aber das programm Pope's erweitert sich sehr bald so, dass in seine erörterung die wichtigsten fragen, welche überhaupt den menschlichen geist beschäftigen, hineingezogen werden: gott, das weltganze, dessen zusammenhang, die freiheit des menschlichen willens, die unsterblichkeit der seele, die lehre vom übel und vom glück; kurz, der begriff der menschenkenntnis wird zu dem, was man damals mit dem ausdrucke metaphysik und >>moralphilosophie« bezeichnete. Eben deswegen aber haben wir hier Pope's stellung als moralist, d. h. als lehrer der auf erfahrung beruhenden menschenkenntnis, nicht allzu sehr zu betonen. Wenn es sich darum handelt, das, was ihn gross und berühmt gemacht hat, seine bedeutung in der geschichte der aufklärung, scharf zu erkennen, haben nicht seine ansichten von der geistigen und namentlich der sittlichen natur des menschen in den vordergrund zu treten, sondern die negative seite seiner weltansicht, der gegensatz gegen die überlieferten ansichten und dogmen, die er nicht etwa immer bestritt, sondern

1) »The proper study of mankind is man.« E. o. m. II, 2.

2) Das wort essay, welches heute schlechthin eine abhandlung bedeutet, hatte damals noch denselben sinn wie das englische attempt heute.

meist nur aus seiner weltanschauung ausschaltete und durch gelegentliche oder scheinbar gelegentliche ausführungen untergrub und zersetzte. So sehr Pope den freidenker Toland und seine geistesverwandten zu verabscheuen scheint, so liegt doch seine historische bedeutung in den gedankengruppen, die nach jener seite sich neigen. Ein freidenker im engeren und schroffen sinne war Pope nicht, aber einer der einflussreichsten aufklärer, und daher müssen wir seine ansichten von dem gesichtspunkte aus betrachten, von dem aus ihr gegensatz gegen das bestehende am deutlichsten wird. Somit würden wir das recht haben, mit der frage, ob Pope ein katholik im vollen sinne des wortes gewesen sei, zu beginnen, auch wenn er nicht selbst, wie sogleich gezeigt werden wird, dies von sich zu behaupten unternommen hätte.

Um Pope's stellung zu seiner eigenen, der römisch-katholischen kirche, im rechten lichte zu erblicken, sei eine bemerkung über die lage der katholischen geistlichkeit in seinem vaterlande gestattet. Die härte der englischen staatsregierung erlaubte den katholischen geistlichen zu anfang des achtzehnten jahrhunderts nur eine wirksamkeit als hauskapläne vornehmer familien, an die sich andere zu religiösen zwecken anschliessen durften. Man kann sich leicht vorstellen, dass in folge dieser gewiss sehr klug ausgedachten massregel von einer herrschenden und imponirenden stellung der geistlichkeit katholischen laien gegenüber nicht die rede sein konnte. Die gedrückten und von der mehrheit ihrer landsleute mit dem grössten misstrauen angesehenen männer, denen es unmöglich war, in der guten gesellschaft eine rolle zu spielen, mussten sehr zufrieden sein, wenn die katholischen Engländer im allgemeinen und äusserlich standhaft zu ihrer kirche hielten und gegebenenfalls farbe bekannten; eine massgebende einwirkung auf das geistige leben war ausgeschlossen, ein druck, wie er in katholischen ländern ausgeübt wurde, undenkbar.

Jedenfalls wäre Pope mit seinem harten tadel verschiedener einrichtungen und gebräuche der römischen kirche in Frankreich, Italien und in den katholischen deutschen staaten sehr übel angekommen. Er hat vom mönchstum eine sehr geringe meinung, er spricht unehrerbietig vom rosenkranze, von päpsten und concilien; das mittelalter, die blütezeit des papstJ. Hoops, Englische Studien. 29. 1.

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tums ist ihm eine zeit der barbarei und unwissenheit 1). Aber das sind einzelheiten, und viel wichtiger erscheinen seine äusserungen über confessionelles kirchentum überhaupt. Hier sieht man auch, wie er bei etwaigem anstosse, den er erregte, auf seine weise auszuweichen wusste. Ein beispiel mag sein verfahren anschaulich machen.

Er sagt in seinen Imitations of Horace, sat. I, v. 63 ff.:
>>My head and heart thus flowing through my quill,
Verse man or prose-man, term me which you will,
Papist or Protestant, or both between,

Like good Erasmus, in an honest mean,

In moderation placing all my glory,

While Tories call me Whig, and Whigs a Tory.<<

Eine stelle aus einem briefe Pope's, wo er auf diese äusserung zurückkommt, zeigt, wie er sich gegen vorwürfe, die ihm von seiten kirchlich gesinnter gemacht wurden, verteidigte. Er schreibt an Caryll (1732 oder 1733): >You will smile to hear that one or two good priests were gravelled at my saying in the last thing 'Term me what you will, Papist or Protestant etc.' not seeing so plain a meaning as that an honest man and a good Catholic might be indifferent to what the world called him, while he knew his own religion and his own integrity.<

Man sieht viel deutlicher als den so klaren sinn«, dass Pope nach dem grundsatze Si fecisti, nega verfährt; denn der vergleich mit Erasmus, und dass er sich mit klaren worten für den mittelweg erklärt, schliesst seine nachträgliche deutung vollständig aus.

