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die historien: Heinrich VI., Richard III., König Johann, Richard II., Heinrich IV. und V. und endlich (s. 62-99) die tragödien: Titus, Romeo, Caesar, Hamlet, Macbeth, Othello, Lear, Coriolan, Antonius und Cleopatra; doch soll über die fünf letzten mit dieser anordnung kein urteil über ihre entstehungszeit, die überhaupt nicht. genau bestimmbar ist, abgegeben sein. Der nächste abschnitt dient dann unter der überschrift »Shakespeare wanted art der widerlegung dieses bekannten Ben Jonson'schen ausspruches, indem er geschickt und gründlich an mehrfachen beispielen den durchaus künstlerischen aufbau der Shakespeare'schen dramen nachweist, ein verfahren, das gleich darauf auch auf die untersuchung des baues einzelner scenen angewendet wird. Des weiteren (s. 132-144) führt Bierfreund aus, wie es der dichter trotz mancher anachronismen und unmöglichkeiten doch vortrefflich verstanden habe, zeit- und ortsverhältnisse zum ausdrucke zu bringen; besonders grosse wirkung auf dem theater erziele er durch die anwendung einer doppelten zeitrechnung, der kurzen und langen oder der dramatischen und historischen zeit (145-154). Der abschnitt Charakterzeichnung (s. 155-170) bringt einige hübsche analysen und einige gute bemerkungen über die innere unabhängigkeit, die sich Shakespeare trotz seiner entlehnungen seinen quellen gegenüber stets zu wahren weiss.

Die beiden letzten kapitel des buches sind die wichtigsten; in dem einen, »König Heinrich VIII. Shakespeare's frauen«<, untersucht er die frage nach der echtheit des genannten stückes und kommt nach einer eingehenden und anziehenden betrachtung der frauencharaktere bei Shakespeare wie bei Fletcher zu dem auch schon anderweitig festgestellten ergebnis, dass das ganze stück nicht von Shakespeare allein herrühren könne; die königin Katharine sei zwar eine Shakespeare'sche frau, Anne Bullen aber zeige deutlich die züge der frauen Fletcher's. S. 195 heisst es:

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Shakespeare schrieb unzweifelhaft einen teil von König Heinrich VIII., und Fletcher schrieb einige scenen, die grell abstechen und ausgeschieden werden können. . . . Aber ich glaube nicht, dass dies mit Shakespeare's einwilligung geschehen ist, und ich glaube nicht, dass es andre beispiele für solche zusammenarbeit giebt.<

Das letzte kapitel endlich, »Mismod« (s. 219—293), ist eine Lekämpfung der bekannten und ziemlich allgemein verbreiteten missmutstheorie, die in Brandes ihren angesehensten und geistreichsten vertreter gefunden hat. Da Bierfreund sein buch natür

lich in erster linie für dänische leser geschrieben hat, so begnügt er sich auch, was man sonst kaum billigen könnte, sich nur mit Brandes, nicht auch mit deutschen und englischen kritikern auseinanderzusetzen. Den grund, auf dem die annahme von der immer mehr steigenden verbitterung des dichters ruht, geben vorwiegend die Sonette und Troilus und Cressida ab, und des verfassers zweck ist es, durch den nachweis der gänzlichen unbrauchbarkeit dieser werke zur stützung einer solchen hypothese diese zu entkräften. Sein urteil über die sonette fasst sich in dem satze zusammen: >Die sonette sind unpersönlich wie die dramen< (s. 229), eine auffassung, die übrigens der jüngste englische Shakespearebiograph, Sidney Lee (A Life of W. Sh. 1. u. 2. aufl. London 1898) teilt. Von s. 230 an behandelt der verfasser die frage, ob Shakespeare wirklich Troilus und Cressida geschrieben habe, und seine ausführlichen darlegungen, die zwar keine zwingend sicheren beweise sind, machen es aus ästhetischen und kunsttechnischen gründen doch wohl wahrscheinlich, dass er mit seinem ergebnis, das drama stamme nicht von Shakespeare, recht hat. Ebensowenig, meint er s. 253, könne es Fletcher geschrieben haben; über den wahren verfasser äussert er sich (253/4): Er gehört zu Fletcher's zahlreichen nachahmern. Alle unglücklichen seiten an Fletcher sind hier beisammen, aber vergröbert; seine guten seiten, seine poesie, seine lebhaftigkeit, seine abwechselung fehlen; aber sein gedankengang prägt das stück. Doch der verfasser war auch ein bewunderer Shakespeare's; daher alle die tiefsinnigen reden, mit denen er sein stück ausputzen und füllen wollte; nur schade, dass er nicht hat erkennen können, wie sein grosses vorbild seine weisheit benutzte, um seine geisteskinder zu charakterisieren. Wer der verfasser ist, ist gleichgültig und ausserdem jetzt ziemlich unmöglich herauszufinden. « 1) Eine weitere phantasie der schwermutstheorie sei es, wenn man in Coriolan Shakespeare selbst erkennen wolle; der dichter stehe vielmehr diesem helden genau so unparteiisch gegenüber wie allen andern, die er geschaffen. Auch Timon, der sogenannte höhepunkt in der zeit des missmuts, wird auf grund künstlerisch-ästhetischer untersuchungen für unecht erklärt. >Shakespeare konnte ein so elendes

