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will hier durch eine detaillirtere Schilderung seines Zustandes und seiner Schiksale, die ich in einer sehr interessanten Correspondenz vor mir liegen habe, das Andenken an seine Leiden bei mir und denjenigen meiner Freunde, die ihn gekannt haben, nicht wieder lebhaft machen. Von ein paar andern habe ich schriftliche Auffäße in Hånden, worinn sie ihre Bemerkungen über diesen Zustand mitgetheilt haben. Ich glaube, daß sie für die em pirische Psychologie nicht unwichtig und auch sönst lehrreich sind ich will daher das Merkwürdigste aus denselben hier auszeichnen. Nur das muß ich vorher noch bemerken, daß beide schon vor 8 Jahren geschrieben worden sind.

„Ich will sehen, schreibt der eine, wie weit ich im Stande bin, Ihr Verlangen in Ansehung der Geschichte meines Skepticismus zu erfüllen. Aber ich glaube nicht, daß ich sie ganz genau werde ent wifeln können: denn ich nahm mir schon lange vor, mich so viel möglich der Gedanken über diese Mas terie zu entschlagen, wenigstens mich nicht mehr mit Aufbauung eines besondern Systems abzugeben. Ich las also über dergleichen Dinge, was ich ungefahr darüber zu lesen bekam, aber ich dachte nicht mehr, wenigstens nicht mehr sorgfältig nach, wie weit dieß Gelesene mit meinen übrigen Ideen von dieser Art harmonire: und weil meine Begriffe aus jenen Zeiten, die meine Zweifelsperiode ausmachen, meist schwankend waren, so läßt sich begreifen, wie Meinungen und Gründe sowohl wider als für Vors

fehung,

sehung, Unsterblichkeit u. s. w. gleich leicht Eingang finden konnten, wiewohl ich gestehen muß, daß die leztere mehr nur wahr zu finden wünschte, die erstere hingegen gern und leicht wahr fand: den leztern stimmte mein Herz bei, den erstern mein Kopf.

Ich glaube übrigens, daß meine Geschichte die Geschichte der meisten oder doch vieler anderer seyn wird: wenigstens schließ ich das aus der Allgemeinheit der Entstehungsursachen meines Zweifelns. Doch ist es natürlich, daß bei jedem Individuum demungeachtet noch gewisse Besonderheiten vorhanden seyn müssen; deswegen und weil ich überhaupt eine Freu de daran habe, meine Ideen und ihre Entstehung mir zu entwikeln, will ich sie Ihnen so offen und so deutlich, als ich kann, darlegen.

Meine Erziehungsart war die gewöhnlichsle und, bei allem guten Willen der Erzieher, doch eben keine der guten. In den Kinderjahren angefüllt mit Gebeten, nachgehends mit dogmatischen Lehren von der Person und dem Umte Christi, vom Nachtmal 2c. kam ich ins Seminar. Bei aller Undeutlichkeit dieser Begriffe blieben sie doch unangeta= stet, bis ich auf die Universitåt kam, und zweifeln håtte mir ein Greuel in Gottes Augen geschienen. Erst als ich Philosophie studiren sollte, sah ich, daß die Sachen anders stehen, als ich bisher wähnte. Ich hatte Alles für wahr angenommen, so lange ich keine Beweise dafür hatte, als Autorität und mir diese Autorität hinreichend war. Aber als ich Beweise suchte, so hatte ich erst an die

sen

fen und dann an den Sachen selbst etwas auszusezen. Um diese Zeit geschah es, daß ein vertrauter Freund einige Unterredungen mit mir über dogmatische Lehren, über Inspiration, über Christus 2c. hielt, und ich weiß nicht, woher es kam, daß mir die Zweifel dagegen so gar nicht fremd, nicht auffallend waren. Wenn es eine Seelenwanderung gåbe, so wollt ich glauben, ich habe schon in meiner vorigen Periode als Kezer existirt; da nun das nicht ist, so will ich den Grund lieber darinn suchen, daß ich schon vorher zuweilen solche Gedanken hatte, die sich aber wieder in den Abgrund der dunkeln Vorstellungen verloren, und jzt erst, nicht nur wieder zum Bewußtseyn erhöht, sondern auch deutlicher gemacht wurden.

