Page images
PDF
EPUB

1

oder auch nur vorzüglicher, als Lucan? Er scheint dieß allerdings nach den angegebenen Vergleichungspunkten zu seyn. Wir wollen sehn, ob ihm, bey einer nåhern Würdigung seiner Verdienste, der Rang über seine Vorgänger zuerkannt werden kann.

Daß Silius nicht bloß die Götter Virgils zu den feinigen gemacht, sondern die Erfindungen des frühern Dichters und die Art, wie dieser die höhern Wesen benußt und in die Handlung verflicht, ihn abgeborgt und sklavisch nachgeahmt habe, ist eine Bemerkung, die schon durch die eben versuchte Zusammenstellung des Wunderbaren in seinem Gedichte sich jedem Leser von selbst aufdrången und, bey einer genauern Vergleichung des punischen Krieges mit der Aeneis, von allen als wahr erkannt werden muß. Ein oder zwey Götter. Erscheinungen ausgenommen, (und auch sie gehören als Eigenthum nicht dem Si lius, sondern dem Homer an,) ist keine von Be beutung, die man nicht in der Epopse Virgils nach. weisen konnte; sogar die Aussendung der Liebesgőt« ter zur Verführung Hannibals und seines Heers, eine Scene, die man noch am ersten geneigt seyn dürfte von fremdartigem Einflusse frey zu sprechen, — kann doch, schärfer geprüft, die Aehnlichkeit mit der Ueberliftung der Königinn Dido durch Amorn im er. ften Buche der Aeneis nicht verläugnen. Es ist hier

weder der Ort noch der Zweck, in das Einzelne einzugehn und Silius schwachen) und untergeordneten Genius durch eine sorgfältige Zusammenhaltung des jedesmahligen Ur- und Nachbildes kenntlich zu machen a). Es genügt hier zu bemerken, daß, wenn er auch in der Ausführung den großen Vorgänger wirklich überträfe, seinem Werke dennoch, um ein Kunstwerk zu heißen, das nähmliche Erforderniß abgehen würde, das wir in der Arbeit Lucans vermißten, die Freyheit und Selbstständigkeit in der Behandlung des Stoffes. Was ist, in Absicht der ästhetischen Wirkung, für ein Unterschied, ob der Dichter dem Geschichtschreiber einfach und ohne alle Beymischung des Wunderbaren nacherzählt, oder ob er von dem Historiker die Begebenheiten, und von einem andern, noch dazu allgemein bekannten und gelesenen Dichter die Maschinerien zur Ausschmück. ung des Stoffs entlehnt? Beyde verratheu so we

a) Man vergleiche nur den Kampf der Götter für die Griechen und Trojaner in der Ilias mit dem für die Römer und Karthager beym Silius und vorzüglich den Kampf Vulcans gegen den Xanthus und Simois mit dem gegen den Flußgott der Trebia, wenn man das Müßige, Weitschweifige und Uebertriebene in der Behandlungsart des römischen Dichters sich anschaulich machen will. Bündiger und unpartenischer, als die übrigen Ausleger, hat Ernesti in seiner Ausgabe des Silius die einzelnen Scenen dieser Art gewürdigt.

[ocr errors]

nig ein künstlerisch gestimmtes Gemüth, als einen bildenden Geist, und müssen Verzicht darauf thun, den Leser in das weite Gebieth der Phantasie zu entzücken, da sie selbst in dem engen Kreise der Erin. nerung leben und aus dem Gedächtnisse schöpfen.

Aber vielleicht hat Silius den Mangel an eig. ner schaffenden Kraft und die daraus entspringen. den Nachtheile durch die glückliche Benußung der fremden sich angeeigneten Erfindungen vergütet; vielleicht hat er wenigstens, durch die Einführung der höhern Wesen in fein Gedicht, ihm gegeben, was Lucan, der treue Nachtreter der Geschichte, sei ner Pharsalia nicht zu geben vermochte, Ein heit, Handlung, Bewegung; vielleicht ist es ihm eben durch dieses Mittel gelungen, die ruhige B& trachtung der Gegenwart, zu der die Geschichte auf: fodert, in eine unruhige Ahndung der Zukunft, die der Dichter uns einflößen soll, zu verwandeln.

