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und schwindelnder Zustand, den der Mensch nicht lange aushalten kann und der doch nicht einmal jener Zustand des allgemeinen Zweifels ist, weil er sich von den vorhergehenden Zuständen nur durch den schnellen Wechsel der Empfindungen, Meinungen, Zweifel, Ueberzeugungen unterscheidet und auf der andern Seite an eine gånzliche Ohnmacht der Denkkräfte gränzt. Selbst in einem Zustande des partiellen Zweifels, wenn er gewisse Gegenstände betrifft, kann sich der Mensch nicht sehr lange erhalten, z. E. im Zweifel über die Existenz der Körperwelt ausser ihm und gewisser Empfindungen in ihm, über praktische Gegenstände. Selbst wenn er durch eine gewaltsame Spannung und durch eine Art von metaphysischer Schwärmerei sich in diesem Zustande zu erhalten suchen sollte, so wird er doch in die långe nicht hindern können, daß nicht seine Zweifel sich durch Kräfte, die ihnen von aussen und innen entgegenwirken, durch den Einfluß der Neigungen, durch die Nothwendigkeit zu handeln, in die er versezt wird, gleichsam unwill. kührlich zerstreuen, daß die Fesseln sich von selbst auflösen, die er gerne noch långer getragen håtte. Hiemit wird übrigens nicht geleugnet, daß nicht mancher Skeptiker durch Selbsttäuschung sich wirklich in diesem Zustande des allgemeinen Zweifels wähnte, noch auch, daß durch das Bestreben nach diesem Ideale sich der Seele des Menschen nach und nach eine skeptische Stimmung mittheilen kann, die sich bei ihm im Nachdenken über alle Ge

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genstände zeigt und auch in seinem Charakter und seiner Handlungsart eine große Veränderung hervorbringt.

Uebrigens ist doch dieß Menschen unerreichbare Ideal des zweifelhaften Zustands eine Idee, welche für die Skeptiker nicht ohne Nuzen ist. Sie können sagen, daß sie sich demselben nåhern, ohne es zu erreichen, wie sich der Tugendhafte dem Unerreichbaren moralischer Vollkommenheit nåhere, und daß fie, ob fie gleich nie zum Hauptzweke gelangen, doch auch in dieser Annäherung den untergeordneten Zwek der Atararie, der Gemüthsruhe erreichen.

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Der Skepticismus, als Kunst betrachtet, ist eine Fertigkeit, bei Allen ohne Unterschied, was vorgestellt werden kann, Gründe für und wider von gleichem Gewichte, zu denken und anzuführen. Dieß ist es, was die Alten Skepsis nannten, da sie sich hingegen über den Skepticismus als Zustand gar nicht erklären. Sertus, der sicherste und stårkste Gewährsmann in diesem Puncte, sagt, fie seie eine Fähigkeit, die Erscheinungen der Sinne (Phånomena) und die Vorstellungen des Verstands (Noumena) einander auf alle mögliche Art entgegen zu fezen (also nicht nur die Phånomena den Noumenis und umgekehrt, sondern auch die Phäno mena Phånomenis und die Noumena Noumenis) auf diese Art gelangen die Skeptiker, indem sie überall auf beiden Seiten ein gleiches Gewicht entdeken, zur Zu

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rükhaltung alles Beifalls, und durch diese zur vollkommenen Gemüthsruhe. Eine solche Fähigkeit nun besizt unsere Ver nunft wirklich und kann es darinn zu einer gewissen Fertigkeit bringen. Wo sie auch bei gewissen Sázen keine gleich starke Gründe und Gegengründe unmit telbar vorbringen kann, so kann sie doch gegen alle Gründe der ganzen menschlichen Erkenntniß ein solches Mistrauen erregen, daß dadurch jeder einzelne Theil derselben zweifelhaft wird. Freilich bedarf die steptische Kunst selbst überall Grundsäze, um Grundfaze zu bestreiten, aber sie ist immer bereit, die Waffen gegen sich selbst zu kehren, und wenn sie selbst angegriffen wird, so freut sie sich nur eines desto gewissern Siegs, indem selbst die Möglichkeit des An= griffs die Ungewisheit aller Erkenntniß nur deutlicher zu erkennen gibt.