Eine andere stelle verwandten inhalts mag hier noch ihren platz finden, weil sie in anderer beziehung als die eben angeführte interessant ist.

Im Essay on man IV 135 heisst es:

The good must merit God's peculiar care;
But who, but God, can tell us who they are?
One thinks on Calvin heav'n's own Spirit fell;
Another deems him instrument of hell;

If Calvin feel heav'n's blessing, or its rod

This cries there is, and that, there is no God.<<

1) Derartige stellen sind: Essay on criticism v. 687 ff., besonders 692. Ferner: Rape of the lock I 30. Essay on man II 280, III 83 f. Dunciad III 101-112. Moral Essays VII 11 ff.

Wir wissen zufällig, von wo aus auf unsern dichter, um seine eigenen worte zu gebrauchen, der geist gefallen ist. Pope ging es nämlich bei abfassung seines Essay on man ähnlich wie dem wilden jäger in der bekannten Bürger'schen ballade, nur dass ihn mehr als zwei engel in gestalt seiner freunde begleiteten; der am wenigsten harmlose von ihnen war der dämonisch geniale Bolingbroke, dem Pope auch in gerechter würdigung dessen, was er ihm verdankte, sein gedicht gewidmet hat. Die oben angeführten verse sind, abgesehen von der versification, Bolingbroke's eigentum. Er sagt in seinen Fragments (57): Christian divines complain that good men are often unhappy, and bad man happy. They establish a rule, and are not agreed about the application of it; for who are to be reputed good christians? Go to Rome, they are papists. Go to Geneva, they are calvinists. If particular

providences are favourable to those of your communion they will be deemed unjust by every good protestant, and God will be taxed with encouraging idolatry and superstition. If they are favourable to those of any of our communions they will be deemed unjust by every good papist, and God will be taxed with nursing up heresy and schism.<

Der allgemeinste ausdruck von Pope's kirchlicher gleichgültigkeit findet sich in seinem vielbewunderten und viel getadelten Allgemeinen gebet (Universal prayer), das er gewissermaassen als quintessenz der in dem Essay on man vorgetragenen religionsansichten veröffentlichte, und das mit den worten beginnt:

>Father of all! in ev'ry age,

In ev'ry clime adored,

By saint, by savage and by sage,
Jehovah, Jove, or Lord!<

und in dem eine andere strophe lautet:

>Let not this weak, unknowing hand
Presume thy bolts to throw,

And deal damnation round the land

On each I judge thy foe.<

Nach dem, was wir bisher aus Pope's eigenem munde ge hört haben, kann kein zweifel darüber bestehen, dass er kein kirchlich gläubiger katholik war, wenn er auch gelegentlich seine glaubensgenossen gegen unbegründete beschuldigungen

in schutz nimmt ). Die frage, welche stellung er überhaupt zum christentume eingenommen habe, ist weitschichtiger und schwieriger zu beantworten. Wenn wir seine weltanschauung darauf hin prüfen wollen, ob sie noch eine christliche genannt werden könne, so zeigt sich bald, dass wir den begriff christlich nicht zu weit fassen dürfen. Nennen wir eine gesammtansicht eine christliche, weil sie wesentlich von der zugehörigkeit eines einzelnen zur christlichen kirche, von seiner christlichen umgebung und erziehung beeinflusst erscheint, und wenn sie nicht ausdrücklich das christentum als irrtum und thorheit ver achtet, so können wir auch Pope eine christliche weltansicht zuschreiben, haben aber so gut wie gar kein seinen standpunkt charakterisirendes merkmal gewonnen. Es handelt sich doch wohl darum, ob und wie er das christentum als historische er scheinung begriffen hat. Mit dieser frage werden wir an ihn herantreten müssen; und was er uns darauf antwortet, sowie das, was er uns von der mit recht und wohl überlegt geforderten antwort schuldig bleibt, das wird seine denkart charakterisiren. Wir werden nicht erwarten, dass er das christentum als geschichtliche thatsache, gedacht als erlösung des menschengeschlechts vom ewigen verderben durch den opfertod Christi, also in der formulirung der rechtgläubigen theologie aller christlichen kirchen, angesehen habe, aber er könnte doch in den grenzen rein menschlicber betrachtungsweise das christentum zu würdigen gewusst haben. Wir werden von Pope und seiner zeit nicht eine einsicht in die geschichtliche bedeutung des christentums verlangen, wie wir sie heute bei gelehrten theologen freierer denkart finden; aber jeder gebildete mann könnte geltend machen, Schiller sei kein kirchlich gläubiger mann noch ein gelehrter theologe gewesen, aber er habe das christentum z. b. in seinen > Vier weltaltern als ein die welt umgestaltendes ereignis bezeichnet, wie könne ein so grosser und dazu philosophischer dichter wie Pope darüber seine leser unbelehrt lassen? Es wäre gewiss nicht richtig, einzuwenden, Schiller sei auch ein grosser dichter und auch ein philosophischer, er habe sich aber nicht über die socialdemokratie geäussert; denn mit Pope liegt die sache anders; seine erörterungen über die entstehung und das wesen der religion sind die dunkelsten und

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1) Vgl. Moral Essays III 339 ff.

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