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LITTERATUR.

Die altenglischen Waldere-bruchstücke, neu herausgegeben von Ferd. Holthausen. Mit 4 autotypien (Göteborgs Högskolas Årsskrift 1899, V). Göteborg, Wettergren & Kerber. 17 ss. Preis 2 kr.

Sonderbar, wie schwer es in der anglistik hält, genaue wiedergaben des handschriftlichen wortlautes unserer poetischen texte zu erlangen! Vorliegende neue Waldere-ausgabe liefert uns wieder einen beweis dafür, insofern als sie den erstaunten forschern klarmacht, dass wir trotz mehrfacher nachkollationierungen an 14 stellen der Waldere-fragmente bisher mit falschen lesungen der handschrift gearbeitet haben. Und dies sind keineswegs alles kleinigkeiten, sondern zum teil recht tiefgreifende irrtümer. So liest z. b. die handschrift im ersten fragment thatsächlich word in v. 2 statt geworc, nu 8 statt ac, mid 25 statt unc, und im zweiten he 22 statt ne, nu 23 statt yfle u. s. w. Wahrlich, kein kleines verdienst, das sich Holthausen durch diese berichtigungen erworben hat.

Auch im übrigen liegt der schwerpunkt der neuausgabe auf der feststellung dessen, was thatsächlich noch in der handschrift zu lesen ist. Zu dem zwecke bietet sie uns autotypien der beiden halbblätter in natürlicher grösse, die einen sehr grossen fortschritt Stephens' photographien 1) gegenüber bedeuten, aber bei anwendung eines moderneren technischen verfahrens wohl noch klarer hätten gestaltet werden können; weiter eine genaue umschrift mit sorgfältiger angabe des noch erkennbaren und endlich noch einen gereinigten text, aus dem besonders die glückliche konjektur fläh statt fäh (II, 22 b) hervorzuheben ist.

Nur an einer stelle hätte ich mir eine noch genauere angabe über die handschrift gewünscht, nämlich bei dem vielumstrittenen hearne (I 4a), das bereits von Bugge 2) unter hinweis auf Byrhtn. 167 und 236 in heardne gebessert ist. Unter dem n von hearne steht nämlich, wie die autotypie deutlich erkennen lässt, ein kräftiger punkt, den Holthausen zwar bucht, aber ohne anzugeben, ob er ihn für einen zufälligen spritzfleck oder für einen tilgungspunkt

1) Auch in dem exemplar der königl. bibliothek zu Berlin sind diese fast bis zur unleserlichkeit verblasst.

2) Nicht erst von K(luge), wie Holthausen im variantenapparat s. 14 angiebt.

hält. Auf dem facsimile macht er mir durchaus den eindruck des letzteren. Und wenn dem so wäre, dann müssten wir unser lieb gewonnenes heardne wieder aufgeben. Heare gäbe nun zwar auch keinen sinn. Ich könnte mir aber denken, dass der schreiber # für d verschrieb und, als er den irrthum merkte, das ʼn durch punkt tilgte, um am rande d nachzutragen. Hearde gehealdan wäre dann als 'fest halten' zu fassen, wodurch der sinn des satzes eher verbessert als verschlechtert würde: »Wieland's werk lässt niemanden in stich, der den Mimming fest zu halten vermag. Die be deutung 'fest' für adverbielles hearde wird durch hearde gefastnad im Crist (v. 1456) fürs Altenglische möglich gemacht und ist im Mittel- und Neu-englischen (s. Mätzner und Oxford dictionary s. v. sogar ganz gebräuchlich.

Über das alter der handschrift bemerkt Holthausen nichts. Soweit ich sehe, haben sich darüber auch nur Müllenhof (ZfdA. XII 275) und Wülker (Grundriss III § 297) ausgesprochen. Diese setzen die schrift in das 9. jahrhundert. Aber trotz der grossen bestimmtheit, mit der beide dies vortragen 1), kann ich mich nicht entschliessen, die handschrift weiter als in die zweite hälfte des 10. jahrhunderts hinabzurücken (vgl. bes. die auf der zeile stehenden s und f).

Doch scheiden wir von dem büchlein mit dem wärmsten danke für dies schöne angebinde, das uns der dem vaterlande zurückgegebene aus der fremde mitgebracht hat.

Würzburg, 18. Sept. 1900.

Max Förster.

Ellen Clune Buttenwieser, Studien über die verfasserschaft Heidelberger dissertation. Heidelberg 1899.

des

Andreas'.

86 ss. 8°.

