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begreifen kann und sich vor dem großen Wesen zu demüthigen, das die Wahrheit allein kennt. Dieß ist der unwillkührliche Skepticismus, in dem ich geblieben bin; aber dieser Skepticismus ist mir im geringsten nicht peinlich, weil er sich nicht auf die praktisch - wesentliche Puncte ausdehnt und ich über die Principien aller meiner Pflichten vollkommen mit mir einig bin. Ich diene Gott in der Einfalt des Herzens. Ich suche nichts zu wissen, als was mir für mein Verhalten wichtig ist; was aber die Dogmen betrifft, welche weder auf Handlungen, noch auf Moral Einfluß haben, und mit welchen so viele Menschen sich quålen, so beunruhige ich mich darüber gar nicht. gar nicht. Dieß wäre also ein reiner supernaturalistischer Skepticismus, wie wir ihn oben genannt haben. Man sieht, um dieß gelegentlich zu bemerken, daß ein Rousseau sich da mit einem bescheidenen Zweifel begnügte, wo izt fö manche, die sich ausschliessend den Namen der Aufgeflårten zueignen wollen, mit dem decidirtesten Dogmatismus verwerfen. Aber die wahre Weisheit ist immer bescheidener gewesen, als die Afterweisheit. Noch izt haben die Kante da Ehrerbietung und erlauben sich höchstens eine Unentschie denheit 2), wo andere stolz über ihre eingebildete Siege triumphiren und mit ihrer stürmenden Aufklärung die Welt zu befeligen hoffen.

Rous

21) Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft Königsberg 1793. in vielen Stellen.

Rousseau spricht noch in einer andern Stelle und zwar ohne alle erdichtete Einkleidung von der Zweifelsperiode, in welcher er sich eine Zeitlang befand und aus welcher die schöne Ueberzeugung hervorgegangen ist, die er nachher während seines ganzen Lebens selbst gegen viele immer wieder aufsteigende Zweifel behauptete 22). Es ist auch nach den bereits angeführten Stellen der Mühe werth, einige Züge aus dieser Schilderung auszuheben.

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Geboren in einer Familie, wo Moralitåt und Frömmigkeit herrschte, mit wohlwollender Sanft= muth erzogen bei einem Geistlichen voll Weisheit und Religion hatte ich seit meiner zartesten Kindheit, Grundsäze, Marimen, andre würden sagen, Vorurtheile, eingefogen, die mich nie gänzlich verLassen haben. Die ländliche Einsamkeit, in welcher ich den Frühling meiner Jugend hinbrachte, das Studium guter Bücher, dem ich mich ganz überließ machten mich zulezt zu einem frommen Schwärmer, ohngefähr wie Fenelon. Das Nachdenken in der Einsamkeit, das Studium der Natur, die Betrachtung des Weltalls, nöthigen den Einsamen, sich unaufhaltsam zum Urheber der Dinge aufzuschwingen und mit einer füßen Unruhe den Zwek alles dessen, was er empfindet, zu suchen. Als mich mein Schicksal in den Strom der Welt zurückwarf, fo fand ich in ihr nichts mehr, was einen Augenblick

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22) Les Reveries du promeneur Solitaire IIIme promenade,

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meinem Herzen håtte schmeicheln können. Die Sehnfucht nach meiner füßen Muße folgte mir überall und machte mir Alles, was mich etwa zum Glück und zu Ehrenstellen håtte leiten können, gleichgültig und ekelhaft. Ungewiß in meinen unruhigen Neigungen, hoffte ich wenig, erlangte ich noch weniger, nnd empfand selbst, wenn mir das Glück günstig zu werden schien, daß, im Fall ich auch alles erhalten håtte, was ich zu suchen glaubte, ich doch darinn das Glück nicht würde gefunden haben, nach welchem mein Herz sich so feurig sehnte, ohne den Gegenstand desselben entråthseln zu können. So trug alles bei, meine Neigungen von dieser Welt los zu machen, selbst vor meinen Unglücksfällen, die mich ihr ganz fremd machen sollten. Ich kam bis zum vierzigsten Jahre, hin und her getrieben zwischen Dürftigkeit und Wohlstand, zwischen Weisheit und Verirrung, voll von Lastern der Gewohnheit ohne irgend eine böse Neigung im Herzen, aufs ohngefähr hin lebend ohne feste, durch meine Vernunft entschiedene Grundsäze, zerstreut in Ansehung meis ner Pflichten, ohne sie zu verachten, aber oft, ohne sie recht zu kennen.

