Page images
PDF
EPUB

zurück, etiam in Musarum rebus regnare fortunam. In unsern Tagen wäre manch ähnliches Beispiel aufzuweisen. Ein Buch kann auch relativ zu gut seyn, um seinem Verfasser viel Leser zu verschaffen, und es ist sehr möglich, daß ein Verleger mit den Werken eines sehr großen Geistes Bankrutt mache. Aber man muß doch gestehen, daß es årgerlich ist!

[merged small][merged small][merged small][ocr errors][merged small]

Wenige Schriftsteller haben sich jemals so viel Freiheiten mit der historischen Wahrheit herausgenommen, als der Herr von Voltaire. Dies ist schon lange eine weltkündige Sache. Ich besorge, ein großer Dichter ist immer ein gefährlicher Geschichtschreiber. Wenn er auch ehrlich genug ist, die Wahrheit sagen zu wollen (welches vielleicht nicht allezeit der Fall Voltaire's ist); so müßte er zu gleicher Zeit eine ganz außerordentliche Gewalt über sich selbst haben, wenn er immer Meister von seiner Einbildungskraft, oder von der Wärme seines Herzens bleiben, und von der Gewohnheit, die Gegenstände zu verschönern oder zu verhäßlichen, sie nach Belieben zusammen

[ocr errors]

zusehen, und Schatten und Licht so zu vertheilen, wie sie den besten Effekt machen einer Gewohn= heit, die dem Dichter endlich zur andern Natur wird nie verführt werden follte, die Sachen, auch wider seine ausdrückliche Absicht, anders vorzustellen, als sie wirklich in der Natur sind, oder zu seyn scheinen.

Ob diese Betrachtung hinlänglich sey, den Dichter, der so viel historische Gemälde ausgeführt hat, in deren jedem man den Pinsel eines Meisters erkennt, wiewohl man in allen die Treue des Geschichtschrei= bers vermißt, gegen die Vorwürfe derjenigen, welche die Sache der Wahrheit an ihm zu rächen unternoms men haben, zu schüßen, überlassen wir dem Urtheil anderer. Aber dieß wenigstens, dúnkt uns, sollte man von einem Dichter, der den Geschichtschreiber macht, als eine höchst billige Einschränkung des Ho= razischen Quid libet audendi, fordern, und von dem Manne, der sich so oft als einen geschwornen Feind alles Wunderbaren und Unbegreiflichen gezeigt hat, mit doppeltem Rechte fordern können: daß er uns keine Begebenheiten als wirklich geschehen vortrage, welche augenscheinlich wider den ordentlichen Lauf der Welt streiten, und wovon man, außer den Feenmährchen und Tausend und Einer Nacht, noch niemals ein Beispiel gesehen hat.

Daß der Filosof von Ferney, oder (wie er sich selbst zu nennen liebt) der Alte vom Berge Krapać,

ron dieser Schwachheit

[ocr errors]

dick ist doch wohl der gelindeste Name, den man der Sache geben kann?) nicht immer frei geblieben sey, davon findet sich im zweiten Theil seines Siècle de Louis XIV., oder, im 197sten Kapitel feiner Histoire generale (Tom. VI. pag. 157. edit. 1756) ein Beispiel von der son= derbarsten Art. Die Sache, die es betrifft, ist an sich selbst von geringer Erheblichkeit. Aber die sorglose Dreistigkeit, womit er uns das unglaublichste aller Mährchen, eir Mährchen, das der Mutter Gans würdig ist, glauben machen will, ist an einem Schriftsteller wie Voltaire sehr erheblich, und ver dient immer, daß wir uns einige Minuten dabei aufhalten.

Es ist so ziemlich die Gewohnheit des Hrn. v. V. sich auf Zeugen zu berufen, die nicht mehr unter den Sterblichen sind, und wie man (wenigstens seitdem Schwedenborg zu seinen Freunden, den Geistern, ges gangen ist, ohne einen Erben seiner Wundergaben zu hinterlassen) in der andern Welt nicht wohl befragen lassen kann, ob sie das auch wirklich gesagt haben, was sie Herr v. V. sagen läßt. Auch für das Mährchen, wovon diesmal die Rede ist, stellt er einen Mann von Namen und Ansehn aus der andern Welt, den Herrn von Caumartin, ehemaligen Intendanten der Königl. Finanzen, zum Gewährsmann auf. Herr von Caumartin hat die Sache mit seinen Augen ge= sehen, und Herr von Voltaire hat sie aus dessen

Munde mit seinen Ohren gehört. Was kann man mehr verlangen? Ein Augenzeuge wie Monsieur de Caumartin, Intendant des Finances! Ein Ohrenzeuge wie Herr von Voltaire! Karneaves und

Pyrrhe selbst müßten bei solchen Zeugen zweifeln, ob da noch etwas zu zweifeln fey! Aber das Faktum, das Faktum! Dieß ist wohl die Hauptsache — Also besagter Herr von Caumartin, da er noch ein jun= ger Mensch war, sah einst in dem Hôtel de Mazarin, in einem Kabinet einen breiten und tiefen Schrank mit Schub fächern, der eine ganze Seite des Kabinets vom Boden bis zur Decke einnahm. Der Schrank war ein Stück aus der Erbschaft des damals schon vor eini gen Jahren verstorbnen Kardinals Mazarin, dessen Universa! Erbe, bekanntermaßen, der Duc de la Muilleraye, nachmaliger Düc de Mazarin, Gemal der berühmten Nichte des Kardinals, Hortensia Mancini, war. In einer Erbschaft, wie des Kardinals Mazarin, ist ein Schrank mehr oder weniger, freilich keine Sache. Auch hatte man sich aus diesem, wovon der Schlüssel schon lange verloren gegangen war, bisher, so wenig gemacht, daß keine Seite auf den Einfall ge= kommen war, wissen zu wollen, was wohl darin feyn möchte. Herr von Caumartin fand diesen Mangel an Wissensbegierde unverantwortlich, und überredete endlich die Herzogin durch die Vorstellungs.co

« PreviousContinue »