1) Vgl. dagegen die neuesten erörterungen über diese frage bei R. A. Small, The Stage-Quarrel between Ben Jonson and the so-called Poetasters, in Kölbing's Forschungen zur engl. sprache und litteratur, heft I, s. 139—171. (Breslau 1899.)

drama nicht schreiben, ausser wenn man annimmt, er sei hoffnungslos apoplektisch gewesen, als er es zusammenstoppelte. << (S. 272.) Nach einigen bemerkungen über The two noble kinsmen s. 273 ff.) geht er dann schliesslich zu Pericles über (s. 276); seine ansicht darüber lautet: »Das stück ist kindisch in jeder hinsicht. Ben Jonson hatte recht, als er in einem zornesanfall schrieb: No doubt some mouldy tale Like Pericles u. s. w.; es ist weder poesie noch dramatische technik, noch guter versbau oder charakterzeichnung, oder humor, pathos, leidenschaftlichkeit oder zartheit in diesem dürftigen, verschimmelten brei, der aus alten geschichten zusammengemischt und mit aus dem Wintermärchen gestohlenen einzelheiten angerührt ist.<< (S. 290.)

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Am schlusse fasse ich den gesamteindruck zusammen, den das buch auf mich gemacht hat. Es liest sich recht angenehm, da es durchweg frisch, lebhaft, anziehend geschrieben ist, so lebhaft, dass man an manchen stellen eine kleine einschränkung wünschen möchte; es ist eine durchaus subjektive leistung und schon deshalb nicht als streng wissenschaftlich zu betrachten, zumal auch die vorhandene litteratur bis auf Brandes nur in geringem masse berücksichtigt und nur in ganz wenig fällen angeführt ist.

Von störenden versehen sei bemerkt, dass Holinshed in der dritten silbe immer mit ea gedruckt ist, dass eine stelle (s. 98 A) in fast gleicher form später noch einmal (s. 209) wiederkehrt, und dass der sonettendichter Daniel im jahre 1592 nicht 39, sondern erst 30 jahre alt war.

Breslau, Mai 1899.

H. Jantzen.

Georges Duval, La vie véridique de William Shakespeare. Paris, Librairie Ollendorff, 1900. 270 ss. 8°. Preis Fr. 3,50.

Unter dem auffallenden und anspruchsvollen titel birgt sich nicht, wie man leicht vermuten könnte, irgend eine neue, mit den mitteln der wissenschaft begründete, mehr oder minder wahrscheinliche hypothese über Shakespeare's leben, sondern das buch ist ein biographischer roman, in dem sich der verfasser natürlich ganz subjektiv mit seinem stoffe abfindet. Selbstverständlich ist er oft genötigt, ungewisse und zeitlich unbestimmte thatsachen und ereignisse als ganz sicher darzustellen, wie wir z. b. gleich in der ersten zeile erfahren, dass Shakespeare am 14. Januar 1586 J. Hoops, Englische Studien. 29. 1.