Wäre der von Sarrazin und Trautmann versuchte nachweis, dass die Schicksale der apostel mit der in der Verceller hs. daran

1) Müllenhoff sagt: >>Die schrift ist schön und zierlich, ohne zweifel noch aus dem neunten jahrhundert, « und Wülker: »Die handschrift gehört in das neunte jahrhundert. Auch die Epitheta 'zierlich und schön' kann man der schrift, nach dem, was wir jetzt von altenglischen handschriften kennen, nicht mehr belassen, da sie ganz den etwas flüchtigen charakter der ersten hand des Beowulf teilt. [Vgl. jetzt auch Holthausen in Angl. beibl. XI 226, der sie dem X.-XI. jh. zuweist.]

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anschliessenden, den namen Cynewulf's enthaltenden runenstelle nichts anderes seien als der schluss des Andreas, wirklich völlig gelungen, so könnte über die frage, ob die dichtung über diesen apostel dem verfasser der Elene zugeschrieben werden dürfe oder nicht, kein streit mehr geführt werden. Die von jenen beiden gelehrten für ihre ansicht vorgebrachten gründe sind aber von mehreren forschern mit nicht zu verachtenden einwänden bekämpft worden, und andere fachgenossen haben, ohne sich an der diskussion dieser frage direkt zu beteiligen, wenigstens in gelegentlichen bemerkungen ihre abweichende meinung erkennen lassen. Aus dieser deutlicher als je zu tage tretenden uneinigkeit 1) leitet die verf. die berechtigung zu einer neuen beschäftigung mit dem oft erörterten gegenstand ab, indem sie dieselbe durch eine widerlegung der für die zusammengehörigkeit von Andreas und SchA. vorgebrachten momente noch ausführlicher zu begründen sucht (s. 3-22), etwas breit und weitschweifig, ohne wesentlich neues dem früher schon von andern gesagten hinzuzufügen, auch im gedankengang nicht immer streng folgerichtig und ein paar sprachliche und sachliche unrichtigkeiten (s. 5, 7) aufweisend, im ganzen aber verständig., Etwas schnell und keineswegs gründlich entscheidend geht dabei die verf. über die äusserung von Sievers hinweg, dass vielleicht der runenschluss gar nicht zu den SchA. gehöre, sondern das abgesprengte ende einer unbekannten Cynewulf'schen dichtung bilde.

Durch eine reichhaltige, aber doch noch zu manchen nachträgen gelegenheit bietende, von S. 22-59 sich erstreckende sammlung von parallelstellen des Andreas mit Cynewulfischen und nicht-Cynewulfischen dichtungen, in der von anklängen an den Beowulf nur solche aufgenommen sind, welche zur ergänzung von Sarrazin's listen in E. st. 23, 221 ff. dienen, will die verf. die grundlage gewinnen für die betrachtung des stiles, mit deren hilfe sie. die verfasserfrage entscheiden zu können hofft, aber nicht in der beliebten weise, wonach aus dem mehr oder minder häufigen vorkommen der gleichen wendungen und aus der ähnlichkeit des wortschatzes in verschiedenen dichtungen auf die gleichheit der verfasser geschlossen wird. Die verfasserin will zwar nicht leugnen,

1) Die schrift von Trautmann: Kynewulf, der bischof und dichter, Bonn 1898, und den aufsatz von Brandl im Arch. f. n. spr. bd. 100 über SchA. hat verf. auffallender weise noch nicht verwertet, trotzdem beide ziemlich lange zeit vor dem drucke ihrer dissertation erschienen sein dürften.

dass solche parallelstellen für irgend einen zusammenhang sprechen, doch meint sie mit recht, es bleibe da erst noch zu untersuchen, ob identität der autoren oder nachahmung oder nur zeitliche nähe des entstehens daraus gefolgert werden müsse. Aus der eigenart der altgermanischen dichterischen produktion, die ja in ganz anderem umfange als heute erlaubte reproduktion war, wobei dem dichter der ganze schatz von poetischen wörtern und formeln, von gedanken und gedankenverbindungen zur verfügung stand, ergiebt sich für B. die überzeugung, es könnten zwar beim gebrauch solcher allgemeinen gedankenverbindungen natürlich kleine mannerisms vorkommen«, aber der einzige anhaltspunkt bei einer verfasserschaftsfrage könne nur der sein, dass der eine dichter diese gedanken logischer und passender einführt als der andere, dass er beim auswählen aus dem ausdrucks vorrat, bei der anordnung der formeln mehr geist und geschmack zeigt und im bau seiner verse grössere glätte und vollendung, entsprechend einem besseren verständnis und einem feineren ohr, zu stande bringt, kurz, dass er als formaler künstler und darum in diesem falle als dichter höher steht als ein anderer«.

