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andremal von jenen Grundsäzen ausgehen kann. Aber alle Grundsäze, deren sich der Skeptiker bedienen kann, um jeden Saz zweifelhaft zu machen, haben doch etwas Gemeinschaftliches und lassen sich unter gewisse Titel bringen, welche man locos communes, τροπες σκεψεως nennen fann 3). Nun wird freilich der wahre Skeptiker auch diese als zweifelhaft vorstellen, aber mag ers er wird doch niemals einen beharrlichen Zweifel in Ansehung derselben in fich erregen können und so bald er von seiner Kunst Gebrauch machen will, so wird er doch immer von denselbigen ausgehen müssen. Auch muß man nothwendig sich den Skepticismus als von gewissen Grundfåzen ausgehend vorstellen, wenn man über den Geist und die Natur desselben philosophiren will. Dieß begegnet auch wirklich dem Sertus im ersten Buche seiner Hypotyposen, wo er die Natur und den Charakter der Skepsis schildert und im Verlaufe feines Werks muß er mehreremale gleichsam wider Willen gestehen, daß die Skeptiker wenigstens die Erscheinungen (Pawousva) nicht bezweifeln "), und sich im gemeinen Leben nach denselben richten. Zu diesem Geständnisse wurden die Skeptiker ge= zwungen, weil man sie sonst für Wahnsinnige gehalten und weil sonst aller Grund zu handeln bei ihnen

aufge=

3) Ich meine hier nicht gerade diejenige, welche Sertus an führt, die sich noch auf allgemeinere reduciren lieffen, aber etwas Aehnliches.

4) Am deutlichßten Hrp. I, 10. II.

aufgehört hätte. Sertus nimmt hier etwas Leidendes in der Seele an, das den Menschen wider Willen zum Beyfall zwinge ).

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Der Skeptiker gibt also Erscheinungen

aber das bezweifelt er, ob uns die Dinge so erscheinen, wie sie wirklich sind. Hier hört der Skepticismus auf, ein Ideal zu seyn, wie wir ihn bisher betrachtet haben. Hier ist ein Grundfaz, ein Urtheil, von welchem er ausgeht, und von nun an wird ein System des Skepticismus möglich, das aber freilich die Pyrrhonier nicht ausgeführt haben.

Aber es gibt nicht nur Erscheinungen durch die Sinne, sondern auch andere Gefühle und Vernunftbegriffe, deren wir uns bewußt sind. Auch das Bewußtseyn dieser Vorstellungen können die Skeptiker zugeben, nur werden sie das bezweifeln, ob sie untereinander übereinstimmen und ob sich von denselben ein Gebrauch für Objecte auffer uns machen lasse. Sertus erklärt nirgends deutlich, daß die Pyrrhonier das Bewußtseyn dieser Vorstellungen zugeben, aber er leugnet es auch nirgends. Der Fall war hier anders als bei den Sinnenerscheinungen und bei den praktischen Lebensregeln, welche nicht bezweifelt werden konnten, ohne daß die Pyrrhonier

selbst

5) τα κατα φαντασίαν παθητικά αβολήτως άγοντα εις συγκαταθεσιν 1. c.

selbst vor dem großen Haufen als Wahnsinnige erschienen wåren. Hierüber war also eine Erklärung nöthig. Wenn übrigens Sertus das Bewußtseyn dieser Vorstellungen nicht bestreitet, so bestreitet er sie doch selbst, wiewohl nicht alle, weil die Psychologie damals noch weit zurük war. Ohne die Wahrheit genau zu erklären, ohne ihre verschiedene Gattungen zu unterscheiden, bezweifelt er überhaupt, ob es eine Wahrheit gebe, ob es ein Criterium des Wahren gebe und bestreitet sogar alle logische Regeln, die nichts mit Objecten zu thun haben ). Es liegt sogar in seiner Definition der Skepsis, daß die Skeptiker auch Noumena Noumenis entgegensezen"). Es ist also unrichtig, wenn man behauptet, daß die wahren Skeptiker immer nur die objective Wahrheit bestritten haben. Unders verfuhren freilich die neuern Skeptiker, vorzüglich Hume, weil sie überhaupt consequenter waren und weil sie auf eine ausgebildetere Psychologie Rüksicht nehmen mußten.

