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dem Lesen, und wir kehren mit einer gewissen Ab. spannung, und nicht sehr erheitert, aus den höhern Bezirken, in die er uns verfeßt hat, zu der wirklichen Natur zurück.

Zwey

Dieß sind, so viel ich weiß, die wichtigsten Ge-sichtspunkte, aus denen man bisher die Dichter un ferer Tage und der Vorzeit verglichen hat. Fragen biethen sich, bey einer genauen Betrachtung von selbst dar. Die erste: Treffen sie nicht alle in einem gemeinsamen Punkte zusammen, und welches ist dieser? Die zweyte: Liegt etwas in ihnen, um den Werth der Alten und Neuern zu bestimmen?

Echon die sich ähnelnden Ideen, denen man in allen diesen Ansichten begegnet, laffen die Bejahung der erstern Frage vermuthen. Auffaffen der äußern Natur und Eindringen in den innern Menschen, sinnliche Anschaulichkeit und gehaltvolle Geistig keit, einfältige Darstellung und sorgfältige Einklei. dung, ungetheilte Richtung der Aufmerksamkeit auf den Gegenstand und Beachtung mannigfaltiger Ne benbeziehungen, diese Merkmahle sind es, die zuleßt in allen Wendungen der Vergleichung, als die wahr. haft charakteristischen, vorkommen. Wenn die eine vor der andern, und vor allen die leßte sich auszeich net, so ist es zwar allerdings, weil sie die Aufgabe

besser und vollständiger löst, aber doch noch mehr darum, weil sich an die gewählte Ansicht eine Mengé fruchtbarer Nebenbetrachtungen reihen und wir zu einem befriedigendern Aufschluffe über die Natur der Dichtkunst und der Dichtungsarten und deren Wirtung gelangen. Vielleicht wird, was ich behaupte, durch die Art, wie ich den Unterschied zwischen den Dichtern der åltern und neuern Zeit bestimme, einleuchtender werden.

Der Dichter eines Volkes, das, wie die Grie chen, feine Bildung von keinem andern empfängt, sondern sie sich selbst giebt, kann keinen belohnendern Stoff für seine Muse finden, als ihm das wirkliche Leben und die ihn ́umg bende Natur gewährt. Bey. de sind so reiche Gegenstände, die zur Darstellung auffodern, und die Darstellung beyder so verdienst. lich. Warum sollte er in sich aufsuchen, was er außer sich findet, und sich in die Ideenwelt verstei gen, da die sinnliche unberührt vor ihm liegt? Selbst in die entfernten Wirkungen und feinen Beziehungen der leztern hat er nicht nöthig einzugehn: denn die gewöhnlichsten sind noch nicht in Worte und Rhyth mus gekleidet und für den Hörenden völlig neu. Nur auffassen und in ihrer ganzen Individualität wiedergeben darf er sie, und Alle werden das bildende Talent des Künstlers in ihm bewandern und zu seinen

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Sefången fich hinneigen. Und in der That, was geht ihm ab, um nicht bloß des Beyfalls seines Zeit. alters, sondern auch der Schäßung des künftigen versichert zu seyn?' Wenn jenes sich an der, vom Zwecke der Belehrung und Mittheilung unzertrennlichen, Verständlichkeit des zur Lyra tónenden Liedes ergeßt, so werden diese die kunstlose Einfalt, die Fol ge der genannten Tugend, erheben. Wenn jenes sich der zum ersten Mahle glücklich ausgedrückten Empfindung und Erscheinung freut, so werden diese die Wahrheit des originellen Gemähldes bewundern. Wenn jenes endlich die in das Einzelne heruntersteigende und alles erschöpfende Genauigkeit und Vollständigkeit der Schilderung mit Vergnügen beachtet, so werden diese die Treue, mit welcher der Dichter feinen Gegenstand aufnimmt und festhält, sein Eingehen in das Object, oder mit andern Worten, die Ob jectivität seiner Darstellungen rühmen.

Durch solche Merkmahle, denke ich, unterschei. den sich die Dichterwerke eines von fremder Bildung unabhängigen Volkes, so lange es noch in dem Kin, desalter der Sinnlichkeit lebt, seine Geschäfte und Bedürfnisse es an die Natur feffeln und von philosophischen Beobachtungen und Untersuchungen abziehn, feine Barden keine müssige Volks - Classe ausmachen, fondern zu dem Ganzen gehören, nicht fingen, um zu

vergnügen, sondern das heilige Amt der Lehrer und das ehrwürdige der Geschichtsbewahrer verwalten, und die Poesie ganz eigentlich ein Drang und eine Gunst der Natur ist. Aber eine andere Richtung em pfångt der Dichter, wenn Wissenschaften und Kennt nisse fortschreiten, der Blick von dem Aeußern sich mehr auf das Innere lenkt, die Summe unferer gei« stigen Erfahrungen und Beobachtungen größer und zugleich wichtiger für uns wird, und der Kreis der allgemeinsken in die Sinne fallenden Erscheinungen der Natur durch die poetische Darstellung erschöpft ist. In dieser Periode nährt sich die Poesie vorzüglich von Ideen und sucht ihnen Gestalt und Farbe zu geben. Sie zieht die Gegenstånde der überfinnlichen Welt, die der ungebildete Mensch nicht beachtet oder mit der finnlichen Welt vermischt, der gebil dete hingegen mit heißer Liebe ergreift und zu erforschen strebt, in ihr Gebieth und verleibt sie ihm ein. Sie weist unaufhörlich auf die höhere Bestimmung des Menschen hin und ordnet dieser die irrdische unter. Sie begnügt sich nicht, die Phantasie zu bewes gen und ihr bestimmte Anschauungen vorzuhalten; sie sucht eben so oft und öfter den Verstand und das Herz zu beschäftigen und so ihren Schilderungen einen eigenthümlichen Reiz beyzumischen. Sie benußt bie Leidenschaften nicht bloß als Triebfedern zu Händlungen; fie fergliedert fie und bringt ans Licht, was

auf dem Grunde der Seele verborgen ruht. Sie bleibt endlich, wenn sie sinnliche Erscheinungen mahlt, . nicht bey dem, was sich auf der Oberfläche zeigt,

und auch dem blöden Auge sichtbar wird, stehen, sondern nimmt die fårfern Umrisse und feinern Schattis. rungen auf. Sammeln wir die Eigenthümlichkeiten einer von solchen Zwecken und Bestrebungen ausge, henden Poeste, so sind es folgende. In der Poesieder Alten beherrscht, in der Regel, das Object den Dichter ganz, in der Poesie der Neuern tritt er selbst, das Subject, stärker hervor. Jene beschäftigt sich hauptsächlich mit der Darstellung der finnlichen Natur, diese mehr mit der Auffassung der geistigen. Die erstere sucht und erwartet kein anderes Interesse für ihren Gegenstand, als das, was ihm beywohnt, die letztere mischt ihm gern noch ein fremdes, - das der Empfindung, ben. Die eine giebt den Gegen. stand, wie er ist, die andere giebt mehr Reflexionen über ihn und über den Eindruck, den er hervorbringt.

Ich komme zu der zweyten Frage: Läßt sich aus der Verschiedenheit zwischen den åltern und neuern Dichtern etwas über den Werth und die Vorzüge beyder, bestimmen?

Diejenigen, welche so fragen, meinen nicht immer daffelbe, vielmehr faffen auch sie sehr ver.

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