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Kenntniß allein bedürfen wir, es zu beurtheilen und zu würdigen. Ein kurzer Abriß der Sittengeschichte

Athens wird die beste Einleitung zur Kritik des Aristophanes geben.

Mit dem Tode des Aristides (Ol. 79, 4.) endig, te bekanntlich das schöne Zeitalter, dessen sich Athen, seit der Vertreibung der Pisistratiden, erfreute, das Zeitalter der guten Ordnung, beglückenden GefeßmåBigkeit und billigen Gleichheit. Bis dahin hatten die Bürger dieses Staates zufrieden und thätig, einfach und gottesfürchtig, unbeneidet und unbeneidend, mehr fich und dem Vaterlande, als den Musen und ihren Künsten, gelebt. Ihre Feldherren siegten durch Weisheit und benußten ihre Siege mit Mäßigung; die Reichern wohnten größtentheils auf dem Lande, dienten dem Staate uneigennüßig und unentgeldlich, und verschwendeten ihr Vermögen nicht in eitler Pracht und Ueppigkeit. Die Armen nährten sich reda lich von den Arbeiten ihrer Hånde, und die Jugend ward strenge erzogen und zu gymnastischen Uebungen angehalten. Wenn auch hie und da Laster empor. keimten und Ungerechtigkeiten begangen wurden, so blieb dieses doch ohne allen Einfluß fürs Ganze. Der Charakter des Volkes erhielt sich edel und bieder, die Sitten unbescholten und rein, die Volksversammlungen frey von der Einwirkung selbstsüchtiger De magogen und Recht und Herkommen in Achtung.

Ueberall herrschte eine Handlungsweise und galt eine Regel.

Aber nicht lange, so verschwand dieses schöne Zeitalter, oder wich vielmehr einem andern, ihm durchaus unähnlichen, dem Zeitalter des Perikles. Man darf nur den Nahmen dieses großen Feldherrn und berühmten Volksführers nennen, und man hat die Quelle genannt, aus der Gutes und Böses sich in reicher Fülle über Athen ergoß, die Ursache, wodurch es zugleich stark und schwach ward, die Veranlassung, durch die der Geist der Verfassung unterging und die ganze äußere Gestalt der Dinge sich änderte. Beseelt von einem Ehrgeize, der ohne Rast nach dem Höchsten strebte, und wohl einsehend, daß ein solches Ziel einzig durch die Zertrümmerung der alten For men erreicht werden könnte, verdrängte Perikles seinen Nebenbuhler, den edlen Cimon, löste durch Ephialtes kräftige Mitwirkung die bestehenden Gewalten und geheiligten Einrichtungen auf, drückte bald darauf durch die Vertreibung des Thucydides die ganze Macht der Aristokraten zu Boden, und legte die Herrschaft von nun an in die Hände der leicht beweglichen Menge. Schon diese Veränderung erweiterte den Spielraum der Leidenschaften und trug nicht wenig zur Umstimmung des bisherigen öffentli chen Charakters der Bürger und zur Entfaltung dreisterer Gesinnungen und ungebundener Sitten bey.

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Aber noch weit mehr ward das eine und das andere durch die Herrschaft, welche Athen über die Inseln des Aegåer Meers und an den Küften Klein- Asiens erlangte, durch die Steuern und Abgaben, die es von seinen in Unterthanen verwandelten Bundesgenoffen bezog und ausschließend in seinen Nußen verwandte, und durch den einträglichen Handel, den es führte, befördert. In einer Stadt, die, funfzig Jahre, früher, verwüftet und verbrannt von den Perfern, ein oder Steinhaufen gewesen war, erhuben fich ist, wie durch den Schlag einer Zauberruthe, die herrlichsten Paläste und Tempel und beschäftigten und bereicherten eine Menge müßiger Hånde. · Kunstwerke, dergleichen man noch nie gesehen hatte, schmück ten und verschönerten beyde und vermehrten den Ruhm und die Einkünfte derer, die sie verfertigten. Zahlreiche Flotten, die in den Piråeus einliefen, verfahen die Märkte und Niederlagen nicht bloß mit den nothwendigen Bedürfnissen des Lebens, sondern zugleich mit allem, was fremde Länder Seltenes und Kostbares erzeugten, und die auslaufenden, beladen mit den durch Geschicklichkeit und Fleiß veredelten Waaren, kehrten, Gewinn bringend, dahin zurück. Um endlich, gerade als ob man es gefliffentlich auf eine völlige Verwandlung angelegt hätte, auch die unterste Volksclasse sich unähnlich zu machen, nåhrte und befoldete man sie aus dem öffentlichen Schaße,