Seit meiner Jugend hatte ich mir vorgenom men, mit der Epoche von vierzig Jahren meine Bemühungen, um zeitliches Glück zu endigen, und alle meine Ansprüche aufzugeben. - Da der Augen

blik kam, so führte ich dieß Project ohne Mühe aus, und obgleich mein Glück damals einen festern Gind zu gewinnen schien, so that ich doch darauf

Ber

Verzicht, nicht nur ohne irgend einen Kummer, sondern mit wahrem Vergnügen. Ich befreite mich von all diesen Anlokungen, von allen diesen eitlen Hoffnungen und überließ mich ganz der Sorglosig keit und der Ruhe des Geistes, die immer mein herrschendster Geschmak und meine dauerhafteste Neigung war. Ich verließ die Welt und ihren Pomp, ich legte allen äußerlichen Schmuk ab.

Ich riß aus meinem Herzen die Wurzel der Begierden und Lüste, welche alle dem, was ich verließ, Werth geben. Ich schränkte meine Reforme nicht aufs Aeußerliche ein. Ich fühlte, daß selbst diese noch eine andere weit schwerere, aber nothwendigere, nåmlich eine Reforme in den Meinungen erforderte; und entschlossen, alles auf einmal zu thun, unternahm ich es, mein Inneres einer strengen Prüfung zu unterwerfen, die es in denjenigen Zustand versezen sollte, in welchem ich es bei meinem Tode finden wollte.

Eine große Revolution, die eben in mir vorgegangen war; eine andere moralische Welt, die sich meinen Bliken enthüllte; die unvernünftigen Urtheile der Menschen, deren Ungereimtheit ich zu fühlen anfieng, ohne vorauszusehen, daß ich das Opfer derselben werden würde; das immer wachsende Bedürfniß eines andern Guts, als der literarische Ruhm war, den ich kaum zu schmeken angefangen hatte, als er mir schon anekelte; der Wunsch, für den Rest meines Lebens mir eine weniger unge= wisse Laufbahn vorzuzeichnen, als diejenige war, auf D 3

wel

gen war

welcher ich die schönste Hälfte meines Lebens geganalles dieß nöthigte mich zu der großen Untersuchung, deren Bedürfniß ich seit langer Zeit fühlte. Ich unternahm sie also.

Von dieser Epoche fångt mein gånzlicher Abschied von der Welt, und mein lebhafter Geschmak für die Einsamkeit, der mich bisher nicht wieder verlassen hat, an. Das Werk, das ich unternommen hatte, konnte nur in einer vollkommenen Zurükgezogenheit ausgeführt werden; es erforderte lange und ruhige Ueberlegungen, welche das Geräusch der Gefellschaft nicht erlaubt. Dieß nöthigte mich, eine Zeitlang eine ganz andere Lebensart zu führen, bei der ich mich dann so gut befand, daß ich sie seitdem nie wieder unterbrach, ausser wenn ich dazu genôthigt wurde und auf wenige Augenblike, und dann immer wieder von ganzem Herzen zu derselben zurükkehrte.

Ich verrichtete die Arbeit, die ich unternommen hatte, mit vielem Eifer, welcher der Wichtigkeit der Sache und dem Bedürfniß, das ich in mir fühlte, proportionirt war. Ich lebte damals mit den neuen Philosophen, welche den alten kaum in etwas glichen: statt meine Zweifel zu heben und meine Unentschlossenheit zu firiren, hatten sie alle Gewisheit erschüttert, die ich über die Puncte zu haben glaubte, deren Kenntniß mir am wichtigsten Eifrige Missionnåre des Atheismus, und gebieterische Dogmatiker-konnten sie es ohne Grimm gar nicht ausstehen, daß man in irgend etwas an

war.

ders

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