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oder ihr entgegenwirken, sondern daß vielmehr die politische Lage des Staates, der durch die Demagogie herrschend gewordene Geist, und das Verderbniß, welches einmahl in das Leben übergegangen war, jeder bessern Einwirkung entgegenstrebte. Wenn Perikles, bey aller Nachgiebigkeit gegen das Volk, es durch Klugheit, Ansehn und Erfahrung zu zügeln und in die gebührenden Schranken zurückzuweisen gewußt hatte, so sahen sich dagegen seine Nachfolger gezwungen, um Ansehen zu gewinnen, oder das gewonnene zu erhalten, in ihrer Gefälligkeit gegen die untere, ihnen wirklich verächtliche, Claffe ihrer Mitbürger alles Maß und Ziel zu überschreiten und sich entweder zu entehrender Schmeicheley zu erniedrigen, oder ihr Vermögen in Feyerlichkeiten, Aufzügen und Spenden, die man, statt sie ihnen zu verdanken, als schuldigen Tribut ansah und foderte, zu vergeuden. Wenn der eben genannte Demagog nur prächtig, und so nicht, ohne bittern Tadel zu erfahren, gelebt hatte, so lebte dagegen sein Verwandter, Alcibiades, bis zur Ausgelassenheit üppig und schwelgerisch und bes wirkte, da die ganze Jugend Athens auf ihn als Muster und Vorbild sah, daß diese Lebensart' Tonund Regel ward. Wenn bisher die Liebe zum Vaterlande auch in selbstischen Gemüthern über andere Leidenschaften gestegt hatte, so erstickte die Sucht sich auszuzeichnen, zu glänzen und zu gebiethen, jenes

edle Gefühl nun so ganz, daß man sogar die Wohlfahrt des Staates vernachlässigte und aufs - Spiel feßte, um nur den stårkern und eigennüßigen Begierden zu genügen. Wenn endlich die Anständigkeit wenigstens in den Volksversammlungen und im öffentlis chen Leben beobachtet worden war, so verlor sich auch diese allmählig, oder artete vielmehr in Ungebundenheit und beleidigende Vernachläßigung alles Schicklichen aus. Man sieht leicht ein, wie verderbt durch alle diese in einem kleinen Zeitraume auf einander folgenden Veränderungen Athen ward, aber man begreift auch zugleich ohne Mühe, was für ein reiches, buntes und auffallendes Sittengemåhlde der Anblick einer Stadt gewähren mußte, deren Bürger, ohnlängst noch arm, einfach und zurückgezogen, auf cinmahl in Ueberfluß und umringt von dem ganzen Gefolge des Ueberflusses lebten. Diese völlige Umwandlung mußte um so viel bedeutender seyn, da sie, wie gedacht, das Werk von wenigen Jahren war und zum Theil noch unter den Augen derer zu Stande kam, die noch aus den alten beffern Tagen stammten. In jedem Falle war hier dem Mahler ein Stoff gegeben, an dem ein geschickter Pinsel sich vielfach versu chen und üben, den er ernsthaft und scherzhaft behandeln und eben so wohl tragisch darstellen, als zur Carricatur, Gestalt ausbilden konnte.