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sorgte durch die Veranstaltung glänzender Feste für ihr Vergnügen und ließ sie nicht bloß unentgeldlich an allem Theil nehmen, sondern bewirthete sie sogar freygebig. So mannigfaltige, plößliche, das Wesen der bisherigen Verfassung zerstörende und alle Zweige des Staates durchdringende Veränderungen konnten natürlich nicht ohne die wichtigsten Folgen für den innern und äußern Menschen bleiben, und in der That würden die außerordentlichsten, durch jene Urfachen herbeygeführten, Wirkungen bald und allgemein genug sichtbar. In dem neuen Athen, das Perikles hervorrief, war das alte, wie es Miltiades und Aristides gesehen hatten, schlechterdings nicht mehr zu erkennen. Arbeitsamkeit, Genügsamkeit und Eingezogenheit hörten auf, und Trägheit und Wohl. leben traten an ihre Stelle, ergriffen alle Stände und Alter und außerten sich in tausend bunten Gestalten. Die Jugend fing an die ernsten und anstrengenden Uebungen, denen sie sich bisher gewidmet hatte, zu vermeiden und ergab sich der Weichlichkeit und ihrem Gefolge, den Lastern und den Lüsten. Asten sandre dem Mutterlande seine verführerischen Buhlerinnen, und das Mutterland nahm sie. mit Begeisterung auf und ließ sich von ihnen beherrschen. Dichtkunst, Bes redtfamkeit und Philosophie wurden in eben dem Maaße, in welchem sie sich ausbildeten, Dienerinnen der Mode und Eitelkeit, und Mahlerey und Bildhauer.

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kunst Sklavinnen der Prachtliebe und Sinnlichkeit. Ueberhaupt entfalteten sich die Züge, die man jeder zeit als die hervorstechendsten in dem Charakter der Athenienser betrachtet hat, Leichtsinn, Unbe stand und Uebermuth je långer je mehr und traten von nun an immer stårker und stårker hervor.

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Noch weit entscheidender äußerte sich jedoch das bürgerliche und fittliche Verderben Athens, während dem Laufe des peloponnesischen Krieges, oder in dem Zeitalter des Nicias, Kleon und Alcibiades, in welchem in der That alles das ganz eigentlich aufsproßte und reifte, was das Zeitalter des Perikles ausgestreut und im Keimen gesehen hatte. So kostspielig für den Staat der zu führende Krieg und so bedeutend die Einbuße war, die er herbeyführte, so gewiß ist es gleichwohl, daß die Vornehmern nie mehr in Schwelgeren versunken, der Pöbel nie ausgelassener,` die Demagogen nie unredlicher und die Verwaltung des Gemeinwesens nie vernachlässigter war, als in dem genannten Zeitraume. Es ist wahr, auch jene Tage hatten treffliche und den alten Sitten treu ergebene Månner aufzuweisen, und selbst Nicias, den ich eben nannte, gehört, wenn nicht zu den kraftvollen und entschlossenen, doch gewiß zu den verdienten und rechtlichen Männern des Staats. Aber es ist nicht weniger gewiß, daß diese Einzelnen sich in der Menge verloren und nicht vermögend waren, sie zu leiten

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