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ter diesen magischen und cabbalistischen Platonikern bemerken, als unter den Kirchenvåtern der ersten Jahrhunderte. Picus schrieb ein Buch, um den Stolz der Gelehrten zu demüthigen, welche das Ansehen der Vernunft und den Werth der Wissenschaften so hoch hinauffezten, daß das Ansehen des Glaubens und der Werth der Religion darunter litt385). Seine Absicht gieng übrigens vorzüglich gegen die Aristotelische Philosophie und seine ganze Schrift ist nicht interessant genug, um hier nåher charakterisirt zu werden. Merkwürdiger für unsern Zwek ist die Schrift des Agrippa von der Eitelkeit der Wissenschaften 38). Agrippa (geb. zu Cölln 1486, gest. 1535.) war ein Mann von grosen Talenten sowohl für die Wissenschaft ais für das thårige Leben, ein origineller, starker Geist, der beinahe alle Kenntnisse seines Zeitalters umfaßte und, obgleich zur Magie und Schwärmerei geneigt, doch in Manchem über dieselbe erhaben war. Seine Freimüthigkeit, seine unbeständige Laune, sein Hang` N n.4

380) Opp. Vol. II. p. 467 feqq.

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381) Henrici Cornelii Agrippae ab Nettesheym de incertitudine et vanitate fcientiarum declamatio invectiva, qua univerfa illa Sophorum gigantomachia plus quam Herculea impugnatur audacia, doceturque nusquam certi quicquam, perpetui et divini nifi in folidis Dei eloquiis atque eminentia verbi Dei latere 1532. Diese Edition habe ich vor mir. Die erste ist von 1530. f. Bayle Art. Agtippa, und Senebier Hiftoire literaire de Geneve T. I. S. 123. wo die verschiedene Editionen und Ueberfezungen dieses Buchs augeführt sind.

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zur Satyre, sein Starrfinn, feine Sucht, für einen Wundermann zu passiren machten beinahe sein ganzes Leben unglüklich. Von Stelle zu Stelle, von Land zu land, von einem Unglüksfalle zum andern getrieben fand er in seinem ganzen Leben die Ruhe und das Glük nicht, auf das ihm seine Talente, sein Fleiß, seine Thätigkeit und in damaligen Zeiten seine Geburt Anspruch gaben. Er scheint eine aufrichtige Hochachtung gegen die heilige Schriften der Juden und der Christen empfunden zu haben, aber gegen die Hauptlehren der Römischkatholischen Kirche erklärte er sich laut, ohnerachtet er sich niemals åusserlich von derselben trennte. Seine Schrift von der Eitelkeit und Ungewisheit aller Wissenschaften war gar nicht das Product eines raisonnirten Skepticismus, wiewohl sie von vielen seiner Zeitgenossen und auch noch von vielen Gelehrten in der Folge dafür gehalten wurde. Sie war gleichsam eine Rache an den Wissenschaften, welche ihm so viel Kummer und Unglük zugezogen hatten, `und noch mehr an den Mönchen, welche ihn bisher wegen seiner Schriften so grausam verfolgt hatten. Er selbst gab sie für eine cynische Declamation gegen die Wissenschaften aus. Die er vorzüglich in der Absicht geschrieben habe, um Tråge zur Vertheidigung derselben aufzumuntern und den Predigermönchen Stoff zur Bestrafung von herrschenden Fehlern und Lastern aller Art zu geben 352). Obgleich etwas Scherzhaftes in dieser Er

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382) Epp. VII, 35. Cum nuper edidiffem declamationem

klärung ist, so ist doch auch etwas Richtiges darinn.
Die Schrift geht zwar gegen alle nüzliche Wissen-
schaften und Künste, aber nicht überhaupt und an
und für sich selbst, sondern wie sie in dem damaligen
Zeitalter beschaffen waren. Sie ist insofern eine
sehr wichtige Urkunde für die Literaturgeschichte der
damaligen Zeit. Sie ist zwar mit keiner eleganten
aber mit einer sehr reichen und ungezwungenen Be-
redtfamkeit, zwar mit keinem feinen aber doch mit
einem glüklichen, scharfen und originellen Wize, und
überall mit grosen Kenntnissen geschrieben. Hie und
da kommen freilich Stellen vor, wo er eine vollkom=
mene Ungewisheit der menschlichen Erkenntniß zu be-
haupten scheint, er bedient sich auch zuweilen ske-
ptischer Gründe, die aus dem Sertus genommen
find. Allein dieß ist in einer Declamation, wo
nach rhetorischer Weise alles mögliche Nachtheilige
von einem Gegenstande gesagt werden soll, nicht zu
verwundern und von der andern Seite sezt Agrippa
in dieser Schrift doch auch Vieles dogmatisch fest, zr
E. die Cabbala betreffend. Gegen die Mathe-
matik überhaupt wendet er ein, daß sie bloß in
Meinungen der Gelehrten bestehe, welche sich darinn
Nn 5
auch