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So ausgezeichnet indeß diese Erscheinung in dem, atheniensischen Staate seyn mag, - einzig ist sie wenigstens nicht in der Geschichte der Menschheit; ja die neuesten Erfahrungen haben uns ein Beyspiel von einer plößlichen Umbildung lange bestehender Formen, Grundfäße und Sitten gegeben, an welche die ältere in mehrerer Rücksicht nicht reicht. Ein Vorrecht aber, und gerade ein solches, das hier von großer Bedeutung ist, hat die politische und moralische Umformung des griechischen Staates voraus, den Genuß einer Freyheit, dergleichen sich wohl schwerlich irgend eine Demokratie in dieser Allgemeinheit und in diesem Umfange rühmen darf. Seit Perifles nåhmlich durch die oben erwähnten Maßregeln die Macht der, Optimaten Athens gebrochen und alle Gewalt in die Hände des Volkes gelegt hatte, um feinen ehrgeizigen Zwecken zu genügen, warf das leßtere in der That nicht nur alle Fesseln der Gesetze, sondern auch alle Banden schuldiger Achtung und billiger Schønung hinweg. Jeder Bürger der Miner- ` ven-Stadt hielt sich von der Zeit an für einen gebornen König, und Jeder strebte, sich als einen solchen zu zeigen. Keine Begebenheit in der politischen Welt trug sich zu, ohne daß der Athenienser ste mit aller seinem Charakter eigenthümlichen Anmaßung besprochen, beurtheilt und gerichtet håtte; kein Feldherr und kein Staatsbeamter gab eine wirkliche oder

scheinbare Blöße, ohne daß sie wåre ans Licht gezogen und laut gerügt worden; keine Veranlassung zum Scherz und Spott ereignete sich, ohne von dem wißig. sten Volke der Erde aufgefaßt und benust zu wer den. Dieser Ton war bereits unter Perikles herrschend und wurde es noch weit mehr in den Tagen des peloponnesischen Krieges. Unter allen denen, die es wagten, nach dem Hefte der Regierung zu greifen, war, wie bekannt, auch nicht Einer, der sich mit jenem, wahrhaft großen Staatsmanne messen durfte. Die meisten standen ihm an Einsicht und Fähigkeit, alle an Größe und Festigkeit des Charakters nach und waren mehr oder weniger ein Spiel der wankelmüthigen, unzuverlässigen Menge und der Laune, von der sie beherrscht ward. Auf dem einen ruhte der unverdiente Vorwurf der Armuth, dem andern schadete seine ängstliche Unentschlossenheit, den dritten machte schmußiges Gewerbe, Unwissenheit und Prahlerey verächtlich. Man denke sich solchen Führern gegen über einen Haufen Menschen von Natur lebendig, redfelig und für die Empfindung alles Lächerlichen empfänglich, die einen großen Theil ihres Tages auf freyen Pläßen zubrachten, in den öffentlichen Ver-' sammlungen durch nichts zurückgehalten wurden, ihre Meinungen uneingeschränkt zu äußern, und in einen Krieg verwickelt waren, der sie unaufhörlich mit Neuigkeiten versahe, alle Leidenschaften weckte und

nährte, sie nicht selten für ihre politische Fortdauer besorgt machte und ohne Unterlaß in ihren Urtheilen mit einander entzweyte, man denke sich, sage ich, ́ein solches, Volk, und man wird begreifen, daß hier nicht nur die demokratische Freyheit den günstigsten Boden fand, sondern auch nothwendig in jene demokratische Zügellosigkeit ausarten mußte, die sich, wie uns Thucydides und Xenophon lehren, in dem Ungestüm der gemeinschaftlichen Berathschlagungen, in der Uebereilung der zu fassenden Beschlüsse und in der unwürdigen Behandlung der verdientesten Männer offenbarte.

Wenn man diese Eigenthümlichkeiten des Zeitalters, die ich aufzufassen bemüht gewesen bin, mit dem Komiker, der der Zögling und, man darf wohl sagen, zugleich das Vergnügen und die Geißel dessel.. ben war, zusammenhålt, so drångt sich die Bemerkung von selbst auf, daß das Charakteristische des Dichters in der Darstellung der Geschichte, Menschen und Sitten seiner Zeit, das Befremdende aber, das seine Darstellung für uns hat, in der Freyheit, mit der er schildert, gegründet ist. Der Beurtheilung und Würdigung der Dramen des Aristophanes stehen das her hauptsächlich zwey Schwierigkeiten entgegen. Die erste, der man begegnet, ist die in der Wahl der Gegenstände, der Zeichnung, der Personen und der ganzen Anlage und Zusammenseßung der Fabel sich

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