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GESCHICHTE

DER

DEUTSCHEN SPRACHE

VON

JACOB GRIMM.

ZWEITER BAND.

ZWEITE AUFLAGE.

LEIPZIG

VERLAG VON S. HIRZEL

1853.

XXI.

HESSEN UND BATAVEN.

Dasz ich von den Hessen ausführlicher handle, als dieses buches 565 ganzer anlage gemäsz scheint, wird keinen der mich kennt verwundern, da ich an meiner heimat, in der meines bleibens nicht war, immer lebhaft hieng und noch hänge.

Die Hessen sind, auszer den Friesen, der einzige deutsche volksstamm, der mit behauptetem altem namen bis auf heute unverrückt an derselben stelle haftet, wo seiner in der geschichte zuerst erwähnt ward. denn wenn schon der Sueven name aus frühster zeit fortbesteht, sind doch ihre sitze weiter gesteckt und veränderlicher gewesen. dies in seinem beginn unvordenkliche, mit dem volksgefühl verwachsne einhaben angestammter stätte ist ein vortheil, aus welchem mehr als eine tugend flieszt. auch die Hessen, gleich den übrigen Deutschen müssen einmal in ihre landstriche eingewandert sein; aber wann und unter welchen umständen es geschah weisz die geschichte nicht, nur reicht ihre ankunft lange hinaus über Caesars zeit, der die erst von den Chatten ausgewanderten Bataven bereits auf der insel des Niederrheins kennt.

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Caesar selbst nennt die Chatten nie; allein nur sie gemeint haben kann er unter den Sueven, die er als nachbarn der Cherusken im bakenischen walde schildert (s. 491), unter den Sueven, von welchen er 4, 16 die Ubier gedrängt werden läszt, wie sie bei Florus mit Cherusken und Sigambern ungemachte beute theilen (s. 521.) es flieszt 566 daraus für unsre untersuchung gleich der wichtige satz, dasz die Chatten ein hochdeutscher, zu den Sueven nah gehöriger stamm sind (s. 494.)

Ich will dafür einen beweis aus unscheinbarer volkssage führen, den ich nicht gering schätze. noch heute nennt man in ganz Deutschland, ohne zu wissen warum, beide die Hessen und Schwaben 'blinde', und wer etwas nicht gesehn hat, das andern in die augen fiel, wird auf der stelle 'ein blinder Hesse' gescholten. besonders ist diese schelte den sächsischen oder westfälischen nachbarn der Hessen zur

hand; ich finde aber auch, dasz die Niedersachsen im 16 jh. den Hessen den beinamen 'Hundhessen' ertheilten, was man auf den hundähnlichen löwen der hessischen fahne bezog*. ein müller zu Affoltern nannte die hessischen soldaten im j. 1622 'blinde hundehessen, schelme, diebe und räuber.' ** Süddeutschen und Schweizern müssen die Schwaben herhalten: 'blinder Schwab' ist schweizerisches sprichwort (Kirchhofer s. 94.) 'ei ist es wahr', heiszt es in Nefflens vetter aus Schwaben s. 166, 'dasz die bauern in Schwaben zehn tage blind bleiben nach der geburt? mein groszvater sagte mirs, er war in Schwaben einmal gar lange im quartier.' Leonh. Thurneiser, der bekannte Baseler arzt, schreibt 3, 147 (im j. 1584): 'schwebische art; welche geschlecht der menschen nach der geburt, wie man vermeint, neun tage als die hunde blind ligen sollen.' Was so tief in scherz und ernst des volks wurzelt, kann nicht anders sein als uralt, und ich zweifle nicht, dasz im dreizehnten und neunten jh. dieselben redensarten, vielleicht nur verschieden gewendet und ausführlicher entwickelt aus dem munde der leute giengen.

Wie sie nun deuten? schon Möser läszt die frage aufwerfen 567 und nicht uneben beantworten ***. es konnte selbst Römern, die den namen Chatti oder Catti hörten, einfallen ihn mit catus, catulus, catellus und catta zu vergleichen (s. 38. 39); ich weisz nicht, wann zuerst in unserm mittelalter aus Melibocus, bei Ptolemaeus to MyλíBoxov opos, die vorstellung Cattimelibocus und der deutsche name der grafen von Katzenellenbogen sich erzeugte, in deren gebiet ein Malchenberg (mallobergus) diese anwendung erleichterte, in deren fahne, wie in allen hessischen, der löwenhund war †. Dieser einklang erklärt aber blosz den hessischen namen, nicht den schwäbischen. es ist an sich völlig unwahrscheinlich, dasz aus dem lateinischen witz die deutsche sage und schelte, die Schwaben und Hessen in gemeinschaft schon auf sich nehmen dürfen, entsprungen sei.

* Lüntzels hildesheimische stiftsfehde s. 36. 38. 39.
**Rommels hess. geschichte 7, 202.