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Stratford verliess. Einer der wichtigsten punkte, die Duval unter dem véridique versteht, scheint es ihm zu sein, dass Shakespeare an diesem tage bereits die handschrift des »Hamlet< fix und fertig in der tasche hat; gleich nach seiner ankunft eilt er zu dem ihm schon bekannten Burbadge und liest ihm das drama vor, das natürlich dessen höchste begeisterung erregt. Der ersten aufführung wohnen mutter und gattin des dichters bei. Doch diese beispiele mögen genügen, zumal man vielleicht einwenden möchte, in einem romane sei dergleichen erlaubt. Der allgemeine eindruck, den ich beim lesen des buches hatte, war nicht sehr erfreulich, und ich ziehe mir die bescheidene novelle Dichterleben unseres L. Tieck weit vor, obgleich sie modernen ansprüchen längst nicht mehr genügt. Seinen grund hat dies gefühl vor allem in den vielen unwahrscheinlichkeiten: zu denen von der angedeuteten art kommen noch andere, wie etwa, wenn uns zugemutet wird, zu glauben, der junge Shakespeare habe bereits in Stratford am wirts haustische mit grösster gründlichkeit reine vorlesungen über altenglisches drama und theater gehalten und schon damals allerhand neuerungen im sinne gehabt. Sehr störend und unangenehm fallen auch die zahlreichen druckfehler auf, die sich mit vorliebe in den eigennamen breit machen. (Z. b. Hataway s. 4 u. ö. Gammer, Curton's Needle; lord Burkhorst; Heyvood s. 9. Chancer fast immer. Lyly's Campaspe bekommt den männlichen artikel. Henslowe wird bald Heuslowe, bald Henstowe [so s. 188 ff.] Masaccio steht statt Masuccio s. 147. frühere form für Falstaff wird Falstoff genannt s. 166.

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Flechter s. 237/38.

s. 256 u. v. a.)

Breslau, März 1900.

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Als

Gosboduc

Ledler als Pate Hamnet's

H. Jantzen.

Pages choisies des grands écrivains. Shakespeare. Traduction nouvelle et introduction par Émile Legouis. Paris, Armand Colin & Cie., éditeurs, 1899. XLVI u. 396 ss.

8°. Preis

Fr. 3,50. Da es einem deutschen kritiker nicht zusteht, über eine übersetzung in fremder sprache ein urteil zu fällen, beschränke ich mich für den hauptteil des buches darauf, die grundsätze anzugeben, die der herausgeber bei der auswahl und übertragung be

folgt hat. Ausser 31 sonetten, die zu anfang stehen, sind nur die dramen berücksichtigt, und zwar sind die bruchstücke daraus, die möglichst geschlossene bilder und scenen enthalten, in historischer folge angeordnet - sofern man diesen ausdruck gebrauchen darf —, um zugleich eine vorstellung von der entwicklung des dichters und seiner kunst zu gewähren. Die übersetzung selbst soll treu, aber nicht unbedingt vollständig sein. Für den zweck des buches, das wir etwa als einen Shakespeare für haus und familie bezeichnen würden, schien es notwendig, dies oder jenes wegzulassen, natürlich vor allem solche stellen, die nach heutiger auffassung anstössig sind. Die übertragung ist eigene, selbständige arbeit, wenn auch die älteren übersetzungen verglichen und benutzt sind. Die form ist, auch für die sonette, prosa, nur für die lyrischen stellen in den dramen sind verse angewendet. Dass dies verfahren zweckmässig und berechtigt ist, scheint eine zustimmende erklärung Maurice Bouchor's in der Revue de Paris vom 1. September 1895 zu beweisen, einen deutschen Shakespeare freilich können wir uns nur mehr in gebundener rede vorstellen.

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Die vorausgeschickte einleitung zerfällt in zwei abschnitte: "La vie de Shakespeare" und "Son œuvre dramatique". Diese arbeit ist in ihrer art, glaube ich, als eine kleine musterleistung zu bezeichnen. Für die wissenschaft bringt sie freilich nichts neues, aber das ist ja auch nicht ihr zweck; alles jedoch, was wir über Shakespeare's leben als gewiss annehmen dürfen, ist kurz, bündig und mit erfreulicher klarheit vorgetragen, und auch die ästhetischen betrachtungen über seine kunst, insbesondere die dramatische, lesen sich sehr gut und sind durchaus zu billigen. Sie zeugen von grosser wärme, gründlichem verständnis und feinem sinne für die dem romanen nicht immer sympathischen schönheiten des germanischen dichters. Der grösste wert wird darauf gelegt, Shakespeare's meisterschaft im charakterisieren, der die technik der französischeu dramatiker in scharfem gegensatze gegenübersteht, klarzumachen.

Deutsche leser werden trotz der guten einleitung das buch kaum benutzen; in Frankreich wird es hoffentlich in weiten kreisen den wohlverdienten beifall finden.

Breslau, März 1900.

H. Jantzen.

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