Viele neuere Philosophen haben in der That den alten Pyrrhoniern einen weit philosophischeren und confequenteren Skepticismus zugeschrieben, als sie wirklich hatten. Sie haben überhaupt zum Theil Definitionen vom Skepticismus gegeben, welche den Begriff nicht erschöpfen und entweder nicht auf den åltern oder nicht auf den neuern Skepticism oder auf keinen von beiden passen. Wir wollen nur einige Bei

6) Im zweiten Buche der Hypotyposen.
7) νούμενα νουμένοις αντιτιθέντες 1, 4.

Beispiele anführen, deren Prüfung uns zugleich Gelegenheit geben wird, den Begriff weiter zu ent wifeln.

Wolf) fagt: Sceptici funt, qui metu erroris committendi veritates univerfales infuper habent, feu nihil affirmant, nihil negant in univerfali. Er sezt in der Note hinzu, er wisse wohl, daß gewöhnlich behauptet werde, die Skeptiker haben an Allem, auch an den Factis gezweifelt, aber das Gegentheil erhelle aus Sertus Empiricus, der in einem besondern Kapitel behaupte, daß die Skeptiker die Phånomena zugestanden, also auch ihre Beständigkeit anerkannt haben, ob sie gleich aus Furcht, einen Irrthum zu begehen, die Ursachen der Phänomene nicht bestimmt und den Grund ihrer Beständigkeit nicht untersucht haben. Diese Definition ist wirklich richtiger, als manche, die in der Folge gegeben worden sind, nur ist das unrichtig, daß die Skeptiker die all gemeine Wahrheiten bezweifelt, und die Fa cta überhaupt, ja sogar ihre Beständigkeit so uneingeschränkt zugegeben haben. Die Unbeständigkeit aller sinnlichen Erscheinungen war vielmehr ein Hauptmits tel, dessen sich die Skeptiker bedienten, um Alles zweifelhaft zu machen. Auch hat Wolf den Begriff: Facta nicht genau bestimmt. Er scheint darunter die sinnliche Erscheinungen zu verstehen, aber nun bleibt

8) Pfychol. rationalis edit. 1740. §. 41. auch Eberhard Philos. Mag. 4. B. 1. St.

bleibt immer noch die Frage übrig: Haben die Skeptiker auch andere Thatsachen des Bewußtseyns, die eben so wenig als Thatsachen zu den universalibus gehören, zugestanden? Ausserdem håtte es müssen in die Definition gelegt werden, daß die Skeptiker, indem sie die sinnliche Erscheinungen zugeben, nichts, auch nicht im Besondern, weder über die Eri stenz noch über die Beschaffenheit der Objecte an sich bestimmen.

Kant sagt irgendwo ): „Der Skepticismus ist das, ohne vorhergegangene Kritik, gegen die reine Vernunft gefaßte allgemeine Mistrauen, bloß um des Mislingens ihrer Behauptungen willen." Dieß ist die richtige Definition einer gewissen Gattung von Skepticismus, der aus einer gewissen besondern Quelle entspringt, wovon wir in der Folge reden werden. Aber es ist nicht die Definition des Skepticismus überhaupt, dessen zwei gröste Repräsentanten, Sextus und Hume, gerade von einer, zwar nicht so genauen und scharfsinnigen, aber doch immer sehr sorgfältigen und merkwürdigen Kritik des Erkenntnißvermögens ausgingen und in einem beinahe allgemeinen Skepticismus endigten.

Jakob ), der vieles zur hellern Einsicht in den Geist des Skepticismus beigetragen hat, erklårt

9) Ueber eine Entdekung 2c. S. 78.

fich

10) David Hume über die menschl. Natur A. d. E. nebst kri. tischen Versuchen. 1. 5. Halle 1790. S.755 ff. 834 ff.

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