*** Mösers werke 5, 26: ich weisz nicht wie die rede eben auf die blinden Hessen fiel, als jemand fragte, woher es doch in aller welt kommen möchte, dasz man die Hessen blind nennt, da doch diese nation gewis eine der scharfsichtigsten in Deutschland sei? o'rief der alte präsident von Z... aus, 'das will ich ihnen wol sagen: die Hessen hieszen ehmals Katten oder Khazzen, woraus zuletzt Hessen geworden; und es ist sicher eine anspielung auf die blinde geburt der katzen, dasz man die Hessen mit jenem sobriket beehrt hat, welches itzt, da die Hessen nicht mehr Khazzen heiszen, ganz wegfallen sollte. Wahrscheinlich haben die Cherusker, die mit den Katten in beständigem kriege lebten, jenes sobriket zuerst aufgebracht.'

oder auch katze (zeitschrift des hess. vereins 4, 13.) Heinrich I erscheint in der zweiten hälfte des eilften jh. als ältester graf von Katzenellenbogen; eines seiner nachfolger gedenkt Walther von der Vogelweide 81, 6. übergang aus dem M in N war natürlich und gebirgsgestalten nach thieren zu benennen üblich. Rühs in seiner gesch. des mittelalters s. 621 versichert höchst naiv: der name kommt nicht von den Chatten, sondern von dem alten schlosz Katzenellenbogen. das ist als behauptete man, der name Böhmen komme von Bojohemum, nicht von den Bojen.

Sichersten aufschlusz gewährt uns also der mythus von den Welfen, der sich unter Baiern, Schwaben und Hessen, wie wir s. 468 sahen, wahrscheinlich auch bei Skiren und Rugiern, in wechselnder überlieferung seit uralter zeit entfaltet hat; er scheint mir hochdeutscher abstammung volles zeichen. Die an manchen orten vortauchende sage 568

meldet von drei, sieben, zwölf auf einmal gebornen knäblein, die, weil sich ihre mutter fürchtete, oder eine böse schwieger es veranstaltete, ausgetragen und ersäuft werden sollten, durch dazwischenkunft des vaters aber, dem man sie für blinde welfer* angab, zur rechten stunde gerettet wurden. hiernach empfangen sie den namen Welfe, Hunde oder Eitelwelfe, Eitelhunde und werden stammhern berühmter geschlechter. auch die abweichung kommt vor, dasz man die neugebornen drillinge dem priester spöttisch als hunde oder welfer zur taufe dargetragen habe. Mir scheint nun, dasz ein solcher mythus schon in ältester zeit von einem urahnen der Sueven, Hessen und Baiern umgieng, und der ihm angewiesne name sich nicht nur in seinen söhnen und nachkommen, mit sagenhafter verschiedenheit, wiederholte, sondern auch in natürlicher anwendung auf das gesamte volk fortübertragen wurde, und bei dem volk blieb zuletzt der vorwurf welfischer blindheit hängen. Es mag sein, dasz das alterthum zugleich von einem wirklich blind gebornen helden, wie sonst von stummen oder tauben zu erzählen wuste, dem hernach augen und zunge gelöst wurden und der dann um so gewaltiger erschien **; ein solcher kann davon den namen Welf, Welfo, wie der langobardische Lamissio von der 'lama' (piscina), in welche er ausgesetzt war, erhalten haben. huelf bezeichnet eigentlich catulus (s. 39), wird aber gleich diesem auf die blindgebornen jungen der löwen, wölfe und katzen erstreckt, und weil durch abstumpfung der form huelf in welf scheinbare ähnlichkeit mit wolf hinzutrat, so begreift es sich, dasz in hochdeutscher heldensage auch der wolf eine grosze rolle spielt. In solchem sinn werden also die Wolfunge den Welfen identisch, und Wolfdietrichs name findet die nebenbedeutung, dasz er als neugebornes kind von einem wolf in den wald getragen wird. im wappen schwäbischer und hessischer geschlechter konnten sich die welfer von selbst zu löwen umgestalten, wo nicht hunde und wölfe 569 schon im namen blieben, wie bei den hessischen Hunden von Holzhausen und Wölfen von Gudenberg. Mit dieser übereinkunft hessischer und schwäbischer sagen und namen ist, wie mich dünkt, jene uralte gemeinschaft der Chatten und Sueven nicht wenig bestärkt worden ***.

Sie rechtfertigt sich auch durch die bald freundliche, bald feindliche berührung, in welche schon zu Caesars zeit und nachher solche suevische Chatten ihre östliche lage mit den niederrheinischen Sigambern

*vgl. Plinius 8, 40.

** in der edda ist Helblindi eines wolfs und zugleich Odins name.

*** in andern mythen erscheint verschiedenheit, wie sie selbst unter mehrern suevischen stämmen obwalten mochte, z. b. in dem hessischen Holle und schwäbischen Berthacultus, falls sich nicht durch die schwäbische Hildaberta (mythol. s. 255) sogar beide einigen.

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