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Gegen Weißens Trauerspiele laffen sich, von Seiten der Erfindung und Anlage, eine Menge von Einwendungen und sehr gegründete vorbringen. Man kann mit allem Rechte sagen, daß Richard der dritte durchaus keine pathetische Empfindung, sondern bloß Abscheu errege, daß im Atreus und Thyest das' Schreckliche sich in das Graufenvolle verliere, daß im Mustapha und Zeangir der eigentliche Held_des Stücks, von dem ersten Augenblicke feiner Erschei nung an, durch die gefängliche Haft außer aller Thatigkeit gefeßt werde, daß man in der Flucht nicht recht begreift, warum die beyden Liebenden in einer Lage, wie die ihrige ist, nicht wenigstens den Versuch machen, sich dem Vater zu entdecken, daß Jean Calas, (ein übrigens gewiß tragischer Charakter,) vor dem Gedränge der Richter und der Håufung der gerichtlichen Verhöre kaum zum Worte komme und sich nicht gehörig entfalte, u. f. w. Aber schwerlich ist in diesen Unvollkommenheiten allein die Ursache zn suchen, warum die Weißischen Tragödien von unserer Bühne verschwunden sind: denn die nähmlichen oder doch ähnliche drücken mehrere neuere Trauerspiele, die gleichwohl eines fortdauernden Beyfalls genießen. Der wahre Grund liegt unstreitig in der schwachen Zeichnung der Charaktere, in der nicht scharf genug beobachteten Natur der Leidenschaften, in der überall sich außernden beschränkten Kenntniß des innern

Menschen, und in der Sprache. So sehr Weiße, als er auftrat, in Hinsicht der leztern, seinen Zeitgen nossen vorauseilte, so bald wurde er gleichwohl überholt. Noch im Jahre 1768 schrieb Leffing p); „Wenn Richard der dritte auch keine Tragödie ist, so bleibt er doch ein dramatisches Gedicht, und wenn ihm die tragischen Schönheiten mangeln, so hat er dafür andere, hat Poesie des Ausdrucks, Bilder, Tis raden, kühne Gesinnungen, und einen feurigen hin reißenden Dialog." Es läßt sich zweifeln, ob Less fing einige Jahre später dieses Urtheil für das seinis ge erkannt haben würde, ja es ist so gar wahrschein lich, daß er, der die Tiraden in den französischen Trauerspielen so bitter tadelt und in seiner Emilie so forgfältig vermeidet, sie in dem Richard seines Freun des nur darum als verdienfilich heraushob, weil er die scharfe Kritik dieses Stückes wenigstens durch ets was mildern zu müssen glaubte. Was für Betrach. tungen indeß auf Leffings Aeußerungen Einfluß ge.. habt haben mögen, so viel bleibt wenigstens gewiß, daß weder der poetische noch prosaische Dialog in Weißens Trauerspielen heute noch £ feurig und hinreißend erkannt wird. Um eine müßte der Dichter entweder ft. fähig, oder reicher an erhabener.

1) Dramaturgic £b. 11. E. 272

geben,

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mit einem Worte, auf einer höhern Stufe über seid nem Zeitalter gestanden haben, als er wirklich stand. Nur einzelnen Stellen gebührt das Lob, daß tragi sche Kraft fie beseele, so wie dem Dichter selbst der unverächtliche Ruhm, wenn nicht mit kühnen Roffen um das Ziel herum gelenkt, doch mit muthigen die Bahn dahin gebrochen zu haben.

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Wenn man gleich erst nach Weißens dramati schen Versuchen seine lyrischen nennen kann, so bleibt den lehtern ihr Werth darum doch unverkümmert. Er hat durch seine scherzhaften Lieder, die zuerst im Jahre 1758 erschienen, die Sphäre des leichten' fröhs lichen Gesangs, der damahls, außer Hagedorn, Gleim und Leffing noch wenig Beförderer · zählte;: erweitert, und durch seine Kinderlieder, deren erste Ausgabe in das Jahr 1766 fällt, sich ein bleibendes Verdienst um die Jugend erworben und dieses in der Folge durch seinen bekannten Kinderfreund um ein großes erhöht. Noch ist hört man zuweilen in muntern Kreisen eines jener scherzhaften Lieder erschallen und empfångt es mit derselben Herzlichkeit, mit der es der Dichter gab; noch ißt erhöhen feine Kinderlieder das Vergnügen der jungen Jahre und wirken zur Veredlung der jungen Herzen. Aber am vortheil. ftesten erscheint Weiße, als Lyriker, unstreitig in Imazonenliedern Sier nannte man ihn von

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jeher mit Recht neben seinem Vorbilde, dem preußi schen Grenadier, dem er in keinem Stücke nachsteht, diejenigen Schönheiten ausgenommen, welche jener Dichter aus dem bestimmten Vaterland, dem bestimmten National Charakter und den allgemein bekannten großen Ereignissen und Begebenheiten gewann. So mannigfaltig und glücklich erfunden die Situationen find, in die er feine Heldinn verseßt, eben so wahr, groß und edel sind die Empfindungen, die er ihr leiht, und so stark und erhaben die Sprache ist, die fie redet, eben so männlich und kräftig ist der Rhythmus, in dem sich diese Sprache bewegt. Die meisten Züge haben ihre alte Bedeutsamkeit für uns behalten und eine Menge Bilder nichts von ihrer Wärme und Frische verloren, ein trifftiger Grund zu glauben, daß auch die kommende Zeit sich ihrer erfreuen werde.

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Ueber die Religion der alten Deutschen. Fortseßung
der im zweyten Stück des sechsten Bandes abge-
brochnen Abhandlung.

Was wissen wir von dem Glauben der Völker im fkan

dischen Nord?

Aristophanes.

John Milton.

Zweytes Stück.

69

113

169

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369

(Valerius Flaccus und Papirius Statius
folgen im nächsten Stück.)

Christian Felix Weisse.

385

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