illam de vanitate fcientiarum atque excellentia verbi
Dei, quam in hoc ipfum fcripfi, partim ut fegniora
ingenia ad defendenda bonarum litterarum ftudia ex-
citarem, partim ut monachis concionatoribus arguen-
dorum in omni exercitii genere vitiorum non frigida
argumenta conferrem, illi beneficium hoc meum ingra-
to penfantes animo pariter omnes hoftilitatem mihi in-
dixerunt.

auch häufig geirrt haben, daß den mathematischen Ideen nichts in der Natur genau correspondire, daß die Mathematik nichts zur Frömmigkeit und Seeligkeit beitrage 383). Gegen die Arithmetik sagt er, daß sie zum Aberglauben verleite und nur von Kaufleuten aus Gewinnsucht hochgeschäzt werde, daß die Arithmetiker über die Grundbegriffe nicht einig feien 384). Den Geometern legt er das Lob bei, daß sie beinahe immer in Allem einig gewesen seien, nur das wirft er ihnen vor, daß sie darüber streiten, was Puncte, Linien, Oberflächen seien, ob sie theilbar seien oder nicht, und daß sie viele Probleme noch nicht haben auflösen können 385). Die Ungewisheit der ganzen Geschichte sezt er in ein weit befferes und helleres Licht, als vorher selbst irgend ein Skeptiker gethan hatte 386). Die Moralphilosophie erklärt er für etwas Zufälliges, das sich nach Zeiten, Gegenden, Menschen verändert. Er beruft sich darauf, daß mehrere Moralphilosophen unter dem Namen der Tugend das Laster gelehrt haben, daß sie über das höchste Gut sehr uncinig wåren, daß viele Tugenden sich widersprechen und auf-" heben, und daß die Moralphilosophie überall im Widerspruche mit der Sittenlehre Jesu stehe 387).

383) c. XI.

·384) c. XII. XVI.

385) c. XXI.

386) c. V.

Die

Re

387) c. LIV. Wir wollen hier Einiges auszeichnen: Si qua de moribus, ut aliquibus placet, philofophia five di

Religion überhaupt erklärt er für etwas Ungewisses, das bloß auf der Leichtgläubigkeit der Menschen beruhe 388). Desto mehr Hochachtung läßt er überall für

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fciplina eft, hanc arbitror ego non tam philofophorum ratiunculis, quam vario ufu, confuetudine, observatione, ac communis vitae converfatione conftare: ac pro temporum, locorum, hominumque opinione multabilem effe: quam minae et blandimenta pueros, leges atque vindicta maiores docent: nonnulla hominibus nativa addit iuduftria, quae doceri nequeunt, fed pro temporum ufu hominumque confpiratione per fas vel nefas inolefcunt: quo fit ut quod aliquando vitium fuit modo virtus habeatur, et quod hic virtus eft, alibi vi tium fit: quod uni honestum, alteri turpe: quod nobis iuftum, aliis iniuftum fit, pro cuiusque temporis, loci, status, hominum opinionibus vel legibus Adhuc difputant de connexione virtutum et quod fit illud commune felicitatis fundamentum, in quod omnes virtutes convenire debent. Nifi enim omnes in unum confluxerint, nequaquam facient hominem felicem, etiam fi una fola defuerit. Cum itaque difpares et quodam. modo pugnantes virtutes funt, liberalitas et parfimoria, magnanimitas et humilitas, mifericordia et iuftitia, contemplatio et folicitum opus in frequenti minifterio et huiusmodi multae, nifi omnes in uno conveniant concordes, iam non virtutes fed vitia cenferi poffent. 388) Er versteht aber darunter difciplina quaedam exteriorum facrorum ac ceremoniarum, per quam rerum inter'narum et fpiritualium tanquam per figna quaedamn adVon der Religion in diesem Sinne sagt er unter andern: Ac tandem omnes iftae religionum leges nullo alio fundamento incumbunt, quam fuorum inftituentium placitis: nec aliam infuper certitudinis regulam habent, nifi ipfam credulitatem. Confiderate ab

monemur 10

initio mundi quot funt, quot fuerunt in religione studia, quod ceremoniae, quot cultus, quot ritus, quot haerefes, quot placita, quot vota, quot leges, et nondum a tot feculis homines ad rectam fidem perducere poteft religio absque verbo Dei --- c. LVI.

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