Ich zweifle nicht, daß Silius fv etwas beabsich. tigt hat, allein ich läugne, daß er seine Absicht er. reicht hat. Denn zuerst, was hat er durch den An. theil, den er die beyden Göttinnen Juno und Venus ar den beyden Helden des zweyten punischen Krie. ges, an Hannibal und Scipio, nehmen läßt, für diese gewonnen? Wird dadurch der eine oder der ans

bere für uns wichtiger und bedeutender? Erfüllt uns dieser oder jener mit einer höhern Achtung, mit einer lebendigern Theilnahme? Oder erhält etwa der eine von ihnen eine Beziehung, die dem Ganzen Einheit, Ründe und Haltung giebt? Nichts von dem allem. Ungeachtet der Einmischung höherer Wesen, nimmt der punische Krieg beym Silius gleichwohl denselben Gang, den er beym Livius auch nimmt. Die Begen benheiten fliehen aus einander, oder stehen vielmehr einzeln und wirkungslos da, durch kein anderes Hand, als das der Zeitfolge, verknüpft. Die beyden Helden schlagen und siegen, als wohl bestallte Feldherrn ihrer Staaten, jeder für den feinen, ohne den Antheil des Lefers für sich und ihre Sache in Anspruch zu nehmen. Juno selbst, des Ausgangs von Anbeginn kundig, hat gar nicht den Zweck, etwas Großes und Bleibendes' zu wirken, Karthago durch Roms Untergang zu erheben; fie gesteht viel. mehr, gleich in der ersten Rede, durch die wir ihre erste Bekanntschaft machen, ganz treuherzig, daß es ihr keineswegs darum zu thun sey, die verhaßten Abkömmlinge der Teukrer zu vertilgen, sondern ein. zig ihren alten Haß an ihnen zu kühlen und mit dem Blute der Römer Seen und Gefilde zu fårben b).

b) Hier sind ihre Worte (1. 40.);

Sanguineo tum laeta viro, atque in regna Latini

Turbine mox faeuo venientum haud infcia cladum,

[ocr errors]
[ocr errors]

Weit gefehlt also, daß der punische Krieg sich durch Silius episch gestaltete Anordnung zur Handlung veredle, bleibt er vielmehr, was der bürgerliche Lucans auch ist, eine bloße Begebenheit; allein der Held, der am öftersten auftritt und uns am meisten beschäftigt, sinkt noch um einige Stufen unter Cdfarn hinab: denn er ist nichts anders, als das Werk zeug einer fremden Macht, die Zuchtruthe in der Hand einer Göttinn, die durch ihn eine zwecklose und vorübergehende Rache an einem ihr verhaßten Volke üben will.

Doch nicht nur die Triebfeder, durch welche Silius das Ganze zu bewegen versucht hat, leistet nicht,

Intulerit Latio, fpreta me, Trofus, inquit,
Exful Dardaniam, et bis numina capta Penates,
Sceptraque fundarit victor Lauinia Teucris:

Dum Romana tuae, Ticine, cadauera ripae
Non capiant: fimilisque mihi per Celtica rura
Sanguine Pergameo Trebia, et ftipantibus armis
Corporibusque virum retro fluat; ac fua largo
Stagna reformidet Thrafymenus turbida tabo.
Dum Cannas tumulum Hefperiae, campumque cruere
Aufonio merfum fublimis Japyga cernam :

Teque vadi dubium coeuntibus, Aufide, ripis

Per clipeos, galeasque virum, caefosque per artus

Vix iter Hadriaci rumpentem ad litora ponti.

« PreviousContinue »