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Die Periode begann, wo ich nachdenken lernen follte. Das erste, was vorgeht, wenn man nachzudenken anfångt, ist meist dieß, daß män alte Meinungen, die man für Vorurtheile mit Recht oder Unrecht ansieht, wie den Staub vom Kleide abschüttelt und das vorzüglich aus folgenden Gründen: 1. Das Nachdenken selbst ist uns alsdann etwas Neues. Daß man Wahrheiten beweist, die man vorher auf Treu und Glauben annahm, ist uns

neu

und weil der Seele in diesem Zustande alles so ungewohnt und neu ist, so will sie selbst auch etwas Neues zu Stande bringen, welches sie in diesem Falle nicht thun kann, ohne sich zu bestreben, das Alte wegzuwerfen. 2. Dieß Bestreben, das Alte zu zerstören und etwas Neues aufzubauen, wird € 2

ver=

verstärkt durch das aufkeimende Kraftgefühl. Izt erst wird man sich des Rechts bewußt, Wahrheiten die man für unverlezbare Heiligthümer gehalten, vor sein Forum zu ziehen und seine Stimme darüber zu geben. Einem Knaben, der bisher an den Gedanken, daß er auch was gelte, nicht gewohnt war, thut das wohl. Nun will er auch sein Recht in Ausübung bringen, er zerstört und baut auf und freut sich des Werks seiner Hånde, wenn auch noch so elendes Flickwerk wåre!

Wenn aber nun die Ungewohnheit nachzudenken das Nachdenken selbst erschwert, wenn die Unfähigkeit, tief in die Lehren einzubringen, ihnen selbst den Schein der Undurchdringlichkeit gibt, wenn der. alte eingewurzelte Hang zu diesen Lehren sich wieder zeigt, und mit den neuen Grundsäzen contrastire, alsdann entsteht ein Zustand des Zweifels, der seine verschiedene Grade hat.

Ich hatte drei Grundsäze festgestellt. 1. Meine Vernunft muß die Lehren billigen, die man mir aufdrången will 2. ich darf ohne Gewissensunruhe an allen zweifeln, so lang es auf Moralität nicht. nachtheilig wirkt 3. ich habe eine Menge Vorurtheile, die ich Anfangs nicht dafür erkannte, kennen lernen, und sie mit Fug und Recht in Zweifel gezo. gen. Was mir also irgend das Gepråge der Vorurtheile zu haben scheint, das muß oder darf bezweifelt werden, bis es nåher geprüft ist. Der dritteSaß führte mich am weitsten: denn Alles, was so schlechthin von der Menge angenommen wird, vers"

führte

führte mich schon eben dadurch, daß ich geneigt wurde, es unter die Zahl der Vorurtheile zu sezen, be-, fonders wenn es hie und da mit meinen übrigen Jdeen nicht harmoniren wollte. Da fand ich dann, daß Alles eine Vorsehung annimmt und doch vielleicht unter tausenden nicht zwei aus vernünftiger Ueberzeugung. Ich glaubte außerdem in den Vorstellungen davon Manches übertrieben zu finden und dieß war mir Grunds genug, an der Vorsehung zu zweifeln. Dieses Uebertreiben bestand darinn, daß man die Vorsehung vorstellt, als ein beständiges unmittelbares Einwirken der Gottheit, und doch

dacht ich — sind alle Dinge dieser Welt in einer ewigen Verknüpfung: alles hat seine Ursachen, alles seine Wirkungen. Eine Krankheit z. E. hat ihre natürliche Ursachen, die man zuweilen ganz ge= nau und deutlich bestimmen kann — Wozu also hier eine Gottheit nöthig? Freilich ists diese, welche diese Dinge aneinandergeknüpft hat: aber mein individuelles Schicksal hat sie doch nur in Verbindung mit dem Ganzen und nicht als individuell geordnet. Nur das Ganze und nicht das Schicksal jedes Individuums, als solches, war das Object des göttlichen Willens. Dieses Ganze ist das Möglichstvollkommene: aber sagts nicht die Erfahrung genug, daß in diesem vollkommensten Ganzen Einzelne leiden müssen? Und das müßten sie nicht, wenn nicht das Ganze es forderte: also ist dieß, nicht das Individuum das Object der göttlichen Absich

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