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Waldichte Tempel, woraus, sanft gleitend, helle
Gewässer

Niederflossen, den Fels in ihrem Naffe zu baden,
Und in grünendes Moos den gebadeten Felsen
zu kleiden,

Oder zum Theil in die Ebne zu strömen und mild fte zu trånken.

Ein kleines Gemählde der Jahreszeiten (V. 736 746.), daß auch nicht unbemerkt geblieben ist, mag ebenfalls noch als Probe hier stehn.

Lenz und Venus erscheinen zuerst; der Zephyr,

des Frühlings n)

Bothe, schreitet, gefiedert, voraus, und ihnen zur Seite

Mandelt, jeglichen Pfad mit herrlichen Blumen bestreuend,

Nympharum, quibus excibant humoro fluenta
Lubrica, proluuie larga lauere humida faxa,
Humida faxa, fuper viridi ftillantia mufco:
Et partim plano fcatere atque erumpere campo.

n) It Ver, et Venus; et, Veris praenuncias, anté
Pennatus graditur Zephyrus, veftigia propter

Flora quibus mater praefpergens ante viai

Mutter Flora daher und erfüllt mit Gerüchen

die Lüfte.

Drauf folgt trockene Hig' und diefer ihre Ge

fährtinn,

Ceres, in Staub gehüllt, und des Nords etest. sche Hauche.

Dann erhebt sich der Herbft und Evius, der ihn geleitet,

Dann ein wüthendes Heer von mancherley Win-
den und Stürmen,

Hochher donnernd, Vulturnus und Auster, mit
Bligen bewaffnet.

Endlich bringet das Jahr uns Schneegestöber
und trägen

Frost. Der Winter erscheint und die zähneklap. pernde Kälte.

Wie diese drey angeführten Schilderungen, so und nicht anders sehen alle die übrigen aus, auf welche

Cuncta coloribus egregieis et odoribus opplet.
Inde loci fequitur Calor aridus, et comes vna
Poluerulenta Ceres, et Etefia flabra Aquilonum,
Inde Auctumnus adit: graditur fimul Euius Euan:
Inde aliae Tempeftates Venteique fequuntur;
Altitenans Volturnus, et Aufter fulmine pollens.
Tandem Bruma niueis affert, pigrumque rigorem
Reddit: Hiems fequitur, crepitans ac dentibus Algu.

man Lucrezens poetischen Werth gründet, und wer wird nicht willfährig einräumen, daß die angezoge=

nen

nicht übel sind? Aber sind sie noch etwas mehr? Beweisen fie irgend eine höhere Kraft, eine ungewöhnliche Erhebung der Seele? haben nicht bloße, mit der Mechanik des Verses vertraute, Lieb. haber der Dichtkunst von jeher dergleichen Verse zu hunderten gemacht, ohne darum sich in die Reihe der Dichter eindrången zu wollen? Oder wenn ist es unter den Kunstrichtern Sitte geworden, die ehrwürs digen Dichter: Nahmen so wohlfeilen Preises zu ertheilen? Will man die Einleitung in das ganze Gedicht, die berühmte Anrufung der Venus, gegen meine Behauptung geltend machen? ich stimme in alle

Vorzüge, die man ihr beylegt, in alle Lobeserhebungen, mit denen man sie verherrlichet, ein. Sie ist schön, trefflich, begeisternd. Aber wer sagt uns, ob sie dem Dichter auch als Eigenthum angehört? und wenn sie ihm angehört, ist sie nicht die einzige ihrer Art in dem ganzen langen Gedichte? und welch ein geistloser Versmacher müßte Lucrez gewesen seyn, wenn ihn der Gedanke an die Göttinn der Liebe nicht. einmahl zu Anfang seines Gedichts, und bey unge. schwächter Kraft', `über sich selbst håtte erheben und stärker, als gewöhnlich, erwärmen follen ?

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Die spätern

epischen Dichter der Römer.

Lucan. Silius Italicus. Valerius
Flaccus. Papinius Statius.

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S

er Geschmack der Römer," sagt ein geistreicher Beurtheiler der Alten, war Geschichte oder ernste gefeßgebende Beredtsamkeit, kurz That, so wie er bey den Griechen jene leichte Wirksamkeit gewesen war, die Allem eine schöne Sinnlichkeit und einen füßen Wohlflang anfchuf. So lange daher in Rom Ver. anlassungen waren, den echten Thaten Rede, und Geschicht. Geist zu wecken, so wuchs auch der feste römische Geschmack. Thatvolle Rede war das Steuer, welches das rudernde Schiff des Staates lenkte, und Geschichte das weisheitvolle Reisebuch, wornach es gelenkt ward. Die Scipionen, Catonen, Sulla, Craf fus, Lucullus, Brutus, Antonius, Pompejus, Cåfar, fie alle waren Rebner, oder Geschichtschrei7. B. 2. St.

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ber, oder Freunde derfelben. Aus diesem Geiste ist Rom erwachsen, und als er wich und die Republik unter das Joch der Monarchie kam, konnte nichts das erseßen, woraus er geworden war.« Mich dünkt, die Bemerkung, die Herder a) in den angezogenen Worten mittheilt, bestätige fich eben so sehr durch den Gang, den die römische Dichtkunst genommen hat, als durch die trefflichen Ueberreste der Beredtsamkeit und Geschichte, die der Zerstörung der Barbaren entronnen sind. Nicht nur Ennius, wie Her der selbst andeutet, neigte sich mehr zum Geschicht. schreiber als Dichter hin; nicht nur die frühern Tragiker gaben mehr Geschichte als Dichtung; auch im Virgil waltet, wenn nicht der Geschichtschreiber, doch der Redner öfters über den Dichter vor, und als mit ihm die Kraft und der Einfluß der römischen Muse je långer je mehr dahin schwindet, find erzäh lende Gedichte das Glänzendste, was sie in der Pe riode ihrer Ermattung hervorbringt, und der Licht. punkt in diesen Reden und rednerische Beschrei bungen.

Es würde nicht schwer seyn, zu diesen beyden Beziehungen, die auf alle spåtern Epiker der Römer

a) Man sehe seine Preisfchrift über die Ursachen des ges funkenen Geschmacks. S. 276.

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