Der Skepticismus objectiv betrachtet wåre nun ein Inbegriff aller der Gründe und Gegengründe, durch welche die ganze menschliche Erkenntniß zweifelhaft gemacht werden kann. Man kann

'fragen und hat offters gefragt: Ob es ein System des Skepticismus geben könne? Wenn man die Gründe und Gegengründe, fo so wie Sertus in seinen Hypotyposen) gethan

hat,

1) Torr. 50. I, 4. Επί δε η Σκεπτική δύναμις, αντιθετική φαινομένων τε και νουμένων· καθ ̓ οἷον δήποτε τρόπον· αφ' ἧς ερχόμεθα δια την εν τοις αντικειμένοις πράγμασι και λόγοις ισοσθένειαν το μεν πρώτον εις εποχην' το δε μετα τατα εις αταραξίαν.

hat, nach den verschiedenen Zweigen der philosophischen Erkenntniß und ihrer systematischen Eintheilungen ordnet, so kann allerdings insofern der Skepticismus ein System genannt werden; da er aber alle Gründe der menschlichen Erkenntniß und felbst diejenige, auf welchen aller Unterschied und alle Anordnung der Wissenschaften und alle Einheit des Systems beruht, erschüttert, so kann er sich selbst freilich für kein System ausgeben. Eher kann man fich denselben als eine unabsehliche Reihe entgegenstehender Såze vorstellen, von welchen jeder den ans dern vernichtet. Weil aber der Dogmatismus, sein Hauptgegner, vorzüglich in den Systemen seinen Siz hat, so muß er freilich mit ihm auf diesem Bo-. den fechten, um durch systematischen Zweifel den systematischen Dogmatismus desto gewisser zu Grunde zu richten.

Eben deswegen, weil es eigentlich kein System des Skepticismus geben kann, hat man auch Mühe, sich eine skeptische Secte vorzustellen, wie man sich eine platonische, epikuråische, peripatetische vorstellt 2). Bei einer Secte denkt man sich immer Uebereinstimmung in gewiffen Principien und gemeinschaftliches Bestreben, sie geltend zu machen. Der Skeptiker aber bejaht und verneint kein Principium und geht gar nicht darauf aus, irgend eine bestimmte Denkart ju begründen, irgend eine Uebereinstimmung der Men=

e) S. Platners philosophische Aphorismen. Ganz neue Ausarbeitung. Erster Theil. Leipzig 1793. S. 360.

Menschen in ihren Grundfåzen hervorzubringen, und dieß geht soweit, daß selbst die Disharmonie der Menschen in dieser Rüksicht ein neuer Triumf für ihn wird. Sobald man sich daher die Skeptiker als eine Secte vorstellen will, so ist man in Gefahr, den Begriff des Skepticismus aufzuheben. Da der Zustand eines allgemeinen Zweifels bloß idealisch ist, so kann man auch dadurch den Begriff einer Secte von Skeptikern nicht vollenden, daß man sich alle in einem solchen Zustande denkt. Es bleibt also nichts anders übrig, als sich unter einer Secte von Skeptifern lauter solche Subjecte zu denken, welche die Kunst, alles zweifelhaft zu machen, þesizen und nach der gänzlichen Zurükhaltung alles, auch innern, Beifalls streben.

Wenn man auch den Skepticismus nicht als Zustand, sondern als Kunst betrachtet, so kann man doch nicht annehmen, daß der Skeptiker von dieser Kunst beständig bei sich Gebrauch mache, sondern bloß, daß sie ihm in jedem Falle zu Gebote stehe, und daß er im Stande sei, damit jeden Gegner auffer Fassung zu bringen. Man kann, ja man muß sich also bei einem Skeptiker gewisse Ueberzeugungen und Grundsåze denken, nur daß man ihm zugleich die Fähigkeit zuschreiben muß, auch diese wankend machen zu können. Da aber dieß immer nur durch andere Grundsåze geschehen kann, so müssen wir uns nothwendig den Skeptiker jedesmal als von gewissen Grundsäzen ausgehend denken, nur daß er freilich das einemal von diesen, das A 5

andre

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