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Verf. glaubt offenbar selbst nicht, in diesem verschiedenen verhalten der dichter ein absolut sicheres und einwandfreies kriterium gefunden zu haben; sie macht sich auf den einwurf gefasst, dass gefahr vorliege, in der beurteilung solcher dinge subjektiv zu verfahren, da das sprachgefühl für eine tote sprache naturgemäss viel weniger entwickelt sei als für die eigene lebende. Angesichts des lebhaften widerstreits der meinungen wird man sich in der that erstaunt fragen, woraus verf. die zuversichtlichkeit schöpft, mit der sie s. 62 anm. 1 behauptet: »So bleibt auch in der alten germanischen poesie trotz alles formelhaften im ausdruck und des mangels an originalität in den anschauungen doch ein etwas, das die werke der verschiedenen verfasser trennt und meines erachtens die werke Cynewulf's von Andreas und beide von Beowulf scharf und deutlich unterscheidet. < Aber selbst die möglichkeit zugegeben, dass sich ein sicheres urteil und ein zuverlässiges gefühl für solche stildifferenzen in den ae. dichtungen gewinnen lasse, so bleibt doch immer noch, ebenso gut als bei der von der verf. verworfenen methode, die frage bestehen, ob ein unterschied im stil, in der metrik, in der poetischen technik wirklich auch verschiedenheit der verfasser voraussetze, ob nicht vielmehr auch da die möglichkeit einer entwicklung des gleichen dichters zuzugeben sei. Ich fürchte,

es erheben sich auch gegen ihre argumente die von Brandl, Archiv f. d. st. n. spr. 100 geltend gemachten bedenken. Denn die fälle, wo ungeschickt angewandte entlehnungen aus einem älteren gedichte nachahmung durch einen an den ersten autor sich anlehnenden jüngeren dichter sicher beweisen, sind gewiss nicht zu häufig. B. glaubt eine solche stelle in Andreas 303 a landes ne locenra beaga gegenüber Beow. 2995 landes and locenra beaga gefunden zu haben; hier fällt im Andreas der gebrauch des genitivs auf, während er im Beowulf vollständig am platze ist; da die übereinstimmung der beiden stellen nicht auf zufall beruhen könne, anklang der einen an die andere ganz unzweifelhaft sei, so bleibe keine andere erklärung übrig, als dass der Andreas-dichter in unbeholfener weise reminiscenzen aus dem Beowulf verwerthet habe; damit sei aber Identität der beiden ausgeschlossen. An mehreren anderen beispielen sucht vf. den unterschied ihrer betrachtungsweise gegenüber der bisher üblichen klarzumachen. So passe in der mit Andr. 763 ff. mehrfach zusammenstimmenden partie des Beowulf 2711 ff. die erwähnung des drachengiftes vorzüglich in den zusammenhang, während dieselbe im Andreas gar keinen sinn habe. Andreas 182 a earmlic ylda cwealm sei der plural ylda, da nur von einem einzigen menschen vorher die rede sei, gänzlich unberechtigt und verdanke seine anwendung offenbar nur der erinnerung an Crist 1000 a ermlic ylda gedrag, wo der plural keinen anstoss errege. Bei den wörtlich gleich lautenden versen Andr. 57 f. und Juliane 233bf. sei zu beachten, dass im Andr. der satz damit sein ende finde, während in der Jul. ein vers mit variation folge, wodurch der stil ein ganz anderes gepräge erhalte.

Man sieht schon aus diesen proben, wie gewagt die schlüsse der verf. zum teil sind: während sie zuerst hervorhebt, dass alle dichter aus dem gemeinsamen formelschatz schöpfen, müssen nun auf einmal wörtliche übereinstimmungen zwischen zwei gedichten enge beziehungen zwischen denselben beweisen; die vorher zugestandene möglichkeit eines zufälligen zusammentreffens wird nun ausser acht gelassen. Ferner rechnet die verf. nicht genügend mit dem umstand, dass selbst guten dichtern nicht immer alles gleich gut gelingt, dass auch bei ihnen stimmung und schöpferische kraft einem wechsel unterworfen sind, der ganz erhebliche differenzen in der qualität ihrer werke zur folge hat. Endlich findet sie, wenigstens in einem teile der erwähnten beispiele, im Andreas fehler, wo keine vorhanden sind: And. 182 a wird sich der plural

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